Eric Hattan Fünf Jahre Videoarbeit Soussol Aargauer Kunsthaus 2000

Die Kamera als Notizblock für die Augen

www.annelisezwez.ch            Annelise Zwez in Aargauer Zeitung Juni 2000

Mit radikalen Kunst am Bau-Konzepten sorgt Eric Hattan immer mal wieder für rote Köpfe. Nun zeigt der in Basel und Paris lebende Aargauer im Soussol des Aargauer Kunsthauses in einer vielteiligen Video-Installation unter dem Titel „Beton liquide” seine intimere Seite.

Als der 1955 in Wettingen geborene Künstler für den Neubau des aargauischen Baudepartements in Aarau eine Gitter-Skulptur vorschlug, in der seine sämtlichen Habseligkeiten gestapelt sind, wehrte sich der zuständige Regierungsrat mit Vehemenz und Erfolg. Lag dem Künstler unter anderem die Relativierung der Langfristigkeit von Planen, Haben und Bauen am Herzen, wehrte sich Baudirektor Pfisterer gegen das Eindringen des Privaten ins Öffentliche. Die Realisierung des Kunst am Bau-Projektes kam nicht zustande.

Reduzierung und Radikalität von Form und Aussage sind charakteristisch für Eric Hattan. Sie begründen seine über die Landesgrenzen hinaus beachtete Position innerhalb der zeitgenössischen Schweizer Kunst. So reicht es denn auch nicht, die im Zeitraum von rund fünf Jahren entstandenen Video-Arbeiten, die im Soussol des Aargauer Kunsthauses inszeniert sind, als bewegte Bild-Notizen aus dem Alltag eines Stadtgängers und Weltenbummlers zu bezeichnen. Obwohl sie das de facto sind. Und uns nichts unvertraut ist. Auch wir haben schon vom fahrenden Auto aus dem Vollmond nachgeschaut. Auch wir haben schon einem Bau-Arbeiter zugeschaut, der mit flüssigem Beton Unebenheiten ausgleicht. Auch wir haben schon beobachtet, wie ein Plastikbecher vom Wind durch die Strassen getragen wird usw. Das Normale, Banale, Alltägliche bleibt indes nicht so stehen, sondern wird durch das Wie der Aufnahme und die Konstellation im Raum zu einer Stossrichtung gesteigert, die über das einzelne Band hinausgeht und so indirekt zur Haltung führt, mit welcher Eric Hattan die Welt betrachtet.

Zunächst wird die Bedeutung der Bewegung offensichtlich. Nicht nur die Bewegung des Künstlers als Autofahrer oder Stadtgänger, der die Kamera als unmittelbares Medium einsetzt, um das aufzuzeichnen, was die Augen sehen, entdecken und beobachten. Sondern auch die Bewegungen in den Bildern selbst. Maschinen, Flugzeuge, aber auch Wasser und Wind, Tag und Nacht halten die Zeit und die Dinge in Bewegung. Dabei ist nicht das Aufzeigen von Turbulenzen das Ziel, sondern das Unaufhaltsame, das Endlose, das nie zu einem gültigen Schluss Kommende. Was die einen bauen, reissen die nächsten wieder ab. Was der Wind packt, treibt er fort. Was verbraucht ist, wird Abfall. Wo niemand geht, wuchern die Dornen.

Dass diese im Kern schonungslose Haltung Humor nicht ausschliesst, zeigt die Video-Sequenz einer Hochzeitsfoto auf einem Platz in Taipeh. Weil der Wind das Brautkleid ständig zerzaust und darum neu arrangiert werden muss, kommt es nie zum lebenslang gültigen Bild … Spezifisch für Hattans Schauen ist, dass der Ort nicht nur völlig unwichtig ist, sondern auch nicht erkennbar. Dass die Videos in Berlin, in Paris, in Basel in Island, in Taiwan entstanden sind, ist nicht sichtbar. Flugzeuge, Strassenecken, Wasserpfützen, Bauarbeiter, Putzfrauen, Vollmondnächte gibt es auf der ganzen Welt. Hattan zoomt auf das Geschehen an sich. In der bewusst plastischen Anordnung der auf ihre Kartonverpackungen gestellten Videogeräte wird dieses Moment noch gesteigert. Der verwinkelte, frei wählbare Gang durch den Raum mit den tiefer als auf Augenhöhe platzierten Videos gleicht einerseits einer miniaturisierten Stadtwanderung, andererseits ist er völlig anonym. Die selten in Erscheinung tretenden Menschen sind entweder nur ausschnitthaft (gehende Beine zum Beispiel), auf grosse Distanz oder von hinten sichtbar.

Das bildbetonende Moment verstärkt die medienspezifische Charakteristik der Videos von Eric Hattan als bewegte Skulpturen. Mag sein, dass sich hier indirekt die intensive Auseinandersetzung mit dem Werk von Hannah Villiger spiegelt, deren Nachlass Hattan zur Zeit bearbeitet. Die Fotografin nannte ihre Körperaufnahmen stets Skulpturen. Da ist aber immer noch die Frage nach der Haltung des Künstlers. Und hier fällt auf, wie sehr Hattan real, aber auch in beliebigen Parabeln, Baustellen liebt, man könnte auch sagen Transitorisches. Nie ist Fertiges zu sehen. Dieses auf Vergänglichkeit und Wandel angelegte Moment, ist bei Hattan allerdings nicht etwa fernöstlich überhöht, als Ausdruck von Tao, zu verstehen, sondern durchaus politisch. Als Aufforderung, Mauern zu durchbrechen, Abfall wahrzunehmen, Winde zu beobachten, Festgefügtes zu verändern. Hier kippt das Persönliche, emotional Gewählte in den politischen Blick des Künstlers auf die Welt.

Zur Ausstellung ist – im Verlag Lars Müller – ein dem Daumenkino nachempfunder Katalog erschienen, der alle 50 Videoarbeiten der letzten fünf Jahre dokumentiert und damit das Bild des Künstlers gegenüber der geschlossenen Installation im Museum weitet. Was indes irritiert, ist die Ästhetisierung der Videostills im Druck, sodass die Wahrnehmung derselben Bilder in Buch und Videoband auseinanderklafft.