Gaspare Otto Melcher Galerie Silvia Steiner, Biel 2000

Die Malerei ist mein UFO

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt Juni 2000

1972 stellte der in Italien lebende Bündner Maler Gaspare Otto Melcher (geb.1945) zum ersten Mal bei Silvia Steiner in Biel aus. Nun ist er zum vierten Mal zurückgekehrt: Und wieder ist seine Thema die Zeichensprache.

Eine Art Erich von Däniken-Geschichte steht am Anfang der neuen Bilder von Gaspare Otto Melcher. Der in den 80er Jahren zu den bekanntesten Schweizer Malern zählende Künstler sah 1995 einen Dokumentarfilm über die 1947 rund um das US-Militär-Zentrum Roswell in New Mexico gefundenen Fragmente von UFOS und, dazugehörend, die Autopsie eines Ausserirdischen. Auf einem dieser Fragmente, einem Metallbarren, sah Melcher sechs einfache, geometrische Symbole, die er als jene erkannte, mit denen er zu Beginn der 70er Jahren in Amsterdam sein künstlerisches Werk aufzubauen begann. Das durchfuhr ihn wie ein Blitz und wurde ihm zum „Auftrag”, die Wurzeln seines künstlerischen Werkes neu zu befragen.

Solche „Blitze” sind nichts Ungewöhnliches im Werk von Melcher. Auch um viele andere Zyklen ranken sich „Entdecker”-Geschichten. Gemeinsam sind den „gefundenen” Büchern, Abhandlungen, Bildern und Comics jedoch Inhalte rund um menschliche Grenzerfahrungen und visionen religiöser, naturwissenschaftlicher oder literarischer Art. Die Spannweite geht von Faust-Interpretationen über bildnerische Umsetzungen der Experimente von Stephen Gray mit Menschen als elektrischen Leitern bis zu Übermalungen pornographischer, italiensischer Comics unter dem Stichwort „Finestra per Lucifera”.

Seinen Anfang nahm das Werk mit der Entdeckung von Karl Faulmanns „Illustrierte Geschichte der Schrift” (1880), die Melcher in einem Amsterdamer Antiquariat entdeckte. Daraus entwickelte er ein 6- später 10teiliges Zeicheninventar, das sein Frühwerk in riesigen Akkumulationen prägte, später als Grundmuster expressiveren Bildzyklen unterlegt wurde und heute, aufgrund des Roswell-Erlebnisses, wieder ins Zentrum gerückt ist. Erstaunlich ist, dass Melchers Schaffen trotz der Themenvielfalt in hohem Masse Werkcharakter hat, das heisst, die Handschrift ist durch die 30 Jahre Malerei hindurch immer wiedererkennbar. Etwas, was man früher vom Künstler forderte, heute von jüngeren Kunstschaffenden aber kaum mehr als wichtig erachtet wird. Und dadurch heute auch die Frage aufwirft, ob bei einer Struktur bleiben nicht auch Enge bedeute.

Mit seinem feurigen Temperament würde Melcher ein Verharren vor Ort klar verneinen. Doch die Bilder aus dem „Roswell”-Zyklus, die der Künstler in angenehm sparsamer Inszenierung bei Silvia Steiner zeigt, haben Mühe, Kenner des Werkes zu Beginn des neuen Jahrtausends neu zu verführen. Die Bilder weisen unzweifelhaft über den anekdotischen Hintergrund ihrer Geschichte hinaus und beinhalten eine Vielfalt von Bezügen bis zurück zur byzantischen Malerei (Melcher baut seine Bilder nicht auf Weiss, sondern auf Goldgelb auf). Die Aussage des Künstlers: „Meine Malerei ist mein UFO”, wirkt glaubwürdig. Dennoch treffen die Bilder den Nerv der Zeit nicht mehr unmittelbar. Sie werden erst dann spannend, wenn man sich in die Kunst der 70er und 80er Jahre zurückversetzt. Mit dem Künstler über die schöpferische Kraft des Aufeinandertreffens von Ordnung und Expression diskutiert und in seinen gerasterten Zeichen-Variationen die Sprengkraft des Einfachen, das mit malerisch-emotionalen Mitteln zum Komplexen wird, mitdenkt und in den Tafeln erschaut.