Heini Stucki im Photoforum PasquArt 2000

Das Surplus als Qualitätsmerkma

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt März 2000

Grossandrang am Samstagabend, 4. März, im CentrePasquArt in Biel: Das Photoforum lud zur ersten Vernissage der neuen Ära und der Seeländer Fotograf Heini Stucki zu seiner bisher grössten Ausstellung in der Region.

Schon immer war das 1985 gegründete Bieler Photoforum Teil der Aktivitäten im Centre PasquArt. Doch so sehr Museumscharakter wie in der neuen Struktur des erweiterten Centre hatten die Ausstellungen am Bieler Ort der Fotografie bisher nicht. Erst jetzt wird man sich bewusst, dass mit der Neueröffnung des PasquArt auch ein kleines Bieler Fotomuseum entstanden ist. Und wer könnte es im Anschluss an die erste Gemeinschaftsausstellung mit Kunstmuseum, ”Au centre, l’artiste”, sinnvoller eröffnen als Heini Stucki. Seit 30 Jahren hält der Seeländer die 3-Seen-Region – und viele andere Gegenden der Welt – im Blick durch die Kamera fest. Dabei entstand eine unermessliche Zahl von Aufnahmen, die zugleich dokumentarischen wie sehr persönlichen Charakter haben. Und gerade dieses ”Surplus” ist ihre Qualität.

Vor vier Monaten wurde Heini Stucki 50 Jahre alt. Obwohl stets unterwegs zu neuen Ufern, auch für ihn Zeit für eine erste Bilanz: eine doppelte. In der Ausstellung mit dem Titel ”Indianderland” präsentiert der Fotograf – zum Erstaunen vieler – ausschliesslich Farbaufnahmen. Offensichtlich hatte der bisher primär als Fotograf des Schwarz/Weiss Bekannte in einer zweiten Kamera jeweils auch einen Farbfilm mit dabei. Die Resultate hat er kaum je gezeigt. So kommt es, dass die retrospektive Ausstellung neben wenig Bekanntem viel Unbekanntes zeigt.

Die Ausstellungseröffnung war gleichzeitig auch Buchvernissage. Die erste Monographie zum Schaffen von Heini Stucki erzählt – in schwarz/weiss – die Lebensreise des Künstlers im Spiegel seiner Bilder. Nur vereinzelt kreuzen sich Buch und Ausstellung. Die beiden Blickwinkel unterscheiden sich, wenn auch nicht absolut, in eine äussere und eine innere Sicht der Dinge. Im Vergleich fällt zum Beispiel auf, dass in den Bildern der Ausstellung kaum Menschen in Erscheinung treten, oder wenn schon, dann als ”Buschmänner” . Diese stammen nicht etwa real aus dem Land der Indianer, sondern zeigen sich als Netz von Lianen, das sich in einem Feldgehölz in Ins über zwei Bäume gelegt hat. Die Fantasie des Schauens ist ein wichtiges Merkmal für Heini Stuckis Blick auf die Dinge. So präsentiert er auch die Taubenlochschlucht als ”Kopf” und den Blick in den Himmel als ”Gespenster- Wolken”.

Der rote Faden im Werk von Heini Stucki ist das ”Sehen”. Themen gibt es Tausende – in der Stadt, in der Natur, wo auch immer. Aber das Sehen ist durch die Vielfalt hindurch dasselbe. Heini Stucki ist kein Konzeptkünstler und auch kein Experimentalfotograf; er kennt seine Kamera und ihre Möglichkeiten und er sieht und hält das Gesehene fest. Klaus Bäumlin beschrieb in seiner Vernissagerede den Moment der Aufnahme als Schnittstelle zwischen Chaos und Ordnung. Vielleicht ist es auch die Ratio und die Irratio, die sich auf einer intuitiven Ebene begegnen. Nicht als Statement, sondern als Phänomen, das zeigt und zugleich frägt. Etwa wenn sich auf dem Bieler Bahnhofplatz in einer schwarz/weissen Kreidezeichnung des Ying-Yang-Zeichens plötzlich eine schwarz/weisse Taube niederlässt. Oder wenn sich im späten Sonnenlicht eine Pfütze, in der sich die Bieler Altstadt spiegelt, blutrot färbt und die silbergraue Sprayerschrift im Hintergrund zum Leuchten bringt: Bloody Sunday (1999). Ernsthaftigkeit, Ironie und eine Portion subversiver Lust an Kehrseiten begleiten Heini Stucki oft gleichzeitig.
Die Ausstellung ist nicht chronologisch, aber zum Teil thematisch aufgebaut. Eigenartigerweise sind aber die grösseren Gruppen wie zum Beispiel ”La vie sauvage” nicht die eindrücklichsten. Fotografisch sind sie gekonnt, aber es fehlt ihnen das ”Surplus”, das so schwer zu beschreiben ist. Vielleicht weil es so flüchtig ist. Vermutlich lässt sich – als Beispiel – der Moment, der ausdrückt, es könnte am Ende etwas dran sein an der Legende, dass sich der Inser ”Salestein” (1988) am Mittag in der Sonne einmal um sich selbst dreht, einfach nicht vervielfältigen. Und doch gibt es auch eindrückliche Reihen, zum Beispiel die Vision des ”neolithischen Dorfes” in Sutz – Unterwasseraufnahmen von 1998.