Jean Otth_Schamgefuehle_Kunstmuseum Lausanne 2000

Ein konzeptueller Voyeur

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez im Bieler Tagblatt vom 16. 2. 2000

Parallel zur Körper-Fotografie im Elysée zeigt das Kunstmuseum Lausanne Videos und Stills von Jean Otth. Sein Thema: Der Frauenkörper. Die voyeuristische Ebene ist indes von einer konzeptuellen überlagert.

Jean Otth (geb. 1940) ist unzweifelhaft einer der Pioniere der Videokunst in der Schweiz. Im CentrePasquArt in Biel läuft im Rahmen der Ausstellung “Au centre, l’artiste” zur Zeit ein Band von 1973, in Lausanne sind unter dem Titel “Pudeurs” (Schamgefühle) neue Videoarbeiten zu sehen. Was die knapp dreissig Jahre verbindet, ist die unmittelbare Auseinandersetzung mit dem Medium an sich und den Bildern, die es erzeugt. Die Mehrschichtigkeit von Modell, Lichtbild und Bildkomposition sind in der frühen wie den aktuellen Arbeiten als Thema deutlich erkennbar. Im Band von 1973 filmt sich der Künstler zunächst während er seine eigenen Umrisse an die Wand zeichnet, dann – durch Ueberlagerung – die Umrisse des zeichnenden Körpers usw.

In den neuen Arbeiten erscheint der Künstler selbst nur einmal: als Kopf, eingesperrt in einen Monitor, das Porträt mit schwarzen Schatten überlagert, als trüge es eine Tarnkappe. Es ist Teil einer Installation, in deren Zentrum eine fast nur schwarz/weisse, grobkörnigen Grossprojektion steht, die das Schamdreieck einer Frau beleuchtet. Ein uraltes Thema, das hier, kunstgeschichtlich verbrämt, auf den “Ursprung der Welt” von Courbet Bezug nimmt. Klar wird bereits hier, dass die “Pudeurs” sich nicht auf die Frau beziehen – sie erscheint nur als Geschlechts-Fragment – sondern auf den Voyeur. Auf die Frage, ob denn ein solches Thema heute überhaupt noch möglich sei, meint der Künstler, er sei halt ein unverbesserlicher Romantiker. Ob das als Entschuldigung für eine überholte Sicht auf den weiblichen Körper reicht?

Allerdings ist die Sache komplexer. Denn der sich bei Betrachterinnen ballende Aerger betrifft nicht nur den 60jährigen Künstler, sondern ebenso die jungen, weiblichen Modelle selbst. Diese nutzen nämlich die Möglichkeit nicht, die der Künstler anlegt, indem er formbetonte Licht- und Schattenfelder auf ihre Körper projiziert und sie in freigewählter Bewegung damit spielen heisst, sondern setzen sich devot dem Kamerablick aus. Mit einer Ausnahme; eines der Modelle kehrt den Spiess quasi um, setzt die schwarzen Projektionen auf ihren Körper gezielt ein und schaut dem Voyeur selbstbewusst in die Augen. Gerade diese Videoarbeiten – respektive die entsprechenden, in grosser Zahl ausgedruckten Stills – sind denn auch die eindrücklichsten der Ausstellung. Denn hier wird das Konzept des Künstlers – das Mehrschichtige von Licht und Schatten und Ab-Bild, von Real- und Filmebene, Körper, Projektion und Bildkomposition zu einem spannenden und sich wechselseitig überlagernden Hin und Her, das durch selbstbewusste Erotik und sinnliche Aesthetik gesteigert wird.

Kleiner Katalog in französischer Sprache.