Kunst als Denkprozess in luftiger Höhe
Startschuss für Transfert 2000 – die 10. Schweizer Plastikausstellung in Biel (Juni/September 2000)
Der private und der öffentliche Raum durchmischen sich immer mehr. Entsprechend schlägt auch Transfert 2000 seine Zelte schon heute in der Öffentlichkeit auf, obwohl der offizielle Beginn erst der 17. Juni 2000 sein wird.
„Transfert 2000“ ist der Titel der 10. Schweizerischen Plastikausstellung in Biel. Die erste ihrer Art, im Jahre 1954, hatte Pioniercharakter. Weil das, was damals neu war, heute längst veraltet ist, sucht die traditionsreiche Bieler Veranstaltung neue Wege. Sie will wieder Pioniercharakter haben, Kunst im urbanen Raum so präsentieren, wie es der aktuellen Kunst heute entspricht.
„Skulptur“ zeigt sich in den 90er Jahren nicht mehr als gestaltete Form mit geschlossenem Werkcharakter, sondern – als eine von mehreren Möglichkeiten – als offener Dialog mit dem öffentlichen Raum. Weil Gespräch, Auseinandersetzung ein Prozess in der Zeit ist, beginnt „Transfert 2000“ nicht erst an der offiziellen Vernissage vom 17. Juni 2000, sondern formt sich aus vielen einzelnen Vernissagen, Events, Diskussionsrunden etc.
Am 7. September fand in luftiger Höhe, auf der Terrasse des Bieler Volkshauses der Startschuss statt. Philippe Ramette (1961 in Auxerre) präsentierte die ersten Werke von „Transfert 2000“. Allerdings sind sein „Espace pour le futur“ und sein „Point de vue No 4“ keine „Werke“ im traditionellen Sinn, sondern „Denkobjekte“. Die Kunst des in Paris und Neuenburg wohnhaften Konzeptkünstlers ist es, den Passanten – ob in Biel, in Tokio oder in Reims – Anstösse zu geben, über Dinge nachzudenken. Das machten zwar schon die Konzeptkünstler der ersten Generation um 1970, doch sind die Denk-Orte heute andere.
Den Betonsockel mit der ungravierten Kupfertafel im Zentrum des „Rond point“ am Guisan-Platz in Biel hat nicht erlebt, wer ihn nur betrachtet. Sondern erst, wer sich vor der „Rotonde“ hinsetzt, einen Kaffee schlürft und darüber nachdenkt, wen er auf den Sockel stellen möchte – Hans Stöckli oder Helmut Kohl, Pipilotti Rist oder Rolf Knie, Martina Hingis oder Stéphane Chapuisat oder… Möglicherweise entscheiden sich einzelne Kunst-Denkende auch, mit dem Entscheid noch zuzuwarten, heisst das Werk doch „Espace pour le futur“.
Vielleicht setzen er oder sie sich zwecks geistigen Impulsen in Gedanken auch auf den Holz-Stuhl, den Philippe Ramette als „Point de vue“ hoch oben auf die Fahnenstange auf der Aussichtsplattform des Bieler Musikhauses platziert hat. Allerdings geht es bei diesem formal reduzierten Stuhlobjekt, das auffällig jenem gleicht, das der Schweizer Künstler Christoph Rütimann kürzlich auf das Dach der Kunsthalle Bern stellte, gedanklich um etwas anderes. Es geht um die Verknüpfung von Antenne und Aussichtspunkt, um die Verbindung verschiedener Orte im Grenzbereich zwischen realer und virtueller Welt. Das Gegenstück zur Bieler „Chaise“ steht nämlich in Genf, wo das analoge Objekt im Rahmen der Ausstellung „Incubus Family“ mit Blick nach Biel gezeigt wird.
Bei schönem Wetter sieht man vom Turm des Volkshauses weit in den Westen, sieht – ähnlich wie beim Genfer Stuhl – auf einen See, doch um reale Geografie geht es nur wenig. Sondern vielmehr darum, dass heute theoretisch alles mit allem vernetzt ist und die jungen Künstler dies mit ihrem Nomadentum von Kunstzentrum zu Kunstzentrum auch real zu leben versuchen.
Wie weit diese Denkprozesse die Menschen in der Strasse auch wirklich erreichen, wie gross deren Lust ist, sich auf geistige Höhenflüge zu begeben, ist eine Frage, die wohl bis zum Abschluss von „Transfert 2000“ in gut einem Jahr immer wieder diskutiert werden wird. Umso mehr als das Stuhlobjekt von der Strasse aus kaum sichtbar, in gewissem Sinn nur scheinbar im öffentlichen Raum platziert ist. Analog den vielen Informationen, die im Internet theoretisch greifbar, aber nur für jene einsichtig sind, die sich auf ihrer virtuellen Reise auch tatsächlich daselbst einloggen. Der allgegenwärtige Widerspruch von öffentlich und privat spiegelt sich so im Schafen des Künstlers.
Philippe Ramette selbst wird im Laufe der nächsten Monate immer in Biel anwesend sein, um seine Projekte fotografisch zu dokumentieren und sich vielleicht auch in Diskussionen um Aussichten und Denkmalwürdigkeiten einzulassen.