Monika Rutishauser und Véronique Zussau im Musée des Beaux Arts in Moutier 2000

Das Intérieur als Ort für Projektionen

www.annelisezwez.ch        Annelise Zwez in Bieler Tagblatt 22. März 2000

Der finanzielle Spielraum des räumlich erstaunlich grossen „Musée jurassien des Arts” in Moutier ist klein. Dennoch wird versucht, Aktuelles und Spannendes zu inszenieren; z.B. die Intérieurs von Monika Rutishauser und Véronique Zussau.

Das Intérieur gehört seit dem Aufkommen der bürgerlichen Malerei im 16./17. Jahrhundert zum Motivschatz der bildenden Kunst. Wie es den beiden jungen Schweizer Künstlerinnen Monika Rutishauser und Véronique Zussau gelingt, dieses traditionelle Motiv mit den Augen der Gegenwart neu zu formulieren, ist ausgesprochen spannend. Die Zürcherin Monika Rutishauser (1963) setzt dazu die traditionelle Technik der Malerei in geradezu paradoxer Anwendung ein. Die Bernerin Veronique Zussau (1962 in Paris) hingegen kombiniert Objekt, Zeichnung und Fotografie in einem prozesshaften Vorgehen.

Die Künstlerinnen haben beide 1987 die Ecole d’arts visuels in Genf abgeschlossen, wenn auch nicht in denselben Ateliers. Dass sie nun von extrem verschiedenen Ansatzpunkten her das Motiv „Intérieur” unter Einbezug fotografischer Aspekte bearbeiten, liegt indes nicht vordergründig nicht im parallelen Studium; eher schon im Faktum der gleichen, den Raum als Dialogpartner nutzenden Künstlergeneration. Zu der individuell wie thematisch überzeugenden Doppelausstellung eingeladen wurden die beiden von der Genferin Kunsthistorikerin Valentine Reymond, der Konservatorin des Kunstmuseums von Münster.

Bekannt wurde Monika Rutishauser Mitte der 90er Jahre mit grossformatigen, durch formal reduzierte Malerei geradezu anonym „möblierten” Leinwänden, die durch tiefe Hängung zu Projektionen von Räumen in den Räumen wurden. Abbildungen aus Wohn-Zeitschriften charakterisieren auch viele der aktuellen, nun klein- und mehrteiligen Bilder in Moutier. Der Lifestyle-Ansatz ist dabei noch zynischer – man könnte auch sagen virtueller – geworden. Die Strategien der Werbung werden in den Bildserien von Monika Rutishauser ad absurdum geführt. Die drei wie ausgeschnitten wirkenden, querformatigen Bildstreifen mit dem Titel „Indulge” zum Beispiel zeigen in einer absolut flachen, zugleich aber fotografisch exakten Malerei drei an Hotel- Frühstücksräume erinnernde Intérieurs. Alles ist perfekt gestylt für die Verführung der Gäste – fragt sich nur, ob diese überhaupt noch aus Fleisch und Blut sind oder ob sie a priori für Barbie-Puppen gedacht sind. Die manuelle Malerei in handwerklicher Präzision verstärkt dabei die Wirkung. Ähnliches gilt für die bewusst englisch betitelte Bildreihe „For perfect lounging … think hotel”. Dass der Ansatz der Künstlerin dabei nicht ein einseitig gesellschaftskritischer ist, sondern sie selbst als Teil der Wunsch-Welt perfekten Lifestyles miteinbezieht, zeigt eine wandfüllende Bildinstallation. Die aus einer Vielzahl von Kleinformaten bestehende Serie zeigt Körper-Fragmente einer schwarz gekleideten, schlanken, grossen Frau, die – so den Attributen nach zu schliessend – irgendwo auf Reisen ist. Individualität verraten dabei aber nur die Hände (der Malerin). Monika Rutishauser gelingt durch den Spagat von Malerei und gängigerweise medial vermittelter Inhalte etwas von der Diskrepanz zwischen Individuum und kollektivem Lifestyle-Kult auszudrücken.

Véronique Zussaus Raumobjekte benutzen Motive und Räume aus der Kunstgeschichte als kollektiven Hintergrund. Das illusionistische Moment der Malerei wird dabei wörtlich genommen, indem es zum Thema selbst wird. Allerdings nicht im Sinne manieristischer Perfektion, sondern gerade umgekehrt. Das Unvermögen die Illusion zur Realität werden zu lassen, ist letztlich das Thema der Künstlerin. Dass das Äussere ganz intensiv das Innere miteinschliesst – die Intérieurs sowohl materiell wie emotionell gemeint sind, ist erstaunlicherweise auf den ersten Blick spürbar. Das macht die theatralischen Raumobjekte bereits im Erkunden ihrer „Befindlichkeit” zur intimen Angelegenheit. Konkret geht die Künstlerin wie folgt vor: Sie bastelt zum Beispiel eine Tischattrappe, stellt sie vor einen Karton an die Wand und legt darauf drei Äpfel darauf. Ihr Rot findet seine Fortsetzung in einer Handspuren zeigenden Plastilinschicht auf der Wand. Auf den Boden zeichnet sie Steinplatten als Rhombenmuster. Dann fotografiert und vergrössert sie die Inszenierung. Diese stellt sie nun anstelle der Inszenierung an die Wand und ergänzt sie auf der Realebene – mit einem seitlichen Spiegel, der Fortsetzung des Bodens und der rotten Plastilinwand. Dann fotografiert sie wieder und stellt die Foto wieder an die Wand usw. Raumrealität und Abbild treten in einen komplexe Wechselwirkung – ähnlich den Erinnerungsbildern in unserem Kopf und den unendlichen Erweiterungen in der Zeit durch immer neue visuelle und emotionelle Bild(symbole).

Während Véronique Zussaus Annäherung an das Intérieur etwas unmittelbar Schmerzhaftes und zugleich Poetisches in sich trägt, verbirgt Monika Rutishauser eine letztlich vergleichbare, Sehnsüchte thematisierende Befindlichkeit hinter der Maske anonymer Glücksversprechen. Ausstellungen, die so packen wie die aktuellen im Kunstmuseum Moutier sind selten.

Kleine individuelle Kataloge.