Retrospektive Matias Spescha Aargauer Kunsthaus Aarau 2000

Begehbare Bildräume auf Leinwand

www.annelisezwez.ch         Annelise Zwez in Mittelland-Zeitung vom 12. Februar 2000

Eigentlich hatte Beat Wismer gehofft, „sein“ Haus würde die Tore anfangs Jahr schliessen, um 2002 erweitert und erneuert wieder eröffnet zu werden. Doch die Aargauer Polit-Mühlen stellen gesichert Geglaubtes unverhofft wieder in Frage. Matias Spescha ist indes alles andere als ein Lückenbüsser.

Dass die Retrospektive zum 75. Geburstag des Bündner Künstlers Matias Spescha im Aargauer Kunsthaus stattfindet, wundert nicht. Denn Sinnlichkeit und der Minimal Art Verwandtes sind für den Aargauer Konservator Beat Wismer nicht Kontradiktionen, sondern erscheinen in seinem Programm immer wieder als Varianten von Intensität mit reduzierten Formen.

Und genau das charakterisiert das grossformatige, malerische, zuweilen auch plastische Werk von Matias Spescha seit den späten 50 Jahren. So ist man geneigt von Zu-Fall (mit Bindestrich) zu sprechen, dass Beat Wismer im vergangenen Juni als er von der Verschiebung des von Herzog & DeMeuron entworfenen Erweiterungsbau-Projektes erfuhr und somit blitzartig ein Programm auf die Beine stellen musste, just mit einem Text für die nun im Benteli-Verlag erschienene Monographie von Matias Spescha beschäftigt war. Denn die zwei ganze Stockwerke umfassende Schau des seit 1958 mehrheitlich in Bages in Südfrankreich lebenden Malers ist mehr als aus der Not eine Tugend machend.

Im Umfeld einer aktuellen Museums- und Kunsthallenszene, die stark geprägt ist von historischen Positionen einerseits (Amiet/Klee etc.), von 1960 und später geborenen Kunstschaffenden andererseits, sind Erinnerungen an die konzentrierte Kraft umfassender und sich geschlossener Oeuvres geradezu eine Labsal. Damit sei nicht einer Umkehr das Wort geredet, sondern einer weiten Sicht. Denn die von den Medien verbreitete Mär von Matias Spescha als einem zu Unrecht zu wenig bekannt gewordenen Schweizer Künstler ist nichts als Ausdruck davon, wie viele, wichtige Kunstschaffende von Speschas Generation in den letzten gut 10 Jahren vergessen wurden. In einem grösseren Zeitraum gesehen hingegen ist die Bedeutung von Matias Spescha in der Geschichte der Schweizer Kunst seit langem anerkannt.

Sein kunsthistorisch bedeutsamstes Werk schuf der 75jährige in den 60er Jahren. Damals als er von Paris in den Süden Frankreichs umgezogen war und seine formbetonte, figürliche Malerei so komprimierte, dass sie ihre Gegenständlichkeit ablegte und zur freien Komposition mit dunklen, massigen Gewichten in mehrschichtigen Räumen wurde. Körperlichkeit wurde evoziert ohne sie zu benennen. Die Kraft dieser Werke ist, wie die Aarauer Ausstellung zeigt, ungebrochen. Mit ihnen stand Matias Spescha in seiner Zeit an vorderster Front, was in der Schweiz – Spescha blieb trotz Wohnort Südfrankreich ein Schweizer Künstler – auch gewürdigt wurde.

Was seine Werke vor allem auch auszeichnet, ist ihr Format. Spescha wählte schon sehr früh Bildgrössen, welche eine begehbare Räumlichkeit suggerieren. Es mag durchaus sein, dass sich darin die Prägung durch Grösse und Kraft der Berge im bündnerischen Trun, wo Spescha als Nachbar von Alois Carigiet aufwuchs, mit dem Eindruck der neuesten Tendenzen der amerikanischen Kunst (Rothko zum Beispiel) verbinden. Der Raum „als Perspektive, als optische Täuschung, als Malerei“ wie er eine Installation im Museum Allerheiligen, 1983, nannte, wurde ab den 70er Jahren primäres Thema. Wo er mit gerundeten Formen in die Nähe des Pop Art-Vokabulars rückt, wirken die Arbeiten heute seltsam formalistisch – so quasi ohne Seele.

Wo er hingegen ab den 80er Jahren malerische und räumliche Qualität verbindet, bezieht die emotionale Ausstrahlung und die räumliche Präsenz der Bilder, die 1:1 vor den malerischen Bild-Räumen Stehenden ins künstlerische Geschehen mit ein. Spescha erreicht dies durch starke Hell/Dunkel-Kontraste sowie Kombinationen unterschiedlicher Oberflächen und Formkanten, die quasi Architektur (Geometrie) und Mensch (Ausstrahlung/Bewegung) als Wechselwirkung erscheinen lassen. Der Versuch, diese Momente auch in plastischen Situationen zu erreichen, gelingt Spescha dort, wo er Bilder und Stahlformen im Raum verbindet. In den jüngsten Arbeiten lässt Spescha die im Laufe der Zeit gewonnenen Erkenntnisse zusammenfliessen, ohne indes noch einmal zu wirklich neuen Horizonten aufzubrechen.

Buch-Katalog mit Texten von Beat Wismer, Beat Stutzer und Matthias Frehner.