Ursula Hirsch Katalog Stühle für 12 x 7 Jahre 5_ 2000
Der Mensch als sozialer Körper
www.annelisezwez.ch Text von Annelise Zwez publiziert in Katalog „Das Leben oder Stühle für 12 x 7 Jahre“, erschienen im Mai 2000 anlässlich der Ausstellung von Ursula Hirsch im Vebikus in Schaffhausen.
Thema der Kunst von Ursula Hirsch ist der Mensch. Der Mensch als sozialer Körper. Was die Künstlerin – oft aus Holz – baut, sind Konzepte für Menschen. Mit den Massen des Körpers konstruiert, seinem Bild nachgeformt. Zuweilen mit den Farben der Charaktere aufgeladen. Immer Einladungen zur Kommunikation.
Ob im Stadtraum, im Büro oder in der Wohnung – der Mensch bewegt sich in Architektur. Verkehrsadern, Häuser, Möbel. Der Wechselwirkung von Mensch und Architektur gilt das Interesse Ursula Hirschs. Architektur als Form und Funktion, ausgerichtet auf Tätigkeit und Körper. Auf Tun und Sein. Wenn das Gesicht die Seele des Körpers ist, ist der Stuhl der Körper der Möbel, notiert die Künstlerin.
Die Haltung des urbanen Menschen ist das Sitzen. Zum Sitzen benötigt der Mensch einen Stuhl. Kein anderes Möbelstück ist so sehr auf ihn ausgerichtet. Seine Gestalt ist Figur. Die Vielfalt seiner Formen sind das Leben. Als Skulpturen sind sie Körper und Mensch in einem.
Der Mensch lebt in der Zeit. Der Kopf denkt in Sekundenbruchteilen, der Körper in Jahren. Die Rhythmen haben wir scheinbar vergessen. Der Körper weiss und lebt sie. Für jedes siebte Jahr hat Ursula Hirsch einen Stuhl gestaltet. Zwölf an der Zahl. Massive Zimmermannsarbeit. Für Kollektive gedacht. Bau nicht Soft-Sculpture. Der Stuhl als Zeit, nicht als Funktion.
Der Stuhl ruht. Er ist Skulptur, Körper, Form. Er wartet, auf den Menschen. Auch Performance ist Skulptur. Bewegung, Lebendigkeit, Ausdruck, Tanz. Skulpturen, ruhend und bewegt, Form und Körper, sind die Kernstücke der Fotografien, die Ursula Hirsch mit einem männlichen Modell inszenierte. Sie bilden das Zentrum der vorliegenden Publikation.
Fotografierte Performance ist gefrorene Zeit. Betrachten heisst sie neu in Bewegung setzen. Skulptur und Performance treten in Dialog mit der Wahrnehmung des Subjekts. Die in den Stuhlformen nachgezeichnete Lebenszeit wird in der Interpretation zum (eigenen) Film.
Ursula Hirsch arbeitet zugleich analytisch wie intuitiv. Sie liebt es nicht, wenn zwei und zwei als Resultat vier ergibt. Es sei denn, es sei damit die vierte Dimension gemeint. Die Dimension der Spiritualität im Sinne von Offenheit, Freiheit, Fantasie, Traum, Vision. Geistig und körperlich-lebendig in einem.
Die zwölf Stühle verweigern sich einem einseitig aufklärerischen Impetus. Mit der Symbolik der Zahl Sieben öffnen sie Enge. In den Skulpturen ballen sich Erinnerung an die eigene Kindheit und Vorstellung vom Sein. Tanz mit dem, was sein könnte. Dem Altern, dem Sterben schauen sie ins Gesicht. Und träumen von der Verheissung des Rück-Blicks in der Auferstehung. Wer weiss. Denken ist Freiheit. Kunst ist Freiheit. Tanz ist Freiheit. Dialog ist Ausdruck.
Foto: Präsentation der Skulpturenreihe anlässlich einer Atelier-Werkschau der Künstlerin in Zürich-Wiedikon 2008