Victorine Müller Kunsthaus Grenchen 2000

Wenn die Luft ausgeht und das Wasser überläuft

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 2. Mai 2000

Die 1961 in Grenchen geborene Victorine Müller ist als Performance-Künstlerin in aller Kunstfreaks Munde. Nun hat sie im Kunsthaus Grenchen ihre erste Einzelausstellung inszeniert.

Für das treue Publikum des Grenchner Kunsthauses war es Schock: Mit der Vernissage der Ausstellung von Victorine Müller schleift die junge, multimediale Kunst nun auch diese Bastion traditionellen Kunstverständnisses. Und dies erst noch mit einer einheimischen Künstlerin, die zu fördern naheliegend ist … Nach einer vorsichtigen Angewöhnungszeit setzt die junge, neue Kunsthaus-Leiterin, die Seeländerin Dolores Denaro, einen Akzent der Öffnung. Sie wird ihn auf die Dauer nicht überspitzen – für mehr als einen Exploit pro Jahr reicht das selbst mit Sponsorengeldern angereicherte, Minimalst-Budget sowieso nicht.

Victorine Müller, Absolventin der freien Gestaltungsschule „F+F” in Zürich, an der so Prominente wie Gerhard Lischka oder Frantisek Klossner unterrichten, hat in den letzten fünf Jahren mit Performances Aufsehen erregt; in Zürich, in Bern, in Graz, in New York usw. Ihre Bild- und Erfahrungswelt ist einer der Haupt-Strömungen weiblicher Video-Kunst nicht fern – Körper, Wasser, Licht, Farbe, Luft und Latex spielen zentrale Rollen. Doch Victorine Müller ist keine Video-Künstlerin – sie inszeniert nicht am Schneidepult, sondern setzt den eigenen Körper oder jene von Freunden online in Szene. Das zumindest tat sie bisher und das wird sie auch an der Performance vom 26. Mai im Garten des Grenchner Kunsthauses machen.

Im Museum aber versucht sie – erstmals überhaupt – ihre Performances in eine Form überzuführen, die auch als Ausstellung funktioniert. Sie möchte, wie sie sagt, die unmittelbare, körperliche Erfahrung, die das Miterleben vor Ort vermittelt, auch ohne die Anwesenheit von Menschen evozieren. Dank dem ausserordentlichen Engagement von vielen Seiten, konnte die Künstlerin hiezu im ganzen Haus frei experimentieren, die Räume orange und grün streichen, das Parterre in eine Dunkelkammer mit weichem Boden verwandeln, Wasser- und Luftobjekte einbauen, Klang- und Bildwelten als Mehr-Kanal-Videos und grossformatige Projektionen einrichten. Allein schon die Fülle schafft ein Ambiente, das über die Region hinaus bedeutsam ist. Auch wenn – national gesehen – so neu nicht ist, was Victorine Müller in der Transposition ihrer Performances zeigt.

Ins verdunkelte Parterre steigt man über eine mit schwarzem Tuch ausgelegte, Schaumstoff-Matrazen-Landschaft. Damit ist von Anfang an die Aufmerksamkeit des Körpers gefordert. Das „schwarze” Licht, das weiss weisser als weiss erscheinen lässt, sorgt für „Geisterbahn-Atmosphäre” und lässt den amorphen, gelben See auf dunklem Grund fluoreszieren. Eine querformatige Foto zeigt, wie man den (Plastik)-See als Nixe um den Körper schlingen kann. Modelle weisen auf die Performance, die am Anfang stand und dann läuft auch diese ab, auf die Raumwand um die Ecke projiziert: Ein Zylinder, so gross, dass die grosse, schlanke Künstlerin nackt darin Platz hat und das Wasser läuft, mit gelblichen Pigmenten sichtbar gemacht. Beine, Scham, Bauch, Brüste, Kopf – wo bleibt die Luft zum Atmen?

Es gelingt der Künstlerin, die Besucher emotional, körperlich und visuell anzusprechen, ohne aber die Intensität der direkten Begegnung zu erreichen. Zu oft ist man in Ausstellungen schon in schwarze Räume gelotst oder zum Begehen von „fremdem” Grund animiert worden. Immerhin schafft der Parcours die Bereitschaft, die Video-Projektion mit dem ganzen Körper zu betrachten. Und da kommt die Qualität der künstlerischen Arbeit zum Tragen: Die Sinnlichkeit des Fühlens und Schauens und die Gleichzeitigkeit des Bangens angesichts der Gratwanderung zwischen Lust und Bedrohlichkeit des Elementes – hier Wasser, im oberen Stock Luft. Die Performance „subp.spiro” hat auch der Ausstellung den Titel gegeben: „Experiment mit der Luftpumpe”. Hier handelt es sich um einen transparenten Plastik-Kubus, in dem sich mehrere Menschen aufhalten während mit einer Pumpe die Luft so lange abgezogen wird, bis die Menschen „vakuumiert” sind. Wichtig ist Victorine Müller, hier und immer, dass keine Grenzen ausgereizt werden. Im konkreten Fall steckt sie zu gegebener Zeit jedem Performer einen Luft-Halm in den Mund. In Grenchen sind Modell, Video und Szene zu sehen – Dokumentation somit. Darüber hinaus aber auch ein Fünf-Kanal-Video, das fünf Porträts von fünf Performern zeigt; somit Nähe , die weder im Video noch live so wahrgenommen werden können. Die emotionale Spannung kann sie damit in die Ausstellung einbringen, wohl aber erweitert sie ihre eigene Arbeit von der Performance zum eigenständigen Video hin.
Qualitativ hat das Kunsthaus Grenchen den Einstieg in die Performance- und Videokunst mit Bravour gemeistert. Bleibt zu hoffen, dass es nicht eine glückliche Eintagsfliege war.

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