Kunstgeschichte: Biel – die Stadt der Schweizer Skulptur

Das am 17. Juni Vernissage feiernde „Transfert” Kunst-Event ist die 10. Schweizer Plastikausstellung in Biel. Im Centre PasquArt wird aus diesem Anlass ihre spannende Geschichte aufgerollt.

Es war die Pioniertat eines Einzelnen: Im Januar 1954 reicht der Rektor der Bieler Mädchensekundarschule, der Neuenburger Marcel Joray, beim Stadtpräsidium ein Gesuch um Unterstützung einer Schweizerischen Skulpturenausstellung im Freien ein. Und findet dabei Unterstützung. Nicht nur bei der Stadt, auch beim Kanton und beim Bund und bei der Wirtschaft der Region. Die Initiative des feurigen Kunstliebhabers kommt zur richtigen Zeit. Mitte der 50er Jahre wandeln sich die schwierigen Nachkriegsjahre in Mut und Möglichkeit zum Aufbruch. Mit einem Budget von 41’000 Franken realisiert Joray die erste Freilicht-Skulpturenausstellung nicht nur der Schweiz, sondern, zusammen mit Anvers und Middelheim in Holland, sogar Europas. Nicht weniger als 250 Skulpturen von 70 Schweizer Künstlern finden ihren Platz im Park der Schulanlage Rittermatten, deren Rektor Joray ist.

Joray ist ein guter Taktiker. Obwohl selbst ein glühender Enthousiast der abstrakten Kunst, wählt er eine gute Mischung zwischen Tradition und Fortschritt. Das heisst, mit dabei sind ebenso Klassiker wie Hermann Hubacher, stilisierend neue Form Suchende wie André Ramseyer oder Germaine Richier, aber auch deziert ungegenständlich Arbeitende wie Max Bill, Hans Aeschbacher und Walter Linck. Joray bleibt bis 1970 federführender Leiter der Bieler Plastikausstellungen. Dabei drängt er stetig weiter. Im Vorfeld der Ausstellung von 1958 schreibt er: „Die damit fortfahren, die Alten und Klassischen wie Rodin oder Bourdelle, zu kopieren, können uns heute nicht mehr interessieren” … Es gilt zu zeigen, dass „die Schweiz an der Universalität der zeitgenössischen Kunst teilhat”. Höhepunkte der zweiten Plastikausstellung sind unter anderem Werke von Alberto Giacometti (damals noch keine Millionen Wert!), von Serge Brignoni und Bernhard Luginbühl. Die Eidgenössische Kunstkommission tätigt einen Rekord-Ankauf: Sie erwirbt 20 Skulpturen für rund 120’000 Franken. 1962 kommt die erste Krise: Die städtischen Behörden finden, es könnte sich nun eigentlich einmal eine andere Schweizer Stadt für die Skulptur engagieren … Doch Joray bleibt hartnäckig – auf die aktuellen Diskussionen um die Wechselwirkungen Kunst und Publikum eingehend, wählt er 1962 als Standort das stark begangene Seeufer. Was prompt zu heftigen Diskussionen führt, da nun plötzlich auch das kunstungewohnte Publikum mit Form und Gestalt der Zeit konfroniert wird. Immerhin lehnt der Kanton die Forderung eines in seinem „Schamgefühl verletzten” Bürgers ab, die nackte „Kyra” von Max Weiss aus der Ausstellung zu entfernen. Und die Kunstkommission der Stadt kontert, indem sie die Plastik ankauft.

Die Schweizer Plastik findet in den 60er Jahren grosses, internationales Echo. Man spricht von der „Plastikernation” Schweiz. Die Bieler Plastikausstellungen haben unzweifelhaft zum Bekanntheitsgrad der Schweizer Skulptur im In- und Ausland beitragen. Während die Ausstellung von 1966 einerseits Triumphe feiert, wird andernorts bereits von „Genügsamkeit” gesprochen. Obwohl insbesondere Berner Künstler wie Ueli Berger, Herbert Distel und Willy Weber neue Tendenzen einbringen und es gelingt, die Skulpturenausstellung in den Stadtraum, insbesondere in die Umgebung des neuen Kongresshauses, zu weiten. Doch eine Neuausrichtung ist nach 1970 unausweichlich. Marcel Joray tritt zurück, die „Stiftung Schweizerische Plastikausstellung” wird gegründet und mit dem Architekten Maurice Ziegler ein neuer Leiter eingesetzt.

1975 ist die Kunst im Freien eine andere. Die Atelierskulptur hat ausgedient – die Skulptur tritt nun in Dialog mit der Architektur und ist eminent politischer. Die umweltkritischen Thesen des „Club of Rome” rufen neue Themen auf den Plan. Neben der Präsentation von plastischen Arbeiten werden Aktionen, Prozessionen, Happenings und Zeremonien inszeniert. Konflikte sind vorprogrammiert und treten auch ein. Die Kunst hat Konjunktur, 1980 ist Biel ist längst nicht mehr der einzige Ort, der Kunst im Freien zeigt („Grün 80”, Wenkenpark, „Kunst auf dem Wasser”, usw.). Biel sucht Position, indem es die Skulpturenausstellung von 1980 mehrheitlich in die „Neustadt”, an den Puls des Lebens, verlagert und einen Schwerpunkt bei didaktischer Arbeit sucht. Akzente setzen speziell für Kinder konzipierte Plastiken. Die Ausstellung wird in der Schweiz nach wie vor als „wichtig” erachtet, aber das Pionierhafte ist ihr entglitten. 1986 sucht Niklaus Morgenthaler mit einem klaren Credo für ortsspezifische Installationen die Bieler Festung zu halten, doch Parallelveranstaltungen in Lenzburg, in Bex, in Môtiers etc. sind harte Konkurrenz.

Wie neu und pionierhaft die Ausstellung von Bernhard Fibicher vor neun Jahren war, entging den meisten. Die Kritik war hart. Denn die Kunst zeigte sich in Fibichers Vision nicht mehr heldenhaft und monumental, sondern als Kontrapunkt zur Hochkonjunktur bescheiden, unsichtbar, klein. Über den ganzen Stadtraum verteilt war sie für Auswärtige ohne Führung kaum mehr wahrnehmbar. Im Rückblick jedoch ist sie Beginn einer neuen Kunstauffassung, welche nicht den Kunsttourismus im Visier hat, sondern wache und neugierige Menschen in der Stadt. „Transfert” wird das noch deutlicher zeigen als die Ausstellung von 1991.