Black Box Kunstmuseum Bern 2001

Das Phänomen der Dunkelkammer

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt 19.06.2001

Jeder Kinosaal ist eine Black Box. Wir sehen uns den Film an und denken nichts weiter. Doch jetzt ist die Black Box – der Schwarzraum in der (Licht)-Kunst – Thema einer Ausstellung im Kunstmuseum Bern.

Szeemanns Biennale-Ausstellung ist über weite Strecken eine Wanderung von Black Box zu Black Box, von Video- zu Videoprojektion. Das ist in der von Ralf Beil kuratierten Black Box-Ausstellung im Kunstmuseum Bern ähnlich und gleichzeitig sehr viel anders. Hier wird – erstmals – über Eigenheiten, Bedingungen und Effekte der Black Box nachgedacht. Das Konzept mit Katalog und zwölf exemplarischen Dunkelkammern von Tatsuo Miyajima über Douglas Gordon bis Louise Bourgeois ist dabei allerdings etwas professoral geraten. Denn jeder Raum steht für ein Prinzip – sei es, als historische Rückverankerung, das mobile Transparenten-Kabinett, mit welchem der Berner Niklaus König 1820 gar bis zu Goethe reiste – sei es der Kinoraum, der unseren Blick auf das Licht-Geschehen fokussiert (Rodney Graham), seien es irrlichternde stroboskopische Blitze, welche den Zeitfluss auszublenden scheinen (Olafur Eliasson).

Vielleicht ist es indes gerade die Aufgabe eines öffentlichen Museums, mediale und historische Verbindungslinien aufzuzeigen, welche die Kunst, und Felder weit darüber hinaus, als Strukturen mitbestimmen. Das Museum als Ort der Analyse – im Gegensatz zur verführerischen Konsumebene einer Biennale oder eines Marktplatzes wie die Art in Basel. Es ist unschwer zu erraten, dass die Ausstellung unter anderem die Struktur der geplanten Verbindung des Berner Museum Kunst der Gegenwart (als Teil des Kunstmuseums) mit dem Lehrstuhl für zeitgenössische Kunst der Universität Bern aufzeigen soll. Die Bedeutung von „Black Box“ ist dementsprechend eher im phänomenologischen Bereich zu suchen, denn im Wesen der einzelnen Kunstwerke selbst. Was keineswegs heisst, dass die Qualität der gezeigten Beispiele zweifelhaft wäre. Da reihen sich Cracks von Tony Oursler bis Janett Cardiff aneinander, da wurden, meist ältere und bereits mehrfach gezeigte Arbeiten, ganz bewusst auf ihre Position in Bezug auf den Schwarzraum ausgewählt. Und gut ausgewählt, wenn auch das Fehlen des weltweit bedeutendsten Künstlers zum Thema, James Turell, schmerzt. Das (un)liebe Geld!

Die intellektuell präzise Wahl heisst aber nicht zwingend, dass alle Künstler ihre Werke bewusst aus diesem Blickwinkel heraus geschaffen haben. Anders ausgedrückt, sie werden in Bern zum Teil für die Zwecke der Ausstellung instrumentalisiert. Und das kann heissen, dass ein Teil ihrer künstlerischen Kraft verloren geht. Ein Beispiel: „Leçon de ténèbres: les ombres“ von Christian Boltanski – eine Wand mit 23 versetzt angeordneten, kleinen, in den Raum auskragenden Metallträgern, auf welchen je eine Kerze und eine auf einem Draht befestigte Figur angebracht ist; so, dass auf der Rückwand markante Schattenwürfe der Figuren entstehen. Die Arbeit war 1987 eines der Highlights in Jürgen Glaesemers Berner Ausstellung „Die Gleichzeitigkeit des Andern“ und ist seither Teil der Museums-Sammlung. Doch was bei der Erstinstallation Dimensionen zwischen den Schatten der Vergangenheit (Boltanskis Hauptthema ist der Holocaust) und der Spiritualität der Gleichzeitigkeit von Hier und Dort evozierte, steht jetzt, relativ nüchtern, für die Darstellung des Prinzips von Platons Höhlengleichnis von Materie, Licht und Schatten. Und das mag der Grund sein, warum sich die in die Erinnerung eingebrannte Faszination nicht so recht wiederholen will.

Diese Beobachtung hat zur Folge, dass sich in der Ausstellung jene Arbeiten am nachhaltigsten einschreiben, die aus sich heraus die Black Box thematisieren. Zum Beispiel die Arbeit des Berner Künstlers Rudolf Steiner (37). Er hat eine Kamera (Inbegriff der Wechselwirkung von Black Box und Licht-Bild) auf ihre Grundkonstitutiven reduziert und den Einschuss von Licht in eine schwarze Schachtel untersucht. Konkret: Er hat mit einem Luftgewehr in eine mit Fotopapier ausgelegte Black Box geschossen. Erstaunlicherweise hat er damit sein eigenes Abbild in Kamera katapuliert. Denn die Fotos zeigen seine Silhouette (als Negativ), allerdings mit einem Loch im Auge … Die Arbeiten sind unspektakulär, öffnen sich aber vom Phänomen her zu vielfältigen Denkfeldern.

Einer, der neben spektakulären (Video)-Arbeiten immer wieder die Recherche an sich sucht, ist der Amerikaner Gary Hill (50). In „Searchlight“ fokussiert er im Zentrum einer Black Box ein – an Raetz’s Fernrohrbilder erinnerndes – Rundbild, das Himmel und Wasser horizontal trennt. Indem er das in einem Rohr platzierte Videobild langsam nach links respektive rechts schwenkt, verwandelt sich das Abbild in einen abstrakten eliptischen Lichtkegel und analog diffundiert auch das begleitende Rauschen. Nur im Labor der Black Box kann sicht- und hörbar werden, was zu unserem physikalischen Alltag gehört. Oder, wie es Hans-Rudolf Reust im Katalog formuliert: „Das lesbare Bild, der dekodierbare Ton bleiben ausgezeichnete Sonderfälle in der unendlichen Möglichkeit generierbarer und zu empfangender Signale.

Zu den Inhalt und Phänomenologie verbindenden Arbeiten gehören als Highlights die nächtliche Autofahrt von Stephanie Smith und Edward Stewart (GB) sowie – weit entfernt von allen anderen Arbeiten – die Bilder in Tageshelle Schlafender in den Strassen Mexicos von Francis Alÿs.

Der Katalog enthält Essays von Ralf Beil, Elisabeth Bronfen, Peter Schneemann u.a. Preis: 48 Franken.