Eine Sammlung mit Mut zu lokaler Sicht
Die Sammlung der „Mobiliar“ und aktuelle Hodler-Sichten im Kunstmuseum Bern. Neue Mittellandzeitung vom 7. März 2001
Das Kunstmuseum Bern gewährt der „Corporate Collection“ der Schweizerischen Mobiliar-Versicherung Gastrecht. Höhepunkt der Ausstellung sind die multimedialen Interpretationen zu Hodlers „Holzfällern“.
Dass Kunst sammeln heute zur „Corporate Identiy“ eines auf Image bedachten Unternehmens gehört, ist positiv. Sowohl kulturell wie auch für die Kunstschaffenden. Die Sammlung der Schweizerischen Mobiliar-Versicherung, die aus Anlass ihres 175-Jahr-Jubiläums im Kunstmuseum Bern Gastrecht hat, zeigt indes, dass hoher Qualität zum Trotz das Doppelgesicht solcher Sammlungen nicht vergessen werden darf. Liselotte Wirth Schnöller, Kunst-Beauftragte des Unternehmens, schreibt es in dem vom Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft herausgegebenen Sammlungsband, ungeschminkt: Die „political correctness“ ist bei Ankäufen jederzeit zu wahren. Die Aufgabe der Kunst kann es aber nicht sein, jederzeit konform und apolitisch zu sein. Und es ist auch nicht ihre primäre Aufgabe, sich als sichere Anlage in Form von Dauerhaftigkeit versprechenden Ölbildern, Eisen- und Marmorskulpturen zu präsentieren. Kauft ein Unternehmen unter diesem Blickwinkel, kann zwar eine äussert gepflegte Sammlung entstehen, aber kein echter Spiegel des Spannungsbogens der Kunst. So kommt es, dass in der qualitativ durchaus überzeugenden Sammlung der „Mobiliar“ eine grossformatige Arbeit von Martin Disler aus den späten 80er-Jahren schon fast skandalträchtig wirkt und Gattungen wie zum Beispiel die Objektkunst kaum existieren.
Diesem bei vielen Firmen-Sammlungen zu beobachtenden, ambivalenten Aspekt, steht bei der Mobiliar Eigenständigkeit in Bezug auf die Zusammensetzung der Sammlung entgegen. Hier wird nicht nach einem internationalen Markt-Rating gekauft, sondern, dem Sitz und dem Tätigkeitsfeld des Unternehmens entsprechend, Schweizer Kunst betrachtet aus dem Blickwinkel Bern. Oder, anders ausgedrückt, es wird mit Recht davon ausgegangen, dass jede Kunst, ob regional oder international, irgendwo „zuhause“ ist. Bedeutende Berner Künstler und Künstlerinnen sind dementsprechend breit vertreten. Die Reihe geht zum Beispiel von Marguerite und Viktor Surbek über Meret Oppenheim und Otto Tschumi bis Werner Otto Leuenberger und Alois Lichtsteiner. Oder von Peter Stein und Franz Gertsch über Balthasar Burkhard und Leopold Schropp bis zu Silvia Gertsch, Babette Berger und Chantal Michel. Die Sammlung ist ein eindrückliches Zeugnis der Kraft der Berner Kunstschaffenden im 20. Jahrhundert. Man kann die Chronologie der Schweizer Kunst in der Sammlung aber nicht nur über den Aspekt Bern, sondern zum Beispiel auch über Ferdinand Hodler, Alice Bailly und René Auberjonois, Verena Loewensberg, Gianfredo Camesi, Gaspare Otto Melcher, Urs Lüthi und John Armleder nachzeichnen. Rund 500 Werke umfasst die Sammlung heute um die 100 repräsentative Beispiele sind nun im Kunstmuseum Bern ausgestellt, begleitet von einem Sammlungskatalog mit Werkverzeichnis. Die Herausgabe des letzteren war eine der Bedingungen des Museums, denn mit der Publikation der Sammlung erhält diese dauerhaft Öffentlichkeit.
So schön die Ausstellung und so ansprechend das Konzept mit verschiedenen Kapitel wie „Fantastische Welten“, „Reflexion und Wahrnehmung“, „Geometrie und Farbe“ auch ist, es fehlt ihr der Faktor Provokation. Dem Museum war das offenbar bewusst und schlug der Mobiliar darum eine Sonderausstellung vor mit multimedialen Werken zur Mobiliar-Fassung von Hodlers „Holzfällern“; quasi die Fortsetzung einer ersten Installation, die Raoul Marek 1995 schuf indem er dem Cliché-Bild des Schweizers eine schief gestellte Kordel-Abschrankung voranstellte und so auf die fragile Position des die Axt aufziehenden Holzfällers hinwies. Die realisierten Arbeiten von Marie-Antoinette Chiarenza, Hervé Graumann, Esther van der Bie, Laurent Schmid, Ana Axpe und Franticek Klossner sind ein künstlerisches Highlight. Ansichts des betont Männlichen des Bildes ist es nicht verwunderlich, dass die Künstlerinnen Lust hatten den Macho zu „fällen“. Ana Axpe zum Beispiel mit einem Doppelvideo mit zwei seilziehenden „Girlies“ links und rechts der Fotografie eines weiblichen Models in Homosexuellen-Pose mit machtstrotzender Motorsäge. Spannend der Kontrast zur Arbeit von Franticek Klossner, der eindrücklich auf ein anderes Männerbild abzielt. Er zeigt hinter frisch geschlagenem Holz ein interaktives Video; bei jedem Sprachappell nimmt die kauernde, nackte Männerfigur auf dem Waldboden eine andere Position ein oder sie rennt mit einer Fackel durchs Tunnel zu neuen Ufern.
Infos zu Sammlung, Ausstellung und Rahmenprogramm über www.mobikunst.ch