Hannah Villiger Kunsthalle Basel 2001

Erforschte ihren Körper mit der Kamera

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Neue Mittelland Zeitung 29. August 2001

1997 starb die Schweizer Künstlerin Hannah Villiger 46jährig in Paris. Nun zeigt die Kunsthalle Basel ihr zugleich fotografisches wie „skulpturales“ Werk im Überblick – begleitet von einer umfassenden Monographie mit Werkverzeichnis.

Als Hannah Villiger 1974 in Toronto ausstellte, sah die junge Absolventin der Bildhauerfachklasse bei Anton Egloff in Luzern ihre Zukunft im Bereich der von der Minimal Art beeinflussten Skulptur. Und wurde dafür auch mit Stipendien ausgezeichnet. Obwohl bereits ab 1975 parallel dazu Fotografien entstehen, die durch Editionen klar als „Werke“ definiert sind, setzt die Rezeption ihres fotografischen Werkes erst mit den ab 1980 entstehenden Körper-Farbaufnahmen auf breiter Ebene ein. Weil sie diese konsequent als „Skulpturen“ bezeichnet, wird der Aspekt der Fotografie lange in den Hintergrund gedrängt. Etwa im Sinne von: Obwohl Hannah Villiger fotografiert, ist sie eigentlich Bildhauerin. Diese Wertung, die als „Plus“ für die Künstlerin gedacht war, gründet darin, dass die Fotografie als Kunstform ihren Siegeszug erst sehr viel später antritt.

Anders heute: Der von einer umfassenden Buchpublikation mit Werkverzeichnis begleitete Rückblick in der Kunsthalle Basel (kuratiert vom Basler Künstler und Nachlass-Verwalter Eric Hattan) fällt in den Zenit der Wertschätzung von Fotografie in der Kunst . Entsprechend geschärft ist der Blick und wie nie zuvor zeigt sich Hannah Villigers Werk als Pionierarbeit der zeitgenössischen Fotografie. Die Konsequenz mit welcher sie die Kamera als Arbeitswerkzeug einsetzt, um zu nie gesehenen Bildern des Körpers zu gelangen, ist einmalig. Dass sie hiefür an der Basis die Polaroïd-Kamera einsetzt, gründet in den bekannten Parametern wie Plastizität der Aufnahme, Sofort-Bild usw., aber auch – und das ist vielleicht noch wesentlicher – im direkten Körperkontakt von Kamera, Film und Bild. Bei restlos allen Körperfotografien, und sie bilden das Zentrum des Werkes, hält die Künstlerin die Kamera in der Hand und fotografiert sich selbst in verschiedensten und ungewöhnlichsten Körperhaltungen. Die Armlänge bestimmt die Distanz und – als Folge – den Ausschnitt, beinhaltet aber auch die Unmöglichkeit Ganzheit zu sehen. Dabei wechseln Aufnahmen von wiedererkennbaren Körperteilen wie Hände, Füsse etc. mit Aufnahmen, deren Lokalisation oder Stellung kaum eruierbar sind. Ein Rezipient sprach einmal von der Hand als „Meissel“ und der Kamera als „Hammer“, mit welchen sie den Körper „skulptiere“.

Triebfeder war aber zweifellos auch, was Ulrich Loock anlässlich einer Austellung im Kunstmuseum Luzern 1998 herausschälte: Die verzweifelte Suche des Menschen nach dem eigenen Bild, das er nie sehen kann, sondern nur aus dem Spiegel kennt respektive vom Blick auf Andere auf sich selbst rückprojiziert. Hannah Villiger antwortete darauf, in dem sie ist die Fragment-Aufnahmen über ein Internegativ vergrösserte (vielfach auf 123 x 125 Zentimeter) und in Blöcken zu neuen (Kunst)-Körpern kombinierte.

So sind denn Hannah Villigers fotografische Körper-Skulpturen zugleich eine Erweiterung des kunstimmanenten Begriffs der Skulptur, wie Resultat einer ganz persönlichen Motivation. Gerade das manische, nicht von Krisen verschonte, existentielle Moment, welches das Konzeptuelle stets unterfängt, macht Hannah Villigers Schaffen auch zu einem wesentlichen Beitrag der Kunst von Frauen in ihrer Zeit. Es ist nicht Zufall, dass die Körperfotografien ihren Anfang in Basel nehmen, wo die Galerie Stampa seit Mitte der 70er Jahre Video- und Fotokunst feministischer Richtung zeigt. Und Miriam Cahns Slogan: „Mein Frausein ist mein öffentlicher Teil“ ist nicht so weit von Hannah Villigers: „Mein Körper ist mein Kapital“.

Von offzieller Seite wurde die Bedeutung von Hannah Villigers Werk früh und kontinuierlich anerkannt. In Museumssammlungen (vor allem in Basel, Aarau und Zug) finden sich wesentliche Werke. Darunter der frühe Block von 1980, der noch vor den nackten Körperfotografien entstand, und in seiner farbig-erotischen Erzählkraft Fotografien und Videos der 90er Jahre geradezu vorwegnimmt. Und in erstaunlicher Direktheit mit den letzten Blöcken, die farbige Stoffe kräftig, sinnlich und skulptural ins Bild setzen, kurzschliesst. Beeinflusste ihr Gesamtwerk die zeitgenössische Fotografie in hohem Mass, sind die letzten Arbeiten Hannah Villigers wohl, umgekehrt, ihre Antwort auf die die jüngere Generation (Hannah Villiger unterrichtete von 1992 – 1996 an der Schule für Gestaltung in Basel).

Auf dem (Kunst)-Markt freilich hatte die ab 1987 in Paris lebende Schweizerin nie Erfolg, trotz Ausstellungen in namhaften Galerien im In- und Ausland. Zu „schwierig“ war die Präsenz des nicht auf Ästhetik ausgerichteten weiblichen Körpers, zu früh ihr Anspruch an die (finanzielle) Gleichbewertung von Fotografie und Malerei respektive Skulptur. Ob die Basler Ausstellung, die anschliessend in Bonn und in Grenoble gezeigt wird, dies angesichts der heutigen Sicht auf die Fotografie korrigieren wird, ist – nicht zuletzt zugunsten ihres heute in Senegal lebenden, 10jährigen Sohnes – zu hoffen.

Begleitpublikation im Scalo-Verlag, herausgegeben von Eric Hattan ( Nachlassverwalter) und Jolanda Bucher (Kunsthistorikerin). Mit Texten von Claudia Spinelli, Annelie Pohlen, Jean-Christophe Ammann u.a. Deutsch/Englisch.