Leiko Ikemura im Musée des Beaux Arts in Lausanne 2001

Und in der Seele Miko die Katze

www.annelisezwez.ch      Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 02.05.2001

Der Lausanner Interimsdirektorin Catherine Lepdor ist ein Coup gelungen. Sie holte die japanisch-schweizerische Künstlerin Leiko Ikemura (50) nach 13 Jahren in ein Schweizer Museum zurück.

Wer eine Ausstellung im Musée des Beaux Arts in Lausanne besucht, durchschreitet normalerweise drei Sammlungssäle mit Werken vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, um zur aktuellen Wechselausstellung zu gelangen. Leiko Ikemura spannt die Thematik ihres Schaffens und ihrer Ausstellung gleich von Beginn weg aus. Sie konfrontiert repräsentative 18.-Jahrhundert-Porträts mit glasierten Keramik-Büsten, die ihr Menschsein nur andeuten. Amorphe Figurationen, geformt aus Tonerde, fast ohne Gesichter. Die Honoratioren aus der Zeit der Aufklärung sehen sich mit Fragen zur Basis ihrer menschlichen Natur konfrontiert. Die Spannweite könnte nicht grösser sein. Es sind Arbeiten, die zwischen 1993 und 1996 entstanden sind und das nach 1990 stark veränderte Schaffensbild der Künstlerin neu definiert haben.

Heiterer und spielerischer ist die Parade kleiner Bronzefiguren (alle 2001), mit welcher die Künstlerin die Besuchenden durch den 19.-Jahrhundert-Saal mit Gleyre, Anker und Hodler führt. Es ist Mikos Auftritt hier, der schlanken Katze mit den weiblichen Zügen. Sie sind Balthus‘ Erotik nicht fremd, wenn auch sehr viel weniger ausgeformt und näher am (eigenen) Körper. Miko meint im Japanischen «schönes Gesicht», aber auch «Priesterin». Miko ist vielleicht so etwas wie Ikemuras Venus-Natur, nicht als Form, sondern als sinnliche Begleiterin von Denken und Empfinden. Schon in der «wilden» Phase der 80er-Jahre sagte die damals mit einem Schweizer Kunstkritiker verheiratete Malerin, sie suche Bilder für psychische Räume. Das ist heute nicht anders. Nur ist das Erzählerische weitgehend gewichen, um – in den besten Arbeiten – zugleich meditativen, wie figürlichen und sinnlichen Daseins-Räumen Platz zu machen.

Äusserst eindrücklich zum Beispiel in den schlafenden, sinnenden und weinenden Mädchen-Figuren, die Ikemura im satt-gelb ausgemalten, für die Ausstellung geleerten, dritten Sammlungs-Raum auf improvisierten Tischen zeigt. Märchenhaftes klingt an, Blumen, Körper, Kleider, Kinder. Wie die Büsten zu Beginn sind sie aus Keramik geformt und farbig glasiert, entstanden zwischen 1994 und 1997. Die Leere im Innern der (Blumen)-Röcke ist zugleich
materialtechnisch zwingend wie Ausdruck von Befindlichkeit, die des Fleisches nicht bedarf. Allerdings nicht im körperfeindlichen Sinne des Christentums, sondern als eine Art sinnliche Spiritualität wie sie vor allem das östliche Denken kennt.

Der Hauptraum in der Querachse des Gebäudes ist fast ganz dem gemalten Bild gewidmet, wie es seit Mitte der 90er-Jahre entsteht. Es sind geradezu aquarellhaft wirkende Ölbilder, die den Keramiken formal verwandt sind, aber in gewissem Sinn die immaterielle Form, die Ausstrahlung der Skulpturen zeigen; ihre vielfarbige Aura quasi. Im «Gesichthaften» (Gesicht als Begriff für Vision) wird deutlich, wie die durchgehende Horizontlinie der Bilder nicht einfach Erde und Himmel trennt, sondern die Gleichzeitigkeit des Lebendigen darüber, darauf und darunter meint. Leben und Tod erscheinen nicht getrennt, sondern – wie die Künstlerin in einem Interview sagt – als tägliches Erleben und als immerwährende Struktur des Seins.

Aufgrund dessen aus Ikemura eine Mystikerin zu machen wäre falsch. Davon erzählt nicht zuletzt die Installation in einem der Seitenräume mit kleinen, hängenden Keramiken namens Pichu, Mikon, Mikalin, Momo, Mafu und Pumu. Wer entsetzt an die Tamagochi und ähnliche Figuren denkt, ist nicht auf der richtigen Fährte … oder doch? Denn die an Fäden befestigten Skulptürchen – mal nur Köpfe und Zöpfe, dann wieder ganze Figuren – stehen für Fassetten der Natur, wie sie uns allen eingeschrieben sind – von der Liebe über die Trauer bis zur Aggression. Puppen, die wir mit uns tragen, ob als Kinder oder als Mütter mit Miko im Beutel wie sie im letzten Raum der Ausstellung zum keramischen Gruppenbild versammelt sind.

All das hat Platz in Ikemuras bekennender Spiritualität. Sie mag unterschwellig einer der Gründe sein, warum die heute in Köln und Berlin Lebende – eine der wichtigsten Künstlerinnen der 80er-Jahre – trotz ihrer Präsenz in Schweizer Galerien im Lande Zwinglis und Calvins seit 13 Jahren von keinem Museum mehr im Überblick gezeigt wurde; ganz im Gegensatz zu Deutschland und Japan.

Bis 24.06.2001Der im Skira-Verlag erschienene Katalog (französisch/deutsch) kostet 35 Franken (Texte: Catherine Lepdore, Caroline Nicod, Doris van Drathen, Kathrin Luz, Barbara Weidle).