Machen Sie mutige Ausstellungen

Tina Grütter zeigt im Museum Allerheiligen in Schaffhausen zum Abschied Markus Häberli. Bis 29.04.2001

Die Solothurner Kunstpreisträgerin Tina Grütter (1942) verlässt nach 15-jähriger Kuratorentätigkeit das Museum Allerheiligen in Schaffhausen. Zum Abschied bringt sie den Beuys-Schüler Markus Häberli (1954) „aufs Tapet“.

Als sie per 1. März 1986 als Leiterin der Kunstabteilung des Museums Allerheiligen in Schaffhausen gewählt worden sei, habe ihr Stadtpräsident Felix Schwank den Leitsatz ihrer Tätigkeit mit auf den Weg gegeben: „Machen sie mutige Ausstellungen“. Das habe sie gleich umgesetzt und um die von Willy Rotzler für Deutschland konzipierte 50er-Jahr-Ausstellung „Konstruktion und Geste“ in die Schweiz zu bekommen einen Kredit von 50’000 Franken verlangt. Was bei der Regierung schlank durchging und das Kunstmuseum in nationales Blickfeld rückte. In Schaffhausen war (endlich) Aufbruch angesagt. Die Zürcher „Bewegung“ der frühen 80er Jahre schwappte bis über den Rhein. Um Kunstgeschichte ging es in der Folge punktuell; im Zentrum stand die (kritisch betrachtete) Gegenwart.

Dass sich die in Solothurn aufgewachsene Kunsthistorikerin mit einer Ausstellung des in Basel lebenden Schaffhauser Künstlers Markus Häberli verabschiedet, ist Zufall. Und doch spannt sich damit ein Bogen, denn Markus Häberli war in den 80er Jahren Kopf der Schaffhauser „Bewegung“, wurde von Tina Grütter in ihrem ersten Amstsjahr als Manorpreisträger vorgeschlagen und zieht nun in seiner aktuellen Ausstellung über dieselbe Zeit Bilanz. Er bringt, um mit den Worten Tina Grütters zu sprechen, Wesentliches seiner überschäumenden Kreativität nicht mehr nur am Tisch oder in Zeichnungen „aufs Tapet“, sondern in raumgreifenden Objekten „verkörperlicht“.

Im Zentrum steht dabei ein Interaktivität fordernder Tisch. Ein Möbelstück wie es der Künstler schon 1987 für die Performance „aus Tapet“ als Requisit konstruiert hatte; ein Tisch, bei dem man im Zentrum sitzt und die Tischfläche dem Bewegungs- respektive Denkraum des Körpers entspricht. Auch zur beweglichen Hochglanz-Skulptur weiterentwickelt, lädt er weiterhin zum Einsitz nehmen ein, für den Rundblick respektive zum Abhören „eiernder“ Marschmusik, die von einem in die Tischplatte eingelassenen Video herzukommen scheint, das eine „chaotisch“ drehende Schallplatte zeigt. Eine spannende Arbeit, zugleich die „Möbelkunst“ der Gegenwart spiegelnd wie die kritischen 70er Jahre – die Zeit als Häberli an der Kunstgewerbeschule Zürich studierte und wie viele seiner Kollegen an Joseph Beuy‘s „Internationale Freie Universität“ (Kassel 1977) pilgerte.

Tina Grütter nennt Markus Häberli einen regional bedeutsamen Künstler, der unter seinem Wert bekannt sei, weil ihm kritische Kreativität stets wichtiger war als das Schaffen von Werken. In diesem weltpolitisch kritischen Ansatz spannt sich ein weiterer Bogen zu Tina Grütters Museumskonzept. Der rote Faden, den sie durch ihre rund 70 kleineren und grösseren Ausstellungen zu ziehen suchte, war eine umfassend verstandene kritische Sicht auf die Gegenwart. Eine solche fand sie nicht nur bei Malern wie Rolf Iseli, Gaspare Otto Melcher und Bendicht Fivian, sondern auch bei Objekt- und Aktionskünstlern respektive Bildhauern wie Roman Signer, Leopold Schropp, Klaudia Schifferle, Josef Felix Müller und Gisela Kleinlein. Auch in thematischen Ausstellungen wie – unvergessen – die grossen Inszenierungen „Von den Dingen“ und „Gesichte“ waren ihr die bewusste Interpretation der Gegenwart Leitplanke.

Nicht nur Verpflichtung, sondern Anliegen war Tina Grütter die Wechselwirkung von Museum und Region. Der alle zwei Jahre vergebene Manor-Preis war ihr dabei ein wichtiges Instrument. Doch die Mitte zu finden, respektive den Druck der lokalen Künstlerschaft auszuhalten, sei nicht immer einfach gewesen, sagt die per Ende April scheidene Kuratorin. Sie habe stets versucht, Nähe und Distanz zugleich zu wahren, Gespräche auf die Werke, das Schaffen zu konzentrieren und sich nicht von der Szene instrumentieren zu lassen. Bezüglich der Region ebenso wichtig sei, an die Breite des Publikums zu denken, Geschichtliches ebenso zu gewichten wie die Aktualität. Die Auseinandersetzung mit Otto Dix (der nach dem Krieg in der Nähe von Schaffhausen lebte) zum Beispiel werde für sie eine der wesentlichen Erinnerungen sein – nicht nur die Ausstellungen, sondern vor allem auch, dass es gelungen sei, mehrere wichtige Werke anzukaufen.

Tina Grütter hat nicht nur das laufende Programm (ab 1996 zusammen mit Markus Stegmann) geprägt, sondern insbesondere auch die Entwicklung der Sammlung, die sie in die Gegenwart führte. Mit vielfach vernetzten Kräften (das reguläre Ankaufsbudget beträgt 50’000 Franken) gelang es, aus fast allen Ausstellungen wichtige Werke zu sichern. „Auch die jungen Schaffhauser Stars wie Olaf Breuning oder Yves Netzhammer haben wir bereits für die Sammlung gesichert.“ Privilegiert ist Schaffhausen durch die Sturzenegger-Stiftung, die es dem Museum immer wieder ermöglicht, kunstgeschicht-lich bedeutsame Werke anzukaufen. Dass es Tina Grütter schelmisch freut, dass der Kunstmarkt den Preis für den umstrittenen Ankauf einer späten Landschaft von Ferdinand Hodler bereits verdoppelt hat, versteht sich von selbst, versüsst heimlich den selbstgewählten und dennoch bitteren Abgang in Schaffhausen, wo der einstige Aufbruch zu mutigen Kunsthorizonten vom Konzept eines publikumsfreundlichen Mehrspartenmuseums abgelöst werden soll.

Katalog (Texte: Tina Grütter/Sabine Gebhardt).