Max Hari Katalogtext 2001

Man kann nicht immer wählen, an was man denkt

www.annelisezwez.ch         Erschienen im Katalog zur Ausstellung „Wirklichkeit Malerei“ im Kunsthaus Langenthal März/April 2001

„Wie einer denkt, und, indem er denkt, sich selber herstellt“, postulierte der Schweizer Künstler Max Matter einmal als These seines Kunstschaffens. Zwischen Konzept und Experiment changierend, bestimmte sie sein markantes Werk über Jahre. Überlagert man das Wort Denken mit Malen ergibt sich die These: „Wie einer malt, und, indem er malt (und denkt), sich selber herstellt“.

Mit dieser Variation ist man unverhofft in der  Nähe der Porträt-Reihe, die Max Hari nach seiner Rückkehr aus Berlin im Frühjahr 2000 gemalt hat und die hier im Zentrum steht. Intensive Grossformate, die in wechselnden Farbklängen Figur und Umraum als malerische Landschaften zeigen. Das Wiederkehren von Haltung und Ausschnitt, die Konstanz der helmartigen Frisur, die sinnlichen Lippen, die markante Nase und die grossen, ovalen Augenhöhlen lassen die Porträts als Fassetten ein und derselben Gestalt erkennen. Wer ist sie? Vage kann sich der Künstler an die Begegnung erinnern: Eine Frau in einem amerikanischen Film, die ihn dadurch beeindruckt hat, dass sie bei jedem Auftritt eine andere Physiognomie zeigte, einmal nach aussen gerichtet, dann wieder ganz in sich selbst.

Max Haris expressiv-malerischen Bilder haben weder mit der realen noch der filmischen Wirklichkeit jener Schauspielerin zu tun. Das Fehlen des Identität stiftenden Blicks macht es uns bewusst. Zwar sind die ovalen Augenpartien in allen Bildern markant herausgeschält und die Richtung des Schauens ist definiert, doch Sehen findet nicht statt. Möglicherweise geht das Moment der Figur in urbanem gesellschaftlichem Umfeld auf die Filmfigur an der Basis zurück. Doch ansonsten ist sie Skelett, in das sich der Maler mit allem, was ihn von aussen und von innen bestimmt, hineinprojiziert. Mit jedem Bild und jedem Tag neu. Als Mann, als Frau, als Mann-Frau, in grellem Licht, in warmem Rotbraun, mit sattroten Lippen, im Weiss des Winters, im Blitzlicht des Gelb, in der Vibration des Ungeformten, in der Balance rot-gelber Schatten.

Das Nichtschauen und dennoch Gemaltsein spannt ihre malerische Existenz aus. Sie sind Bild, sind Ausdruck ihres malerischen Selbst und als gemalte Wesen Spiegelbilder des Künstlers, der sie malend und denkend und darin  fühlend erschafft. Obwohl von Max Hari sicherlich nicht beabsichtigt, ergreift einem die Lust, die auf allen Bildern wiederkehrende Frisur als eine Art 3D-Helm zu interpretieren, der es dem Künstler fiktiv erlaubt, sich zugleich als Malender wie als Gemalter, als aktiv Tätiger wie als passiv Erscheinender zu erleben und dies, wie bei einer Orgel, in verschiedensten Klangfassetten. Wie einer malt, und, indem er malt (und denkt), sich selber immer wieder neu herstellt.

Max Hari hat sich in seinem Schaffen immer wieder mit dem Tod befasst. Zuweilen sehr existenziell und radikal. Ausgespannt zwischen Gebären und Töten, Erschaffen und Auflösen, Erscheinen und Verschwinden. Auch die neue Bildreihe trägt dieses Moment in sich, aber, so hat man den Eindruck, sehr viel lebensbezogener als in früheren Zyklen. Die Kraft hat nicht das Zerstörerische, sondern das Verlebendigende: Die Lust das Leben als Gleichzeitigkeit verschiedener Wirklichkeiten zu begreifen, die, ausgehend von einem Grundmuster, immer neue malerische Audrucksweisen generieren.

Allerdings bleibt da dennoch der Künstler selbst, dem Geschöntes zuwider, der in der Freude immer auch die Tragik, im Leben immer auch den Tod, im Lachen immer auch den Schmerz sieht. Der Künstler, der um die Ambivalenz aller Erscheinungen weiss, das Leben, das Malen, das Denken liebt und dennoch immer das Ganze sucht. Sich ihm ganz bewusst aussetzt. Die Vernetzung von aussen und innen, von sichtbar und unsichtbar, von gelebt und verdrängt malen will. Darum entstehen Gestalten, die zwar dem Leben zugewandt erscheinen, aber nicht verhehlen, dass sie auch Angst, Trauer, Scheitern, Verletztsein, Verlassenheit kennen. Mensch sind.

Max Haris gültiges Werk beginnt anfangs der 80er Jahre, in der Zeit als sich in der Kunst neue expressive Tendenzen Bahn brachen. Max Haris Werk ist ohne die kollektive Kraft der Malerei der 80er Jahre nicht denkbar. Aber erst heute lässt sich erkennen, für wen die „wilde“ Zeit wirklich existenziell war. Nämlich für jene, die sich nicht den neuen Modediktaten anpassen, sondern ihren expressiven Stil weiterentwickeln. Und dabei den Expressionismus von seinen Anfängen bis zur Gegenwart – von Vincent van Gogh über Asger Jorn, Arnulf Rainer und Georg Baselitz –  als künstlerische und philosophi­sche Dimension reflektieren. Oder anders ausgedrückt, Künstler, die nicht aus dem hohlen Bauch heraus schaffen, sondern die radikale Subjektivität des expressiven Aus­drucks suchen, ihn aber zugleich bedenken und bewusst gestalten. Zu Ihnen gehört Max Hari, der sagt: „Wichtig ist, dass ich mir beim Malen zusehe“. Nur so kann er eine Bildreihe schaffen, die zugleich Zyklus wie expressive Vielfalt, zugleich Bild und Kompo­sition wie Abdruck des eigenen Körpers als Seele, Geist und Fleisch ist.

Spannend ist dabei, dass unsere Gewohnheit, den Charakter eines Menschen über seine Physiognomie zu ergründen, in den Bildern Max Haris nicht oder nur bedingt den Zugang zum Bild eröffnet. Es ist sehr schwierig, die Befindlichkeit der Gestalten mit gängigen Worten zu formulieren. Es ist als würde sich immer etwas widersprechen. Dass dem so ist, entspricht dem Maler, der ja nicht Porträts schaffen will, sondern Bilder mit einem ganz bestimmten, auch für ihn selbst analytisch nicht definierbarem Ausdrucksklima. Die letztgültige Form ist lediglich die Verfestigung eines Prozesses, der sich über viele Schichten hinweg abspielt und sich oft erst zum Ende hin vergegenständlicht.

Das Denken im Kopf und das Malen aus dem Körper heraus müssen in Zeit, Handlung und Reflektion zueinanderfinden – als Bildsprache, die mit Pinselgesten, mit Geformtem und Umgeformtem, mit Lineaturen und Flächen, mit Übermalungen, mit Misch- und Primärfarben, mit Licht und Dunkelheit, mit Schwere und Leichtigkeit, mit Leuchten und Absinken „spricht“ und dabei die Befindlichkeit des Künstlers registriert und umsetzt. „Man kann nicht immer wählen, an was man denkt“, sagt Max Hari in einem 1999 von Ursula Wittmer geschaffenen Video zur Entstehung eines Bildes in seinem Atelier.