Ornament und Abstraktion Fondation Beyeler 2001
Muss die Kunstgeschichte neu geschrieben werden?
www.annelisezwez.ch Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 27.06.2001
Eine Ausstellung der Superlative ist es, welche die Fondation Beyeler in Riehen unter dem Titel „Ornament und Abstraktion“ zeigt. Hochkarätige Kunst und eine spannende These verschränken sich.
Es war eigentlich immer klar, dass es die Abstraktion gab, bevor sie die „Moderne“ des 20. Jahrhunderts erfand. In den Ornamenten des Islams zum Beispiel. Doch, wie Markus Brüderlin, Kurator der Fondation Beyeler, in der Einleitung zu „Ornament und Abstraktion“ festhält, fürchteten die Pioniere der abstrakten Kunst wie Paul Klee oder Piet Mondrian nichts mehr, als dass ihre revolutionären Errungenschaften mit Ornamenten verglichen würden. Insbesondere in Wien und München, wo man sich vom Jugendstil absetzen musste, wurde das Ornament regelrecht deklassiert. Unter den in die Ausstellung integrierten Zitaten, findet man sogar dieses: „Das erste Ornament, das geboren wurde, das Kreuz, war erotischen Ursprungs: ein horizontaler Strich: das liegende Weib. Ein vertikaler Strich: der sie durchdringende Mann.“ (Adolf Loos, „Ornament und Verbrechen“, 1908). Es gab freilich auch die Kontraposition; Wilhelm Worringer zum Beispiel sprach, ebenfalls 1908, davon, dass der „Wille zur abstrakten Form“ seine Wurzeln stets in der Ornamentik habe.
Dennoch blieb das Ornament als „Dekoration“ abgewertet, während sich die abstrakte Kunst durchsetzte. Ornamentale Strukturen sind dabei nicht nur wesentlich für die Moderne, sondern durch die ganze Kunstentwicklung des 20. Jahrhunderts hindurch zu erkennen. Speziell in der Malerei der 80er/90er Jahre wurden die Rhythmen und Zeichen der Moderne vielfältig uminterpretiert respektive zur Architektur in Beziehung gestellt. Und in den digitalen Techniken der Jetztzeit wird das repetierende „Ornament der Masse“ gezielt eingesetzt.
Aus dieser umfassenden Beobachtung heraus fordert die Ausstellung eine neue Sicht auf das Verhältnis von Ornament und Abstraktion von der Moderne bis zur Gegenwart. Und sie tut dies grossartig. Didaktisch gewiss, aber mit einer so ausserordentlichen Qualität an Werken und so breit in der Auffassung, dass zugleich eine faszinierende, Auge und Sinne ansprechende Ausstellung entstand wie die souveräne Darstellung einer kunsttheoretischen These, die niemand zuvor so umfassend dokumentierte. Der Spagat zwischen Theorie und Sinnlichkeit gelang; nicht zuletzt weil für die Ausstellung ein Budget zur Verfügung stand, von dem die meisten Museen nur träumen können.
Anhand von zehn Kapiteln werden verschiedenste Themenaspekte ausgeleuchtet wie die Bilderverbote von Moses über Mohammed bis zu Malewitsch und Rothko, die Arabeske und ihre Verwandlung in die abstrakte Linie respektive ihre Zerlegung in pflanzliche und kristalline Formen. Dann aber auch der Missbrauch von Zeichen, die Kolonialisierung des Ornamentes und die Macht der Repetition. Nie geht es dabei um den Beweis von Nachahmungen; treffend wird vom Ornament als „blindem Passagier“ gesprochen, einem Element, das sich in die Entwicklung zur Abstraktion einschlich und mehr Einfluss ausübte als bisher angenommen. Ornament ist dabei als „Muster vor Grund“ definiert, das heisst es geht nicht um Plagiate.
Zur Gesamtwirkung der Ausstellung mit rund 300 Exponaten aus mehr als 1000 Jahren tragen die speziell für die Ausstellung realisierten wand- respektive raumfüllenden Installationen von Sol LeWitt, Daniel Buren, Kara Walker und Peter Kogler sowie die Rekonstruktion des Beethovenfrieses von Gustav Klimt (1902) und des „Salon de Madame Bienert“ nach Orginalplänen von Piet Mondrian (1926) Wesentliches bei. Sie durchbrechen die Dialoge zwischen Textil- und Mosaik-Stücken aus alten Kulturen und ihren Verwandlungen in Malerei und Relief des 20. Jahrhunderts und geben der Ausstellung grosszügige Präsenz im Heute.
Einer der Kerne der Thesenführung geht von der „islamischem Weltgefühl entsprechenden“ Arabeske aus. Diese ist eine Gabelblattranke, aus der in unendlicher Folge Knospen und Blüten wachsen, die sich wieder in Blätter, Vasen oder gar Vögel verwandeln usw., immer dem Prinzip der Gabelung folgend. Von Runge über Gaugin bis Kandinsky und weiter schlich sie sich aus der Ornamentik in die Kunstgeschichte ein und wurde dabei einerseits zur fliessenden, freien Linie, die keine Gegenständlichkeit mehr definiert und andererseits zum Element floraler oder kristalliner respektiver geometrischer Wesensart. Dabei ist interessant zu sehen, dass dies im Bereich der Dekoration sehr viel früher manifest ist als in der offiziellen Kunst, was nun in „Ornament und Abstraktion“ als Gretchenfrage zur Diskussion gestellt wird.
Spannend ist wie einzelne Fragen in den Raum gestellt werden, so zum Beispiel die Frage inwieweit die schon im 7. Jahrhundert entwickelte Ornamentik des Islam mit der meditativen Leere in Bildern von Rothko und Brice Marden wahlverwandt sind. Ob die „Geburt der Abstraktion“ aufgrund eines in die Wand eingelassenen, konstruktiven Reliefs von Josef Hoffmann von 1902 vorverschoben werden müsse. Aber auch wie heutige Künstler, aus Afrika zum Beispiel, mit der Zweckentfremdung ihrer Kulturen durch die modernen Künstler umgehen können. Kara Walkers überzeugende Scherenschnitt-Installation, die schwarz und weiss, Bürgertum und Sklaverei in arabesker Ästhetik entlarvt, zeigt dabei wie breit „Ornament und Abstraktion“ in der Ausstellung angelegt ist.
Zwar werden Werke von Gaugin, Henri Matisse, Wassily Kandinsky und, Piet Mondrian und als rote Fäden durch den klassischen Teil der Ausstellung geführt, doch bleibt diese nicht da stehen, sondern geht prägnant und zum Teil sogar provokativ auf die Gegenwart ein. Eindrücklich zum Beispiel die afghanischen „Bombenteppiche “ von 1985/90, die alte Teppichmuster in traditioneller Knüpftechnik nahtlos in Panzer und Flugzeuge umwandeln. Oder auch Shirin Neshats Video-Arbeit, die Männer und Frauen in uniform-islamischer Erscheinung über ornamentale Formationen in Machtstrukturen wandelt.
Das Thema, das sich Markus Brüderlin für die Ausstellung „Ornament und Abstraktion“ gestellt hat, ist enorm gross und schwieriger als man auf den ersten Blick meint. Wohl aus diesem Grund beschränkte er sich auf die formale Ebene. Die ganze Ausstellung ist eine Beobachtung anhand formaler Entwicklungen. Die Frage nach der Philosophie des Ornamentes, die Frage, warum uns jede Telefonzeichnung zum Ornament gerinnt, inwieweit mathematische und naturwissenschaftliche Faktoren die Faszination des Ornamentes mitbestimmen, erwähnt sie nur am Rande. Oder, anders ausgedrückt, da sind die Grenzen der Ausstellung, die nichtsdestotrotz zum Fundiertesten und Herausragendstsen gehört, was der Schweizer Kunstsommer zu bieten hat.
Die Ausstellung wird von einem den theoretischen Hintergrund breit ausfächernden Katalogbuch begleitet ( Du Mont Verlag).