„Konsumbäckerei“ Solothurn Abschiedsausstellung 2001

Das Kuratorenteam auf der Reise nach Jerusalem

www.annelisezwez.ch      Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 30. Mai 2001

Acht Jahre war die „Konsumbäckerei“ Solothurn eine experimentelle Zelle zeitgenössischer Kunst. Mit respektablem Erfolg. Jetzt ist das Team ausgebrannt. Zum Abschied gibt’s eine „Reise nach Jerusalem“.

Eigentlich hätten sie sie verdient, die Reise nach Jerusalem. Denn was Christoph Lichtin (Kunsthistoriker), Raffaella Chiara, Anita Breiter, Hannah Külling und Hubert Dechant (alles Künstler/-innen aus dem Raum Solothurn-Biel) für die Vermittlung zeitgenössischer Kunst in der Region geleistet haben, war stets Engagement für Gottes Lohn. Doch die Fährte ist falsch. Das „Projekt 42“ des Kunstraums im Dachgeschoss der ehemaligen Konsum-Bäckerei ist eine figürliche Installation mit gedrucktem Gespräch. Eine Art Bilanz nach sieben Jahren gemeinsamer Tätigkeit. Allerdings kein sich auf die Brust klopfen im gängigen Sinn. Sondern ein gruppendynamisches Hinterfragen dessen, warum man genug hat, was man getan, erfahren und gelernt hat und was man nun damit anfangen wird.

Team-Arbeit ist vielfach mit der Frage verbunden, wer sich wie auf welchen Platz setzt und wer wann und warum zwischen Stuhl und Bank fällt. Diese Struktur hat die Gruppe zum Bild gemacht. Konkret: Sie haben im Ausstellungsraum „Reise nach Jerusalem“ gespielt. Das ist das bekannte Spiel, bei dem es immer einen Stuhl zu wenig hat und beim Aussetzen der Musik eine Person zu viel ist und ausscheidet. Eine Fotografin hat den „Kampf“ um die Plätze festgehalten. Ein Basler Larvengestalter hat daraufhin die Figuren im bräunlichem Papiermaché lebensgross nachgebaut. Und nun stehen sie da in „ihrem“ Raum, mit der ganzen Dynamik von Bewegung, Tanz, Lust und Kampf. Fast ein Lehrstück für Psychologen: Die sich mit dem Rücken zum Zentrum vornüberbückende, doch in der angedeuteten Drehung Kraft aufbauende Hannah Külling, der mit ausbreiteten Armen Gleichgewicht suchende und zur Mitte hin schauende Christoph Lichtin, die „fliegende“ Raffaella Chiara usw.

Die möglicherweise kritischen Fragen, ob denn ein solches Psychogramm Kunst sei und nicht eher „Big Brother“, kontert die Gruppe durch das substantielle Gespräch, das als Broschüre Teil der Ausstellung ist. Zwar hat es Bekenntnischarakter, doch die Fragestellungen wie „Wovon hängt der unabhängige Kunstraum ab?“ oder „Im Zenit der Geltungssucht – ein Interessenkonflikt?“ packen Grundlegendes an, das heisst, die Klippe des Privaten wird trotz charakterlich geprägter Optik übersprungen. Hubert Dechant umschreibt diese, wenn er sagt: „Christoph kam…die Rolle des Patrons zu, Hannah war die Hinterfragerin, Raffaella die Traumtänzerin und Anita die Selbstironische.“ Worauf AB ergänzt: „… und Du der interne Fan …“.

Allgemeiner ist die Frage nach der Wechselwirkung zwischen Subventionen und Künstlerwahl. Lichtin: „Als unabhängiger Kunstraum gelten heisst, dass man eine bestimmte Ästhetik vermitteln muss.“ Denn „daraus ergibt sich … das Prestige, das die Subventionskette auslöst“. Und zum naheliegenden Thema persönlicher Verstrickung wirft Külling die Frage in die Runde: „Was machst du, wenn du mich in Zukunft jurieren musst“. Worauf Lichtin u.a. auf die Problematik der Kunstbürokratie verweist, wo es gelte persönliche Vorlieben demokratisch zu objektivieren. Ein kleiner Höhepunkt, wenn Külling zur Frage des Zeitpunktes einer Ausstellung meint: „… Der ideale Zeitpunkt ist im Zenit der Geltungssucht, kurz vor dem Abtauchen in das nächste Hinterfragen“.

Schade einzig, dass sich die Gruppe letztlich doch so sehr um sich selbst drehte, dass sie den Blick von aussen vergass und die nüchterne, analysierende Bilanz der „Konsumbäckerei“-Tätigkeit vergass. Wenigstens die Eckdaten, der Wandel in der Gruppe (nur Lichtin und Chiara waren von Anfang an dabei) und eine Liste mit den 41 Projekten hätte dazugehört.

Bis 30.06.2001