Realismus an der Wiege der Pop Art

Museum für Gestaltung Zürich: Kunst und Architektur im England der 50er Jahre. Bis 13.05.2001

Das Zürcher Museum für Gestaltung zeigt einen spannenden Blick auf das kulturelle Untergrund-Klima Englands in den 50erJahren: Die Wiege für den Siegeszug des englischen Pop in den 60er Jahren.

Die Pop Art, die Sixties und die frühen Seventies, sind in vieler junger Künstler Munde. Zu recherchieren, woraus die erste Welle der Alltags- und Trivialkultur entstanden ist, macht darum Sinn. Die Ausstellung mit dem Titel „asfound“ (wie vorgefunden) im Museum für Gestaltung in Zürich untersucht das Phänomen am besonders ertragreichen und hierzulande weitgehend unbekannten Beispiel Englands. Sie beschränkt sich, dem Geist des Hauses entsprechend, nicht auf eine Sparte, sondern versucht das Klima aufzuzeigen, das zugleich die bildende Kunst, die Fotografie, den Film, die Architektur und die Literatur ergriff. Einzig die Musik bleibt ausgeklammert. Die Ausstellung überzeugt dabei weniger als sinnliche Inszenierung mit gestalterischen Höhepunkten, denn als fundierte Recherche; eine offenes Bild- und Hör-Buch in dreidimensionaler Form.

England gehörte wohl zu den Siegermächten des 2.Weltkrieges, lag aber wirtschaftlich total am Boden. Die „brutale“ Realität hatte die Menschen im Griff. So wundert es nicht, dass sich kulturelle Sparten entwickelten mit Oberbegriffen wie „New Brutalism“, „Angry Young Man“ oder „Kitchen Sink“, die alle von der nackten Realität des Lebens, des auf der Strasse „vorgefundenen“ ausgingen und die normiert-ästhetischen Konventionen ablehnten. England steht damit im Gegensatz zu den Entwicklungen in anderen Ländern, wo sich – wie auch in der Schweiz– in den 50erJahren primär die Moderne und das Informel Bahn brachen. Auch in England gab es Parallel-Züge. Was die Ausstellung als zukunftsweisend herausschält, war zu seiner Zeit umstritten und fand mehrheitlich auf Nebenschauplätzen statt.
Kern war das1947 gegründete ICA( Institute of Contemporary Art), das, anfänglich ohne festen Standort, zum Sammelbecken sowohl offizieller wie inoffizieller Strömungen wurde. In seinem Umfeld entstand die „Independent Group“ – eine lockere Bewegung von Kulturschaffenden unter 35 Jahren – zu der u.a. Architekten wie Alison und Peter Smithson oder James Stirling, Künstler wie Richard Hamilton, Nigel Henderson, EduardoPaolozzi, und MagdaCordell gehörten. Hier zeigten die Smithons, der Fotograf Henderson und der Plastiker Paolozzi 1953 die für „as found“ programmatische und in Zürich mittels Projektionen rekonstruierte Gemeinschafts-Ausstellung „Parallel of Life and Art“.

Darin wurden keinerlei Originale gezeigt, sondern nur roh behandelte Reproduktionen von Bildernaus Industrie, Alltagskultur,Wissenschaft usw.Und dies nicht fein säuberlich an der Wand, sondernden Raum in all seinen Dimensionen ausspielend. Vernetzen und „as found“ sichtbar machen, war die Devise. Vergleiche zur heutigen Grafik des Über- und Ineinanderschachtelns von Bildfragmenten drängen sich da geradezu auf, mit dem Unterschied allerdings, dass das, was heute oft auf der Fläche „tanzt“, damals einem Abkratzen von beschönigender Tünche diente. Diese Radikalität zeigen die Werke des im Zentrum stehenden Quartetts deutlich. Für die „Lagerhaus-Ästhetik“ der Architekten des „New Brutalism“, zuweilen auch „je m’en-foutisme“ genannt, hiess das: „Wasser und Strom kommen nicht aus unerklärten Löchern in der Wand“, darum müssen Rohre und Leitungen Teil der Architektur sein und die Materialien „brut“. Als Querbezug zitiert die Zürcher Ausstellung Gedanken des SchweizerArchitektenteams Herzog & De Meuron.

Als herausragene Figur im Bereich der bildenden Kunst wird in Zürich EdoardoPaolozzi (1924) gezeigt – ein Standpfeiler der englischen Kunstgeschichte, hierzulande aber völlig unbekannt. Aufschlussreich ist, dass er(wie auch Henderson) aus traumatischen Kriegserlebnissen heraus arbeitete. Paolozzi, Schotte italienischer Abkunft, entdeckte 1944 Collagen von Schwitters, die ihn nachhaltig prägten.Seine „Scrap-Books“ mit Überlagerungen und Gegenüberstellungen von unzusammenhängenden Abbildungen bilden ein spannendes Scharnier zwischen Dadaismus, Surrealismus und Pop Art. Ähnlich wie bei Richard Hamilton – dem einzigen, heute weltberühmten Künstler der Independent Group (in Zürich nur mager vertreten) – sind die Collagen eine Art Antwort des englischen „Angers“ auf den zukunftsbeschwörenden Amerikanismus, das heisst eine Mischung aus Neid, Hohn und Sehnsucht. Das Doppelgesicht der Pop Art englischer und amerikanischer Provenienz zeigt sich hier an der Basis.Paolozzi ist jedoch nicht nur Pop-Pionier, sondern auch ein wichtiger Vertreter einer mit der „art brut“ verwandten Bildhauersprache.

Nigel Hendersons Spät-Vierziger-Jahr-Fotografien aus dem Lower MiddelClass-Quartier Bethnal Green sind eine weitere Form des „as found“, weisen als Einzelbilder auf die ausgeprägte Klassen-Struktur Englands und zugleich auf die Parallele des ungeschönten englischen Dokumentarfilms der Zeit (Free Cinema). Mitsicht- und hörbaren Auszügen aus literarischen Texten von John Osborne, Shelagh Dalaney und Alan Sillitoe wird die Parallele des „as found“ in allen Sparten dokumentiert.

Infos und Rahmenprogramm: www.museum-gestaltung.ch