Thomas Zollingers letzter Akt von „CH liebt Kunst“ 2001

Ein Künstler prüft die Schweiz auf ihr Verhältnis zur Kunst

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 10. Januar 2001

Thomas Zollingers Konzeptkunst-Projekt, welches den Staat auf seine Beziehung zur Kunst prüft und an ihre Grenzen führt, ist ein Zankapfel. Die Behörden stöhnen und das Publikum ereifert sich über Künstler als Schmarotzer auf Kosten des Staates. Nun ist der letzte Akt angesagt.

Seit September 1998 widmet sich der Bieler Konzeptkünstler Thomas Zollinger (1952) einem Projekt unter dem Titel „CH liebt Kunst“ oder „Testheimat Schweiz“. Er testet damit das Verhältnis der Schweiz zur Kunst. Unzählige Ämter und Gerichte hat er beschäftigt.

„Die Aufgabe der Kunst ist es, das Unmögliche möglich zu machen“, sagte der Bündner Regierungsrat Claudio Lardi zur Eröffnung des nationalen „Fest der Künste“ in Pontresina im August letzten Jahres. Für viele Künstler/-innen ist dieser Spruch ein Hohn. Eigentlich wisse sie nie recht, ob sie ein Sozialfall oder eine zukünftige Heldin sei, sagt die Zürcher Fotokünstlerin Marianne Müller (1966) in einem Bericht zur schweizerischen Kulturpolitik. Und Trash-Art-Kollege Urs Frei (1958) meint am selben Ort: „Als Künstler bist du ein Taugenichts, ein asozialer Typ“. Beide Erwähnten gehören zur ersten Garde der Schweizer Kunstszene. Das Unmögliche möglich machen, ist für viele Kunstschaffende nicht ein künstlerisches Problem, sondern ein eminent existenzielles; sowohl finanziell wie ihre Daseinsberechtigung betreffend.

Der Bieler Thomas Zollinger hat genau dies zum Thema einer Konzeptarbeit gemacht. Ohne Rückendeckung durch die anerkannte Kunstszene, stattdessen mit einer Hartnäckigkeit, die ihresgleichen sucht. Dabei ist er öfters missverstanden als begriffen worden. Konkret hat er dem Staat Schweiz die Frage gestellt, ob er bereit sei, Kunst als freiheitlichen Ausdruck des Geistes, unabhängig von kommerziellen Einschränkungen, entstehen zu lassen und damit auch zu finanzieren. Und er tat dies nicht als Utopie, sondern als kraftheischenden, das schweizerische Rechtssystem herausfordernden Gang durch die Verwaltungs-Instanzen. Alle, die schon mit Behörden im Clinch standen, mögen sich vorstellen, was das heisst.

Um seinem Konzept Darstellung zu geben, trat Zollinger mehrfach mit bis zu 24 Stunden dauernden Performances an die Öffentlichkeit, allein oder in Gruppen. Die Auftritte hatten stets das Thema „Existenz“ als Voraussetzung für die Entstehung von Kunst auf dem Programm: Liegen, Sitzen, Gehen, Trinken, Tragen usw. Sich damit quer zur gängigen Begrifflichkeit von Kunst stellend, stiess er bei der Bevölkerung vor allem auf Unverständnis und Ablehnung.

Nicht zuletzt weil er viel Papier zum Trotz lange nicht genügend klar herauszuschälen vermochte, dass die Performances lediglich als visuelle Symbole für das Existenz-Projekt als Ganzes zu verstehen sind. Die Denkschwierigkeit liegt dabei darin, dass Zollingers Gesamtprojekt zum Thema Kunst-Existenz gleichzeitig Kunst ist, indem es Denkanstösse zu existenziellen Fragen der Kunst stellt. Ähnlich wie ein Maler, der in seiner Malerei über die Grundbedingungen von Malerei, von Farbe auf einem Träger nachdenkt und dies als Kunst versteht; ein Trend, der unter dem Begriff der „kontextuellen Malerei“ in den 90er Jahren in den Kunstinstitutionen breit diskutiert wurde.

Bei Thomas Zollinger entstand durch die kontextuelle Komplexität der zumindest partiell falsche Eindruck, bei seiner Forderung, der Staat habe seine Existenz als Künstler zu sichern, gehe es lediglich um die Finanzierung seiner öffentlichen Auftritte. Wesentlicher sind aber die grundlegenden Fragen, die Zollinger stellte und die nun, bis auf den letzten Akt, eine Antwort erhalten haben. Aufgrund der Urteile verschiedener Gerichte ist nach zwei Jahren nun klar, dass der Staat Schweiz die minimalste Existenz jedes Bürgers, unabhängig von seinem konformen oder nichtkonformen Verhalten mit zur Zeit 850 Franken plus Unterkunft plus Gesundheit sichert, aber nicht als Künstler, sondern lediglich als Sozialwesen.

Darum hebt Thomas Zollinger nun zum letzten Akt an. Er stellt den Kulturbehörden von Stadt, Kanton und Bund den Antrag, die letzten acht Monate seines Projektes „CH liebt Kunst“ durch Existenzsicherung plus die Kosten für die Kunstproduktion zu finanzieren. Denn so wäre letztlich doch noch aufgezeigt, dass die Schweiz nicht nur die Sozial-, sondern die Künstler-Existenz sichert. Wobei, bei einer positiven Beurteilung, die Kosten für die Existenzsicherung ans Fürsorgeamt (von dessen Geldern er zur Zeit lebt) zurückfliessen würden. Eine grosse Chance räumt sich Zollinger dabei nicht ein, doch damit zu leben ist Teil des Projektes.

Beim Produktionskostenanteil geht es – innerhalb der Gesamtfragestellung der Künstler-Existenz – einerseits um die Ermöglichung der Dokumentation des Projektes, das im Herbst dem Perform-Archiv in Pfäffikon übergeben werden soll, andererseits um eine letzte Performance, die zum Ziel hat, das Projekt von der öffentliche Ebene der Verwaltung wieder in den geschützen Raum der Kunst zurückzuführen. Hiezu will der Künstler in einem Kunst-Raum (dem PasquArt oder dem Espace libre zum Beispiel) 40 Minuten unter einem Erdwall ausharren. Allerdings könne er – seinem Konzept entsprechend – die „Erdung“ nur bei einem positiven Entscheid der Kulturbehörden vornehmen. Ansonsten müsse er sie ins „Labor“ der sozialen Existenz zurücknehmen, sagt der Künstler. Wie auch immer die Antwort sein wird, im September will er das Projekt „Testheimat Schweiz“ definitiv abschliessen.

Man kann Zollingers dannzumal dreijähriges Kunstprojekt starrköpfig, eigensinnig oder wie auch immer nennen. Nicht nehmen kann man ihm damit, dass gerade die Radikalität, die Hartnäckigkeit, mit welcher der Künstler das psychisch oft schwierige, zuweilen erniedrigende an den Rand und in Frage gestellt Werden zugunsten seiner Idee durchstand, eine künstlerische Qualität ist, die Respekt heischt. Umsomehr als es Zollinger gelang, grundsätzliche Fragen zur Produktion von Kunst zu stellen, die niemand vor ihm so zur Diskussion gestellt hat. Insofern wird sie als Beispiel in die Kunstgeschichte der Schweiz eingehen.