Wenn du brav bist, lobt man dich

Gespräch zum Thema Künstlerexistenz mit René Zäch

Mit seinem Projekt „CH liebt Kunst“ hat der Bieler Künstler Thomas Zollinger die Frage nach der Existenz des Kunst Schaffenden in der Schweiz aufgeworfen. Wie sehen das andere Künstler? Ein Gespräch mit René Zäch, Plastiker, Biel.

Viele Künstler und Künstlerinnen leben auf finanziell dünnem Eis. Ihre kulturelle Bedeutung wird in den Himmel gelobt, der Boden, auf dem sie arbeiten, nicht diskutiert. Warum sind die Gewinn- und Verlustrechnungen des Berufsstandes „Künstler“ ein Tabu?
Über Kunst und Preise wird, zum Beispiel an Kunstmessen, viel gesprochen. Haben und Nichthaben ist in der Schweiz jedoch ganz allgemein ein Tabu, nicht nur in der Kunst. Bei den Künstlern ist das im übrigen sehr individuell; die Frage ist doch, wie tief kann und will ich gehen mit dem Umsatz. Ich selbst habe vor 15 Jahren zum letzten Mal gejobt. Dann sagte ich mir: Jetzt will ich nicht mehr. Und kaufte billigen Wein.

Von Künstlern wird erwartet, dass sie Höheres zum Ziel haben als den Alltag und die Geschäftswelt. Wollen sie hauptberuflich Kunst schaffen, können sie finanziell aber nur überleben, wenn ihre Produkte verkäufliche Waren sind; egal ob für Sammler oder Preise verleihende Juries. Wie gehen Sie als Künstler mit dieser „Abhängigkeit“ um?
Auch wenn es romantisch tönt, ich habe mich nie darum gekümmert und lebe in dieser Beziehung noch heute gefährlich. Ich hatte das Glück, zu Beginn meiner künstlerischen Tätigkeit, das heisst anfangs der 70er Jahre, in Holland zu sein, wo damals wichtige Leute lebten. Da sah ich, dass es noch ein paar andere tausend Künstler gibt. Das war gut und ernüchternd. Ich hatte nie die Illusion von einem Senkrechtstart, wovon Junge heute zum Teil schon nach dem ersten Stipendium träumen. Ich wusste für mich, dass es ein langer Weg sein würde und das war auch so. Ich sehe das nicht negativ und ich glaube auch nicht, dass man nichts liefern muss. Meine Kunst ist Teil eines Deals. Ich kann nicht dasitzen und nichts tun. Das was ich mache muss, ohne dass es bereits einen Geldwert hat, einen möglichen Deal auslösen; es muss austauschfähig sein.

Und wie ist es mit dem Faktor „Kostenwahrheit“ angesichts des Aufwandes für Forschung einerseits und Realisierung von Werken andererseits?
Das ist für mich kein Thema. Ich bin belohnt für das was ich mache. Nicht materiell. Im Vergleich mit meinen Kollegen von der Ingenieur-Schule damals in den 60er Jahren, lebe ich wie eine Ratte. Aber ich habe mir bis heute meine Entscheidungsfreiheit erhalten können. Ich kann nein sagen. Ich kann monatelang an etwas tüfteln. Das ist in Franken und Rappen nicht berechenbar. Ich bin auch nicht abhängig von Kunsthändlern; die Galeristen, bei denen ich ausstelle, zum Beispiel in Stuttgart, das sind meine Freunde. Freunde sind wichtig. Und auch sonst sind Interessenten eigentlich immer auf mich zugekommen, nicht ich zu ihnen. Vielleicht ist das altmodisch, aber für mich liegt die PR für einen Künstler immer noch in seinem Werk, nicht in seinem Auftreten.

Und diese Bescheidenheit gilt nicht nur für den Kopf, sondern auch den Bauch? Da, wo sich zuweilen auch negative Gefühle regen, ob man will oder nicht, Neid zum Beispiel?
Natürlich werde ich, vor allem in Deutschland, dann und wann gefragt, ob ich nicht neidisch sei, auf Künstler, die im internationalen Kuchen mitmischen. Doch die Antwort ist nein. Wenn ich neidisch bin, dann, wenn ich in einer Ausstellung, von Reinhard Mucha zum Beispiel, eine gute Arbeit sehe, die mich auch interessierte hätte, aber der andere hat sie gemacht.

Sie gehören zu den vielleicht 10% Kunstschaffenden in der Schweiz, deren Existenz sich ausschliesslich auf Kunst aufbaut. Hatten Sie einfach das Glück zur richtigen Zeit mit den richtigen Werken am richtigen Ort zu sein?
Nein, eben nicht, sonst würde ich jetzt im MOMA in New York ausstellen. Spass beiseite; ich hatte schon als Anfänger Respekt gegenüber der Qualität von Arbeiten. Ich wusste, dass ich noch nicht gut bin. Und noch heute habe ich das Gefühl, es fängt erst morgen an. Kunst machen ist ein ewiger Lernprozess. Was ich mache, sind für mich zunächst Forschungsergebnisse, nicht verkäufliche Produkte. Das ist erst die zweite Schiene. Vielleicht lebe ich in einer falschen Welt, weil „money making“ für mich einfach kein Thema ist. Ich will nicht kokettieren. Es ist sehr erfreulich, wenn man einen Werkbeitrag, ein Stipendium erhält, eine Arbeit verkaufen kann etc. Auch für mich. Aber als Künstler muss man immer bereit sein, auch wieder zurückzustecken.

Und was, wenn ein Künstler im Laufe seines Lebens in eine Krise gerät?
Wenn es sich um eine künstlerische Krise handelt, dann ist das etwas, das von innen kommt und das man individuell überwinden muss. Schwieriger ist es, wenn die finanzielle Krise von aussen an jemanden herangetragen wird. Da wird dann die Fragestellung von Thomas Zollinger schon akut. Ich konnte das in meinem Umfeld aus nächster Nähe sehen.

Können Sie das erzählen? 
Es ging um eine Scheidung. Da verfügten die Instanzen bis hinauf zum Bundesgericht, das ein Präzedenzurteil fällte, dass ein Künstler nach 15jähriger, bezüglich Anerkennung erfolgreicher, Karriere sein Kunstschaffen aufgeben muss, um wieder in seinem ursprünglich erlernten Beruf zu arbeiten. Da er dort mehr verdienen könne und damit mehr Alimente bezahlen. Für den Staat ist Künstler sein in einem solchen Kontext kein Beruf. Was zählt, ist einzig Geld. Von Gleichwertigkeit von geleisteter geistiger Arbeit und auf materiellen Verdienst ausgerichteter Produktion ist da wirklich nichts. Derselbe Staat, der den Künstler bis dahin mit Stipendien etc. förderte, auferlegte ihm nun faktisch ein Berufsverbot. Hätte er sich weich kriegen und sich nicht temporär ins Gefängnis stecken lassen, wäre er heute nicht mehr Künstler. Da kann man dann schon schwarz/weiss sagen: Wenn einer brav ist, seine Steuern bezahlt und nicht auffällig ist, dann wird seine Kunst gefördert und gelobt, aber wehe wenn wirklich existenzielle Probleme auftauchen, ist der Künstler ein Nichts.

Diese Diskrepanz ist beeindruckend, ernüchternd und beschämend. Doch zurück zu Ihnen. Sie leben seit 1986 in Biel, obwohl die Kunstmarkt-Situation hier alles andere als vorteilhaft ist. Es gibt kaum Kunstsammler, nur vereinzelt professionelle Vermittlung – stört sie das nicht?
Nein eigentlich nicht. Ich weiss, es gibt Künstler, die müssen nach Berlin, nach New York etc., weil sie diesen Kick für ihre Kunst brauchen. Ich muss das nicht. Ich habe nie eine Szene gesucht. Als ich in den 80er Jahren aus Italien zurück kam, zog nicht nicht nach Zürich oder Genf oder Basel. Ich habe mir Biel gewählt und bin gern da; ich kenne die Leute, die mir wichtig sind. Und die Langsamkeit hier entspricht vermutlich meinem Temperament. Ich baue Antennen, das ist mir eigentlich genug.