ArtCanal: Kunstschaffende aus aller Welt zwischen Bieler- und Neuenburgersee. Bis Oktober 2002

Wenn die Kunst zum Event verkommt

www.annelisezwez.ch     Erschienen in Mittelland Zeitung 14. Mai 2002

 

Als Expo-Projekt hat es Schiffbruch erlitten. Mit 56 Teilnehmer/-innen ist ArtCanal jetzt die grösste Ausstellung mit Kunstwerken in situ, die es in der Schweiz je gab. Viel Herzblut, doch weniger wäre mehr gewesen.

UMS hat den Pavillon am Landesteg von Le Landeron gesponsert; in seinem Herz eine bisher unbekannte Grossplastik von Jean Tinguely. Das Schiff wartet auf Gäste, um sie auf die Kunstfahrt zwischen Bieler- und Neuenburgersee mitzunehmen. Ab 15.MaI werden die Expo-Gäste mit dem Iris-Boot durch den Zihlkanal zischen. 1 Mio Publikum ist a priori gegeben. Eigentlich grossartig. Die Böllerschüsse zur Vernissage konnten nicht laut genug sein: „Wir haben es geschafft, ArtCanal lebt“. Bundesrat Joseph Deiss, Präsident des Patronatskomitees, lobte.

Die Künstler – ein Teil zumindest – spürten ein flaues Gefühl im Magen. Niemand sprach von Kunst. Kunststück, die Fahrt auf dem Schiff erlaubt nicht mehr als ein Erhaschen der Fahnen, der Wächter, der Anlegestellen, der Röschtigräben, der Magischen Quadrate, Füllhörner und Pneu-Skulpturen. Für Schiffsgäste ist ArtCanal eine kleine, bunte Attraktion auf der Fahrt zwischen zwei Artplages.

Den Veranstaltern ist der Trotz, ihre Idee Expo-Absage hin oder her umzusetzen, zum Verhängnis geworden. Das Event wurde wichtiger als die Kunst. Zwar zeichnet mit dem Feuer-Plastiker Paul Wiedmer ein Bekannter für die künstlerische Leitung. Doch der einzige Kunsthistoriker im Team schied schon vor einem Jahr aus. Als die Kantone Bern und Neuenburg kurz vor dem Scheitern mit finanziellen Zusagen den Startkick ermöglichten, lief das Rad. Inzwischen sind vom 1,5 Millionen-Budget 1,1 Mio zugesichert, 400 000 Franken fehlen.

Im heutigen Konzept der Ausstellung verquicken sich ein kulturpolitischer und ein künstlerischer Ansatz. Der kulturpolitische (der alte Expo-Gedanke) geht dahin, Auslandschweizer-Künstlern eine Plattform in der Schweiz zu bieten. Eine schöne Idee, die aber im Zeitalter globaler Vernetzung antiquiert ist und schon gar nicht für Qualität bürgt. Dies wohl ahnend, lud man im Laufe der Zeit Schweizer Künstler/-innen mit Erfahrung in Freiluftausstellungen hinzu. Das Kunterbunte war trotzdem nicht mehr zu vermeiden.

Es wäre indes ungerecht, die Sache damit abzutun; den Künstler/-innen zuliebe. Denn zum einen gibt es neben der Schifffahrt die (reizvolle) Möglichkeit dem Zihlkanal entlang zu wandern, oder mit dem Velo zu fahren, und damit die Kunst auch wirklich zu sehen. Zum andern sind da trotz allem Highlights, sichtbare und subversive.

Eine Arbeit ragt buchstäblich aus allen andern heraus. Es ist der „Rainbow“ von Petra Grünig (34), einer in Deutschland lebenden Bernerin. Aus aufstrebenden, sich von beiden Seiten geschwungen über den Kanal biegenden Rohren spritzt Wasser, viel Wasser, Sprühregen bildet sich und in der Sonne bricht sich das Licht torförmig zum „Regenbogen“. Das Generalthema der Ausstellung, Grenzen zu überwinden, Kommunikation zu schaffen, ist visuell und inhaltlich eindrücklich eingefangen.

Es ist eine kostspielige Arbeit. Im Gegensatz zu anderen Beteiligten, hat die Künstlerin einen privaten Sponsoren gefunden. „Mit so viel Geld, kann man natürlich in anderen Dimensionen gestalten“, sagt ein Künstler und man „hört“ das Knurren in seinem Bauch. Die meisten Kunstschaffenden mussten mit den zugesicherten 6500 Franken für Honorar, Material- und Ausführungskosten (ohne Infrastruktur) durchzukommen versuchen. Das ist wenig, um sich gegenüber der Natur (im Berner Teil) und der Industrielandschaft (im Neuenburgischen) installativ durchzusetzen. Manche Idee fiel so über Bord. Umsomehr als von den 6500 Franken erst 4000 zur Verfügung stehen, der Rest ist abhängig vom Sponsorenglück der kommenden Monate.

Weniger, dafür grössere Arbeiten hätten mehr Gesicht gegeben. Schliesslich konnte nur einer diesen (Gratis)-Coup landen: Olivier Mosset hat schlicht und einfach drei Titel geliefert: „Pneu-Skulptur“, „Golden Gate“ und „Bunker“. Sie benennen in klassischer Minimal Art-Tradition nichts als was da ist: Eine Brücke, Pneus und eine silbrigfarbige Baracke.
Von den Auslandschweizer Künstler/-innen im traditionellen Sinn gibt es wenig Herausragendes zu benennen. Die in Finnland lebende Denise Ziegler etwa hat ein Füllhorn installiert, das alle 10 Minuten Eiswürfel ausspeit. „Ich wollte das mitbringen, was es im Norden in Hülle und Fülle gibt.“ Sympathisch, aber die Umsetzung als kleine, weisse Stahlform mit Loch ist visuell wenig überzeugend, immerhin noch besser als die „Amish Quilts“, welche die in Kanada lebende Astrid Fitzgerald an eine Wäscheleine gehängt hat.

Da sind die internationalen Schweizer wesentlicher: Der „Italiener“ Daniel Spörri etwa, der bei der Schifflländte von La Neuville (einige haben das Kunstgebiet ausgeweitet) ein Fernrohr montiert hat, mit welchem im Schilf nahe beim Hafen von Erlach vis-à-vis die Worte „Meliora Latent“ zu entziffern sind. Der kritische Ansatz tut gut; man findet ihn auch bei „ingold airlines“, die ein Schutzgebiet absperren: „Protection d’espèces“! Oder beim Seeländer Martin Ziegelmüller, welcher die Raffinierie von Cressier mit einer (gemalten)2202-Vision spiegelt. Sicher und klassisch sind im Vergleich die einander zugewandten Stäbe von Gunter Frentzel und die als Wasserspiel konzipierte „Liliensäule“ von Reto Emch. Und das Prädikat „poetisch“ gehört insbesondere zum „Tisch am Fluss“ von Susi und Ueli Berger, zu den sensorbetriebenen „Welcome“-Fussmatten von Serena Amrein, den „Schwimmenden Wolken“ von Barbara Jäggi, aber auch den „Lotosblüten“ von Ping Qiu.

Bester Ausgangspunkt für eine Wanderung entlang der Zihl ist die Schiffstation von Le Landeron. Anfangs Juni erscheint ein Katalog.