Geldgeschichten: Der Künstler vor dem Steueramt. Interview mit Ruedi Schwyn 2002

Macht der Job den Künstler zum Hobbymaler?

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 16. Mai 2002


Sie sind seit 30 Jahren Kunst- und Kulturschaffender in der Region Biel, im Seeland. Sie haben als Musiker, als Performer, als kulturpolitisch Engagierter, als Bühnenbildner, als Maler, als Objekt- und Installationskünstler, als Ausstellungskurator viel bewegt und geleistet. Aber leben konnten Sie nie von der „Freiwilligenarbeit“ des Künstlers. Darum kennen sie manche als Lehrer oder Kursleiter. Doch jetzt, da sie ein fixes Teilzeit-Pensum an der Schule für Gestaltung in Biel haben und sich der finanzielle Druck etwas gelöst hat, rückt Ihnen das Steueramt auf die Pelle und sagt, für den Fiskus seien sie fortan ein Hobbykünstler. Wie ist das möglich?
Tatsächlich stellt sich das Steueramt auf den Standpunkt, ich sei als selbständiges Betriebsunternehmen im Bereich Kunst konkursit und darum als „Angestellter“ zu taxieren, was heisst, dass die Kunst unter „Liebhaberei“ fällt und die anfallenden Kosten wie Atelier, Materialien etc. nicht mehr abzugsfähig sind. Das finde ich aus meiner Situation als Künstler, der darauf angewiesen ist, ein Job anzunehmen, um das Leben, wie auch die eigene Kunst, zu finanzieren, unerhört. Ich bin da übrigens auch nicht allein, das trifft auch andere. Ich fülle meine Steuererklärung seit Jahren anlog aus, habe als Künstler in der Endabrechnung nie Geld verdient, doch gab es früher auf dem Steueramt Biel-Seeland eine Bezugsperson, welche die Situation der Künstler kannte und fair einschätzte.

Was ist denn jetzt neu?
Die Probleme kamen mit der Neuordnung, dass Künstler als Kleinbetriebe zu behandeln seien. Eine erste Auseiandersetzungswelle haben wir schon durchgestanden. Das Steueramt verlangte nämlich, dass die Lager, das heisst die nicht verkaufte Kunst, als Vermögen zu versteuern sei. Schliesslich einigte man sich jedoch, dass nur die Materiallager einzusetzen sind.

Wie kann es sein, dass dieselbe Agglomeration einerseits von ihrem ausserordentlichen Engagement für die Kunst- und Kulturszene der Region ohne wenn und aber profitiert und gleichzeitig, wenn es um die Steuern geht, nichts davon wissen will und rücksichtslos die hohle Hand macht?
Ich kann mir eigentlich nur vorstellen, dass die einen nicht wissen, was die andern tun. Die Steuertaxation läuft nach einem starren Raster und durch diesen falle ich und bin darum in den Augen des Steueramtes unrentabel. Die Problematik geht eigentlich darauf zurück, dass der Kulturartikel auf Verfassungsebene in den 80er Jahren vom Stimmvolk abgelehnt wurde. Da wäre nämlich der Beruf des Künstlers enthalten gewesen, während wir so in der Schweiz rechtlich gesehen alle berufslos sind – im Gegensatz zum gesamten EU-Raum, der den Beruf des Künstlers anerkennt. Eine Sonderregelung gibt es einzig dahingehend, dass wir bei Verkäufen keine Mehrwertsteuer bezahlen müssen.

Gibt es da auf der politischen Ebene Bestrebungen, zum Beispiel seitens der visarte Schweiz, die Position des Künstlers in der Gesellschaft zu ändern?
Die Künstlergesellschaft visarte ist auf schweizerischer Ebene daran, sich mehr und mehr als Gewerkschaft der Kunstschaffenden zu positionieren und entsprechend auch in diesem Punkt aktiv zu werden. So viel ich weiss ist eine Subkommission an der Arbeit. Aber spruchreif ist das Ganze überhaupt noch nicht.

Und wie kann sich der Künstler-Bürger wehren?
Indem er Einsprache erhebt. Unter Beizug einer Steuerberaterin ist dies bereits erfolgt und ihrer Meinung nach, sollte ich eine Chance haben. Da sie auch andere Kunstschaffende – nicht nur im Bereich der bildenden Kunst – vertritt, kommt so etwas wie einer Art „Sammel-Klage“ zustande. Der Ausgang ist indes offen.

Nehmen wir an, Sie vermögen sich erfolgreich zu wehren. Bleibt da nicht trotzdem etwas zurück, ein Gefühl der Erniedrigung ihres Status als Berufskünstler?
Auf alle Fälle bleibt im seelischen Bereich etwas zurück. Man fühlt sich „verarscht“, denn mit dem Steuerentscheid wird uns ja quasi vorgeworfen wir würden das Steuergesetz missbrauchen, weil Kunst machen Geld kostet. Kunst hat aber, so wie ich das sehe und betreibe, sehr viel mit Engagement zugunsten der Öffentlichkeit zu tun. Und dann kommt plötzlich eine solcher Hammer. Immerhin gibt es auch kleine Aufsteller, so hat die Gemeinde Nidau kürzlich von sich aus, ohne dass ich gefragt hätte, eine „Aktie“ (eine Art Erwerbsoption, Anm. der Red.) der in der Edition der Galerie 25 in Siselen geplanten Druckgrafikmappe gekauft. Die 500 Franken sind nicht viel und dienen nur der Ermöglichung eines Projektes; dennoch sehe ich darin eine Art Anerkennung für meine, zuweilen aus dem eigenen Sack mitfinanzierten, Aktionen im Spritzenhaus in Nidau und das tut gut.

Solche Steueramts-Geschichten könnten Sie und andere Kunstschaffende veranlassen, der Öffentlichkeit das eigene Engagement vor die Füsse zu werfen. Sie sind per Ende März aus der städtischen Kunstkommission zurückgetreten?
Sicher hat die Geschichte dazu beigetragen. Ich musste aber auch erkennen, dass die Arbeit in der Kunstkommission schwierig ist. Ständig muss man andere jurieren, sich in andere künstlerische Positionen hineindenken und das lenkt immer wieder von der eigenen Arbeit ab. Es braucht immer wieder Zeit, in die eigene künstlerische Vision zurückzusteigen. Es war aber auch einfach das Arbeitsmass als Ganzes übervoll. Die Gesundheit litt Schaden. Es kommt hinzu, dass man als Künstler während der Zeit als Mitglied der Kommission keinerlei Recht hat, Gesuche zu stellen, sich um Ateliers zu bewerben, an Wettbewerben mitzumachen etc.

Wenn man Sie in Diskussionsrunden sprechen hört und ihren Einsatz spürt, glaubt man nicht so recht daran, dass sich Ruedi Schwyn in Zukunft weniger engagieren will respektive kann?
Das ist schon so (seufzt). Ich interessiere mich so sehr für wie die Position der Kunst in der Gesellschaft.. ich bin beseelt von meinem Beruf, ich habe Lust etwas zur Entwicklung beizutragen und daran wird sich sicherlich nichts ändern.

Sie vertreten dabei offensichtlich eine beuyssche Haltung. Gibt es für Sie keinen Unterschied zwischen Kunst im Sinne des Schaffens von Werken und eines öffentlichen Engagements für künstlerische Denkqualitäten?
Nein, das ist für mich völlig verschränkt. Ich spüre, dass es in unserer Gesellschaft so viele Unzulänglichkeiten gibt, so viel, das falsch läuft, dass ich auf allen Ebenen dazu beitragen will, Bewusstsein in Gang zu bringen. Ich bin überzeugt, dass künstlerisches Schaffen eine Plattform für Entwicklung ist. Dabei geht es nicht um Revolutionäres, sondern um Millimeter-Arbeit. So wie in jedem Bild die exakten Farbquantitäten gefunden werden müssen, um etwas zu bewirken, so muss auch im Öffentlichen immer wieder angesetzt werden, um Entwicklung zu fördern. Allerdings ist es schon schwierig das alles durchzuhalten wenn man von derselben Öffentlichkeit über Steuerforderungen wirtschaftlich ständig in die Ecke gedrängt wird. Da wird auch gesagt, die Museen seien viel zu teuer und man bedenkt mit keiner Silbe, dass schon jetzt so vieles nur läuft, weil wir Künstler uns ausnützen lassen, weil wir mit minimalen Beiträgen Installationen realisieren, die uns selbst ein Vielfaches kosten, nur weil wir es wichtig finden. Man sah 1991 anlässlich der 700-Jahr-Feier der Schweiz, dass es Grenzen hat. Da haben sich viele Künstler geweigert der Schweiz als Dekoration zu dienen.

Wie ist das eigentlich an der Expo.02? Die von Bernhard Luginbühl & Co. geplante Aktion auf dem Mont Vully scheint darauf hinzuweisen, dass hier gewisse Künstler eher beleidigt sind, nicht mit dabei zu sein?
Bei der Expo ist es komplexer. Da handelt es sich ja nicht um eine Kunstausstellung und alle hatten am Anfang die Möglichkeit, Projekte einzugeben. Auch sind viele Kunstschaffende in Projekte integriert. Auf regionaler Ebene denke ich, wer wollte ist im Rahmen von 2002émotions oder im Rahmen von Expo OPEN.02 mit dabei. Auch das Expo-Projekt „Artplace“ in Magglingen gibt vielen Künstler/-innen der Region eine Plattform.

In der Region Biel hat das Engagement von Kunstschaffenden im öffentlichen Raum Tradition – man erinnere sich, es war der Maler Heinz-Peter Kohler, der erstmals auf der politischen Ebene ein Bieler Kunstmuseum gefordert hat und es waren nicht zuletzt die Kunstschaffenden, die Andreas Meier Rückendeckung gaben auf dem Realisierungsweg zum Centre PasquArt. Heute findet man solche Engagements wesentlich weniger. Sie sind Sie ein Relikt aus vergangener Zeit?
Ich denke nicht, dass meine Position eine veraltete ist, aber die Situation für die Kunstschaffenden ist in den letzten Jahren sehr viel schwieriger geworden. Der Überlebenskampf ist extrem, gerade weil Kunst schaffen heute nicht mehr heissen kann Bilder machen, an die Wand hängen und verkaufen. Die Forderungen sind komplexer und die Medien teurer. Darum sind die sich in der Öffentlichkeit engagierenden Künstler/-innen seltener geworden; sie können einfach nicht neben unrentabler Kunst noch einmal Freiwilligenarbeit leisten. Die visarte Biel, die ich in der Kunstkommission vertrat, konnte bisher keinen Nachfolger oder Nachfolgerin für mich in der Kunstkommission finden. Das ist bezeichnend.