Expo 02: RockBarock – ein audiovisuelles Erlebnis

Landschaft im Wandel von Jahrmillionen

www.annelisezwez.ch   Erschienen in Bieler Tagblatt, Juni 2002

Herzstück des Solothurner Kantonaltages vom 15. Juni in Biel waren die Aufführungen von RockBarock im Mummenschanz-Theater. Das audiovisuelle Projekt zeigt die Signaturen der Landschaft und der Menschen in ihr.

Zwei Jahre wurde daran gearbeitet, nur am Solothurner Kantonaltag auf der Arteplage Biel war es zu sehen: Das audiovisuelle Projekt „RockBarock“, das der Radiomann Henrik Rhyn zusammen mit dem Bildkünstler Ulrich Studer („Viniterra“), dem Filmfachmann Ivo Kummer, Kameramann Pio Corradi („Gripsholm“), Paola Jean und anderen realisiert hat. Um der Qualität der als Tryptichon projizierten Bildebene willen musste man RockBarock gesehen haben. Denn der sich in harmonischen Sequenzen verschiebende Fluss der drei Projektionen entlang jahrmillionenalter Landschaftsspuren und darin eingebetteter Naturrhythmen ist ausserordentlich. Das seltsam unzusammenhängend überlagerte Hörbild mit (bekannten) Solothurner Stimmen zu Leben und Sterben zwischen Geld und Geist überhörte man dabei besser.

RockBarock beginnt damit dass der „liebe Gott“ – am Stammtisch, so hat man den Eindruck – davon erzählt wie er die Region geschaffen hat, doch nach dem sechsten Tag wird die Stimme aus dem Dunkel von Getöse unterbrochen, das Handy klingelt, die Gegenwart ist da und Bilder steigen auf. Nicht städtisch-urbane, wie man aufgrund der Telefonie zunächst erwartet, sondern Bilder, die zurückschauen auf die unendliche Zeit des Wandels in der erdgeschichtlichen Entstehung der heutigen Solothurner Landschaft. Helle Jurafelsschichten türmen sich und verschieben sich gegeneinander, durch ein Tunnel fährt die Kamera ins Innere als wäre die Landschaft ein Körper und das Projekt ein Versuch dieses Gewachsene, Lebendige von innen heraus zu verstehen. Mit einer räumlich und emotional spürbaren Nähe spricht die Landschaft aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Schatten von Menschen sind an den Felswänden sichtbar. Wer hat die Feuer entflammt, die in den Felsen brennen und sie uns als Schatten sichtbar machen?

Plötzlich ein harter Bruch, Wasser fliesst, überfliesst, bricht sich Bahn, verändert, modelliert. Die Landschaft ist in Bewegung und langsam nähern sich der Film unserem vertrauten Bild der Landschaft, Bäume blühen, Schnee überzieht die Gegend. Nie wird der Film indes erzählerisch, immer bleibt er bei dem, was Ulrich Studer die „Signatur der Landschaft“ nennt. Zwar sind die Hügelzüge da und dort zum Panorama geweitet, mal im Licht, mal im Schatten, doch im Vordergrund steht das Fragment, die Nähe, das körperliche Vis-à-Vis der Landschaft. Nur vereinzelt wechselt die Szenerie in vom Menschen Geschaffenes, zu Ausschnitten einer Deckenmalerei zum Beispiel, die Formen aus der Natur in malerische Zeichen wandelt oder zu den steinernen Gesichtern im Geviert der barocken Wehrtürme Solothurns, die wie heimlich Stein und Mensch verbinden.

Diesem verhalten vertonten – mal Bläser aus der Ferne, mal ein Piccolo – Bildfluss ist eine Ebene der Sprache überlagert. Stimmen in unverkennbar solothurnischem Dialekt – zum Teil kennt man sie, jene von alt Bundesrat Stich, von Ernst Burren, von Elsbeth Pfluger – sie sprechen von ihrer Beziehung zum Solothurnischen, ihrer Liebe, ihrer Sorge, ihrer ganz persönlichen Sicht. Sie tun dies indes so reportagehaft und damit auch so banal im Vergleich zum Anspruch und zur Qualität der Bilder, dass sich eine enorme Diskrepanz zwischen den beiden Ebenen öffnet. Es kommt hinzu, dass sich die Sprachebene, unserer Gewohnheit zuzuhören folgend, gegenüber den Bildern in den Vordergrund drängt oder Querverbindungen schafft, wo es keine gibt. Dabei hätte es so viel andere Möglichkeiten gegeben Sprache einzubeziehen – Peter Bichsel, der eine Geschichte liest zum Beispiel oder Solothurner Lyrik. Am Kantonaltag wurde „RockBarock“ um eine Live-Ebene mit Naturevents, einem Pantomimen etc. ergänzt. Nun aber ist zu hoffen, dass jemand auf den Knopf drückt, den Ton löscht und „RockBarock“ als reines Kunstprojekt neu vertont.