Arman im Kunsthaus Grenchen 2002

Musik in der Gangart der Geige

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Mittelland-Zeitung vom 7. Juni 2002

Arman und „Nouveau Réalisme“ gehören als Begriffe zusammen. Doch im Kunsthaus Grenchen präsentiert sich der 74-jährige Franzose nicht primär als Akkumulator von Gegenständen, sondern als überraschend „musikalischer“ Zeichner und Graphiker.

In den 50er-Jahren beschliessen die beiden Abgänger der Judo-Schule von Nizza, Armand Fernandez und Yves Klein, sie würden unter ihren Vornamen berühmt. Gesagt getan. 1960 unterschreiben sie Pierre Restanys „Manifest“ des „Nouveau Réalisme“ als „Arman“ (der Wegfall des „d“ ist ursprünglich ein Druckfehler) respektive Yves-le monochrome, während Tinguely den Jean weglässt und Daniel Spörri noch als „Spörri-Feinstein“ firmiert. Mit dabei auch Raymond Hains, Martial Raysse, Jacques Villeglé und François Dufrêne. Sie dokumentieren „das Bewusstsein ihrer kollektiven Besonderheit“ und der „neuen perspektivischen Annäherung an die Wirklichkeit“.

Häufig werden die „Nouveaux Réalistes“ als die ersten Rebellen der Konsumgesellschaft apostrophiert, da viele von ihnen Gegenstände als Massenprodukte einsetzen. Gerade am Beispiel von Arman und gerade an der Ausstellung in Grenchen, die den Aspekt der „Musik“, der Geige und ihren Variationen, in Arbeiten auf Papier ins Zentrum stellt, lässt sich ablesen, dass die Faszination wohl grösser war als die Kritik. Und dass die Reaktion auf die Stilgeschichte vom Kubismus über den Dadaismus bis zum Abstrakten Expressionismus nicht unterschätzt werden darf. Beate Reifenscheid vom Museum Ludwig in Koblenz, welche 2000/2001 die erste Retrospektive der Arbeiten auf Papier zeigte und aus welcher nun für Grenchen das Thema der Musik herausgegriffen wurde, zeigt in ihrem Katalogtext sehr schön auf, wie Arman von den kubistischen Gitarren Picassos, den dadaistischen Collagen Kurt Schwitters und von Jackson Pollocks expressiven „drippings“ beeinflusst wurde.

In den skulpturalen Gegenstands-Akkumulationen, die Arman berühmt machten, stehen Materialität und Gegenstandsbezug so sehr im Vordergrund, dass die kunstgeschichtlichen Ahnen weniger deutlich aufscheinen. In den zweidimensionalen Arbeiten auf Papier, welche die „Allures d’objets“ (Gangart der Gegenstände) fortschreiben und als rhythmisch-bewegte Reihungen von Gegenstands-Abdrucken, ergänzt mit zeichnerischen Elementen oder als serielle Kompositionen von Gegenstandsfragmenten erscheinen, ist dies sehr viel offensichtlicher. Auch das aggressive Moment des Zerstörens von Gegenständen, um sie als Fragmente wieder zusammenzubauen, tritt in den Arbeiten auf Papier zurück zugunsten einer Vervielfachung als Rhythmus einsetzenden, sowohl vom Motiv wie der Gestaltung her erstaunlich feinfühligen, „musikalischen“ Kunst. Insofern ist die Ausstellung in Grenchen eine Überraschung und eine Korrektur des Multiplikation als Ausdruck von Masse interpretierenden Arman-Bildes. Schön wie sich darin, und im ganzen Werk, allen kunstimmanenten Interpretationen zum Trotz das Elternhaus Armans spiegelt, war doch sein Vater Amateurmaler, Cellist und Antiquitätenhändler.

Armans Karriere wird nach 1960 fulminant – er stellt nicht nur in Paris, sondern auch in Deutschland und vor allem den USA aus, warum auch Künstler wie Günter Uecker (er stellte vor zwei Jahren in Grenchen aus) und die Pop Art (insbesondere Andy Warhol) in seinem Schaffen mitzudenken sind. Arman ist aber vor allem ein Phänomen. Mit seinem Charisma, seinem Ehrgeiz und seinem Arbeitseifer baut er (respektive seine Agenten) ab den 70er und vor allem dann in den 80er Jahren eine eigentliche Sammler- und Fangemeinde auf. Und diese „Gemeinde“ funktioniert fast wie eine Tupperware-Gesellschaft, will heissen, die Sammler tragen unabhängig voneinander dazu bei, dass der Ruhm des Künstlers (und sein Marktwert) durch Aktivitäten wie Ausstellungen, Editionen, Publikationen etc. gemehrt wird. 1998 zum Beispiel veranstalteten die beiden Aargauer Arman-Sammler Andreas Brunner und Edmund Wyss auf Schloss Lenzburg eine Retrospektive mit eigenen Werken und editierten eine Lithographie.

Hinter der Ausstellung in Grenchen steht nicht zuletzt die MCM Group des Lysser Unternehmensberaters, Nouveaux-Réalistes-Kunstsammlers und Arman-Verlegers Urs Rickenbacher. Aus seinem Haus stammen unter anderem die in die Ausstellung integrierten Multiples, welche überdeutlich auf die kommerzielle Seite des Arman-Imperiums hinweisen. Denn der rührige Sammler- und Agenten-Clan sorgt nicht zuletzt dafür, dass der Markt spielt und die Preise hoch bleiben. Für ein Multiple in 100er-Auflage bezahlt man trotz Konjunkturflaute nach wie vor rund 12’500 Franken. Zwar musste auch Arman (aus Konjunktur-, aber auch aus Altersgründen) seine Factories in New York und in Südfrankreich personell zurückstufen, doch sind hier und dort noch immer mindestens je ein Assistent vollamtlich für den Meister tätig, mit Erfolg.

Katalog (für Arman-Freunde empfehlenswert): 35 Franken.