Ansprache anlässlich der Übergabe der Kunst am Bau-Installation von Fraenzi Neuhaus für das Treppenhaus Nord der Baloîse So-Ba in Solothurn
6. März 2002
Annelise Zwez, Kunstkritikerin
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Fraenzi Neuhaus
Kunst am Bau. Lange Zeit hiess das, auf dem Vorplatz eines Gebäudes eine Skulptur platzieren. Der Funktionalität der Architektur durch die Freiheit der Kunst ein Gegengewicht geben. Heute steht ein anderes Denken im Vordergrund. Ausgelöst von einem erweiterten Kunstbegriff, der Architektur, Design und Kunst nicht mehr streng trennt. Wenn die Architektur demnach Kunst ist, wozu braucht es da noch Kunst am Bau?
Es gibt Architekten – vor allem im prestigeträchtigen Umfeld von Museumsbauten – die das Thema aufgrund dieser Entwicklung liebend gerne als „somit erledigt“ abhaken würden. Doch das wäre nicht nur ein selbstherrlicher Affront gegenüber den Kunstschaffenden, sondern vor allem eine verpasste Chance.
Der Ansatz muss allerdings ein anderer sein als früher. Es kann nicht mehr um Kontrapunkt gehen. Im Vordergrund muss vielmehr eine Steigerung des einen im andern stehen. Es muss ein ortsspezifisches Gespräch zwischen Architekt und Künstler oder Künstlerin stattfinden, ein Dialog von Raumgestaltung und Raumausdruck gefunden werden.
Im Idealfall findet dieser Austausch in der Projektphase eines Neu- oder Umbaus statt, wenn alles noch modellierbar ist. Aus verschiedensten Gründen ist das nicht immer möglich; manchmal entstehen auch Wünsche erst später. In jedem dieser letzteren Fälle ist insbesondere der Künstler respektive die Künstlerin gefordert, da es gilt, sich in eine gebaute Architektur, in einen gegebenen Raumkörper einzufühlen, diesen quasi zur zweiten Haut zu machen und aus dem Körpergefühl heraus, Projekte zu entwickeln. Vorschläge zu erarbeiten, die Raum und Kunst zu einer neuen Einheit formen.
Fraenzi Neuhaus zeigt sowohl in ihrer Installation für die von Ducomin und Graf+Stampfli umgebauten und erneuerten Baloîse So-Ba wie in der dieser Arbeit vorausgegangenen Installation in Jürg Stäubles Solothurner Suva-Gebäude sehr viel Gespür für genau diese, keineswegs einfache Situation. Es sei mir die Behauptung erlaubt, dass Künstlerinnen hiefür sehr oft die richtigen Partnerinnen sind, da es ihnen vielfach ein Bedürfnis ist, Dinge nicht von aussen, sondern von innen her zu betrachten und aus einer Vernetzung von konzeptuellen und körperlichen Ansätzen heraus ihre Projekte zu entwickeln.
Sowohl die Arbeit in der Baloîse So-Ba wie jene im Suva-Bau entstanden einige Zeit nach der Inbetriebnahme der Gebäude. Und hier wie dort ist der Standort eines vom Material Beton bestimmtes Treppenhaus. Somit Orte, die vertikal geprägt sind, Orte, in denen Menschen hinauf und hinunter gehen, Orte, die funktionell möbliert sind – von den Treppenstufen über das Treppengeländer bis hin zur Lichtführung. Orte aber auch, die etwas Gleichförmiges aufweisen, nicht zu längerem Aufenthalt einladen; wobei dies für die engere Anlage im Suva-Gebäude in höherem Mass gilt, als für die Baloîse So-Ba, deren Nord-Treppenhaus durch die Fenstersituation eine gewisse Leichtigkeit aufweist.
An beiden Orten ging es für Fraenzi Neuhaus aber nichts desto trotz darum, einen Raum zum Atmen zu bringen, der formbetonten, statischen Architektur ein prozesshaftes, Wandlung beinhaltendes Moment zu geben. Nichts beinhaltet dies so wie die Natur. Doch geschickt setzt die Künstlerin nicht einfach einen Kontrapunkt, sondern arbeitet mit architektur- und industrienahen Formen und Materialien, lässt nur durch sich wandelnde Rhythmen und feine Abweichungen das organische Moment einfliessen.
Ein Kubus, ist ein Kubus, ist kein Kubus wären hier die Bonmots von Gertrude Stein und René Magritte zu kombinieren und abzuwandeln.
Das beginnt schon damit, dass das an Textilkunst erinnernde Gewebe, das die Künstlerin nutzt, mit textilem Material nichts gemein hat, nicht weich, sondern von hoher Stabilität ist, nicht aus Natur-, sondern aus hochausgerüsteten, technischen Kunstfasern besteht. Und die formale Basis ist nicht vegetativ, sondern konstruktiv. Das Quadrat bestimmt die Formen. Doch durch die Art und Weise wie die Künstlerin das nylonverwandte Material näht respektive plissiert, ensteht aus der Statik ein dynamisch-bewegtes, rhythmisches Muster, das je nach Anordnung und Ablauf wellenförmig mäandert, sich zum Band glättet, als mehr oder weniger komplexe Einzelform Gestalt annimmt. Mit diesem Alphabet gestaltet die Künstlerin nun die Treppenhaus-Wege von unten nach oben respektive von oben nach unten. In beiden Fällen geht die Entwicklung von Erde zu Luft oder umgekehrt von Luft zu Erde, das heisst Dichte wandelt sich in Leichtigkeit und vice versa. Die Komplexität der Wurzel löst sich, vereinzelt sich in einzelne Äste oder Stängel oder löst sich aus der Struktur und wird zum neuen, luftigen Element. Oder, die Treppe hinuntersteigend, kehrt, um mit einem Bild zu sprechen, der Sommer zurück in den Winter.
Die Arbeit für das Suva-Gebäude ist in sattem Orange gehalten, jene für die Baloîse So-Ba in einem intensiven Gelb. Obwohl es beide Farben in der Natur gibt, weisen sie in den gewählten Nuancen nicht auf Natur, sondern im Gegenteil, auf eine abstrakte Lichtqualität, die dem ungegenständlichen Ansatz der Arbeit entspricht.
Soweit die Form, die Farbe und ihre Symbolik. Doch das ist nicht alles. Denn die stockwerkübergreifenden Installationen stehen in engster Wechselwirkung mit dem Ort, dem Raum, der Wand, mit welcher sie durch ihre Platzierung verbunden sind. Da ist zunächst wiederum das Material, das Stabilität und Durchlässigkeit in sich vereint. Es verbirgt die Wand nicht, sondern lässt sie durchscheinen und integriert sie ins feine Moiré-Spiel von Licht und Schatten, das je nach Lichteinfall, je nach Standort oder Bewegung der Betrachtenden das Stabile in Schwingung zu versetzen scheint. Diese Interaktion lässt die künstlerische Arbeit zu einem Teil der Architektur werden und nimmt sie so mit auf Reisen, bricht die verdichtete Struktur des Betons auf und lässt ihn in den Raum hinein atmen. Das heisst, was in den Rhyhtmen von unten nach oben und von oben nach unten geschieht, passiert auch im Dialog von Architektur und Kunst.
Und dies ist nicht nur Spiel, sondern zeigt in freier Form auch auf, was sich allüberall abspielt ohne dass wir Menschen dies zu sehen vermöchten. Wir nehmen die Natur so wahr, wie sie uns unsere Augen zeigen. Doch schon der Blick ins Mikroskop zeigt, wie sehr dieses Bild nur unser Bild ist, wie sehr mathematische Prozesse, Wandlungen von Form und Struktur, ständige Metamorphosen auslösen. Der Atem, die Luftform wie sie Fraenzi Neuhaus hier einsetzt ist, ein gutes Bild dafür, uns von der Kunst auf uns selbst zu besinnen, unseren unablässig atmenden Körper in Beziehung zu seiner Umwelt zu setzen.
Es gibt Künstler und Künstlerinnen, die betrachten Aufträge im Bereich von „Kunst am Bau“ als etwas von ihrem übrigen Schaffen Getrenntes. Spannender sind indes jene Projekte, die zentrale Momente eines künstlerischen Oeuvres auf spezifische Situationen hin zu wandeln vermögen. Dies gilt in hohem Masse für Fraenzi Neuhaus. Und zwar gleich mehrfach. In einer Ausstellung hier in Solothurn zeigte die Künstlerin kürzlich nichts als leicht plissierte, der Zeichnung verwandte Membrane aus demselben Material, wie es für die beiden hier besprochenen Kunst am Bau Projekte Verwendung fand. Das heisst, die Architektur, die hier das Bezugsfeld darstellt, war dort der offene Raum mit einem Dahinter und einem Davor. In anderen, skulpturalen Arbeiten bildet das Gewebe die Aussenhaut, wobei es sich entweder körperhaft zum Cocon formt oder, um ein Gerüst gespannt, direkt zum begehbaren Behälter für den Körper wird.
Das heisst, die Material-Haut, die in den freien Arbeiten bezug auf den Raum respektive den menschlichen Körper nimmt, bezieht sich in den umbauten Situationen, wie hier, auf die Körperlichkeit der Architektur.
Ich danke fürs Zuhören.