Miriam Cahn Centre PasquArt Biel Mittellandzeitung Jan 2002
Gemalte Energie zwischen Mensch und Tier
www.annelisezwez.ch Erschienen im Mittelland-Zeitung, Januar 2002 (ca. 26ter)
Als erste Künstlerin überhaupt belegt Miriam Cahn sämtliche Räume des neu/alten Centre PasquArt in Biel. Rund 15 Säle und Räume. Die Grösse entspricht dabei der Kraft dieser ersten Retrospektive in der Schweiz.
Mit ihrer radikal-feministischen Haltung hat Miriam Cahn (53) die Kunst der 80er Jahre in der Schweiz massgeblich geprägt. Doch wer erinnert sich nicht nur aufgrund von Abbildungen an den „Wach Raum“ und „Das Klassische Lieben“ in der Kunsthalle Basel (1981/83) und „Das Wilde Lieben“ an der Biennale Venedig (1984)? Wer weiss noch um den Skandal, als Miriam Cahn 1982 den „Wach Raum II“ am Vorabend der Documenta-Eröffnung abhängte? Erstmals hat die Künstlerin nun Aspekte dieser Räume mit den riesiegen „weiblichen“ und „männlichen“ Gegenstandszeichnungen rekonstruiert. Ihre Kraft ist ungebrochen, auch wenn die Papiere, auf denen sie vor 20 Jahren auf dem Boden ihres Ateliers die schwarze Kohle vertrieb, zum Teil bereits gefährlich nahe am Zerfall sind. Gleichzeitig sind die frühen Arbeiten aber bereits Geschichte. Umsomehr als Miriam Cahn in den letzten sieben Jahren ein malerisches Werk erarbeitet hat, dass von anderer, aber von ebensolcher Kraft ist.
Ausser in der Galerie Stampa in Basel hat man dieses malerische Werk in der Schweiz bisher nie in grösserem Zusammenhang gesehen. So ist denn die Retrospektive in Biel nicht ein Abspulen von Bekanntem, sondern zeigt Raum für Raum Neues. Miriam Cahn, welche die Ausstellung weitgehend selbst konzipierte (sie lässt sich auch heute noch nicht dreinreden), geht dabei nicht chronologisch vor, sondern assoziativ. Grosses hängt neben Kleinem, Ölbilder neben Kohlezeichnungen, Gemaltes neben Fotografiertem, Figuren neben Pflanzen, Tiere neben Landschaften. Nicht wahllos, sondern einem musikalischen Rhythmus folgend. Es sind Klangfelder, wie sie auch die Musik-CD bestimmen, welche dem zur Ausstellung erschienene Künstlerinnenbuch als Edition beigelegt ist. Darauf überlagert Miriam Cahn Sound-Tracks zu frühen Ausstellungen mit aktuellen Geigenstrichen, sodass eine geschichtete Gleichzeitigkeit entsteht. Ähnlich dem Titel der Ausstellung: „Architekturtraum“. Das Gebäude, von dem Miriam Cahn träumt, ist ein Luftkörper, wie er früh als weibliches Zeichen und heute rötlichtransparent oder pigmentblau im Bild erscheint. Ein Kubus, der als real nicht fassbarer Erinnerungskörper ihr Werk und die darin behandelten Themen als Ganzes durchwirkt.
Je länger man in der Ausstellung verweilt, desto weicher wird der Bruch zwischen dem zeichnerischen und dem malerischen Werk. Insbesondere die L.I.S.-Arbeiten (Lesen in Staub), die schon um 1987 die Verwandtschaft zwischen Mensch und Tier zum Thema haben, erweisen sich als Bindeglied. Als Zäsur nennt Miriam Cahn indes immer wieder den „Fernseh-Krieg“ am Golf von 1991. Der „Kriegsraum“ ist in Biel integral ausgestellt. Zäsur meint dabei den Wechsel vom Reagieren auf die Umwelt zur Visualisierung des eigenen Be- und Getroffenseins. Schon die Ausstellung von 1993 im Zürcher Kunsthauses hiess „Was mich anschaut“ und markierte damit den Wechsel vom kollektiven zum individuellen Ich. Und das prägt das neuere Werk als Ganzes. Ob Miriam Cahn Tier oder Mensch, Landschaft oder Haus malt, nie zeigt sie den Blick nach aussen, sondern macht sichtbar wie das Gesehene in ihr selbst aussieht, wie sie es fühlt, wie es auf sie wirkt, welche Energien, welche Farben Leuchtkraft haben. Insofern ist auch die Frage müssig, ob es sich bei den Figurenbildern um Selbstporträts handle oder nicht. Es ist immer Miriam Cahn, die das Erscheinungsbild in sich spürt, ob als Frau, als Mann, als Kind, als Äffin, als Pflanze, als Bergsee.
Ihr Schauen ist dabei ganz Frau (logischerweise), egal ob die Erscheinung weiblich oder männlich ist. Analog dem Blick auf die männliche und weibliche Welt in den frühen 80er Jahren. Nur dass damals das Leiden an sich, den Frauen und der Gesellschaft Kampf forderte, während heute der Blick viel ruhiger ist. Ruhiger heisst keinesfalls weniger wach. Die Intensität, welche ihre stets geschlechtsbewussten Figuren ausstrahlen, ist elektrisierend. Da scheint es nichts zu geben, was die Künstlerin nicht sähe, spürte. Und immer haben Kopf und Körper denselben Ausdruck, sind das Gesicht und die Brüste, die Haltung und das Geschlecht eine Fühl-Einheit, im Strich, in der Form und vor allem in der Farbe. Wie Miriam Cahn Rot, Blau, Gelb, Grün, Rosa, Lachs, Grau einsetzt, geht im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut.
Sind die frühen Zeichnungen von Miriam Cahn Marksteine im Kontext des feministischen Aufbruchs in der Schweiz, so sind die neueren Arbeiten qualitativ bedeutsame Ausfächerung eines Themas, das um 1906/08 mit den Nackt-Bildnissen von Paula Modersohn-Becker und Richard Gerstl begann und über Maria Lassnig bis Marlène Dumas Fortsetzung fand und findet.
Das Künstlerinnenbuch (Cantz-Verlag, Stuttgart) enthält u.a. ein ausführliches Interview mit Miriam Cahn von Peter Burri (Basel).