Video-Installation von Sara Rohner im Espace libre in Biel 2002

Aufschrei – zwischen Ost und West

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 13. Dezember  2002

 

Mit der Videoinstallation „Aufschrei – zwischen Ost und West“ zeigt sich Sarah Rohner (38) als wichtige Seeländer Kunstschaffende. Die im Aargau wohnhafte Multimedia-Künstlerin ist in La Neuveville aufgewachsen.

azw. Was Sarah Rohner in ihrem Leben und ihrem künstlerischen Schaffen immer wieder beschäftigt – und fasziniert – ist die Gleichzeitigkeit und die Wechselwirkung von Schauen, Hören und Denken. Wenn wir in ihrer bisher grössten Videoinstallation im Espace libre des Centre PasquArt nur schauen, sehen wir zwei in Opposition installierte Videoprojektionen, die sich in zehn doppelten Tüllvorhängen zeigen, durchdringen und in den Raum ausbreiten. Ein tanzender Mückenschwarm da, sich von gelb in rot wandelndes (Sonnen)-Licht dort. Wenn wir uns im stark abgedunkelten Raum aufs Hören konzentrieren, nehmen wir Vogelgezwitscher im Wechsel mit Fetzen aus Radio-Nachrichten wahr, die in Abständen von krachendem Lärm durchbrochen werden.

War das nicht ein Schuss? Nein, es war der herunterdonnernde Rolladen im Atelier der Künstlerin, am Audiopult so verstärkt, dass die Assoziation „Schuss“ fällt. Im Radio ist von Panzern die Rede, die nach Ramallah vordringen, von Schüssen, von Explosionen, von Opfern; nicht zusammenhängend, sondern fetzenartig und wechselnd zwischen deutsch und welsch. Dann zwitschern die Vögel wieder, die Mücken tanzen und die Sonne geht, sich im Atelierfenster spiegelnd, leuchtend rot unter. In der Verbindung von Bildern und Tönen vermischt sich, so wir das mental zulassen, das Hier und das Dort. Die zwischen saftig grünen Blättern auf der Thermik des Abends tanzenden Mücken wandeln sich vom Naturschauspiel zum gejagten Menschenknäuel und wieder zurück. Die Sonne, das Blut, die Sonne, das Blut.

Die Vermischung ist nicht aufdringlich, man kann sie ausblenden oder zulassen. Die Installation funktioniert nicht nur inhaltlich, sondern auch formal. Das ist ihre Qualität. Die weissen Tüllvorhänge schaffen Rhythmus und Transparenz und lassen das farbige Videolicht sich mischend und auflösend in den Raum vordringen. Die Parameter sind erkennbar, doch was sich darin entwickelt ist nicht fassbar. Analog unserem Leben, das wir nicht in Einklang mit dem Weltgeschehen zu bringen vermögen und das doch den Blick deutlich färbt. Sarah Rohner formuliert es im Titel ihrer Installation: „Aufschrei – zwischen Ost und West“. Dasselbe Muster gilt auch für die Tonspur, die nicht einem Gefühl entlang geschnitten ist, sondern mit Sequenzen arbeitet, welche die Künstlerin auf einer Palästina-Karte ausmass und daraus eine „Melodie“ schuf. Um Einsicht zu geben, ist die „Partitur“ draussen vor dem Kunst-Raum mit Abdeckbändern visualisiert.

Sarah Rohner kam nicht auf direktem Weg zur Kunst. Nach der Matura in Biel (1984) arbeitete sie zunächst in der psychiatrischen Klinik des C.G. Jung-Instituts und studierte dann Theologie an der Universität Zürich. Ihre künstlerische Ausbildung schloss sie 1995 an der Hochschule für Gestaltung in Zürich ab. In den letzten Jahren verwirklichte die Künstlerin mehrere Installationen in Dialog mit zeitgenössischer Musik, zuletzt für die Gruppe für Neue Musik Baden. Im Sommer dieses Jahres realisierte Sarah Rohner im Rahmen des vom Verein Bielersee-Schutz initierten Projektes „Der Pfad – le sentier“ ein Videoprojekt.