Wie auf Erden so im Himmel

Fondation Beyeler zeigt Anselm Kiefer. Neue Mittelland Zeitung (AZ +) 05_11_2002

Wieder versucht die Fondation Beyeler mit einer bedeutenden Ausstellung die Kunstgeschichte umzuschreiben: Diesmal soll der deutsche Maler Anselm Kiefer (56) von faschistischem Ballast befreit werden. Ambivalent.

Unbestreitbar: Anselm Kiefers Werk ist leidenschaftlich und faszinierend. Esoterisch in seiner Anlage. Als Visionär versucht der lange am 2. Weltkrieg Leidende den Missbrauch der Mythen zu bannen. Das Böse und das Dunkle zu integrieren. Doch indem er ihre Insignien bildhaft zu Machtdemonstrationen aufplustert, setzt er sie erneut der Möglichkeit ideologischen Missbrauchs aus. Die Grösse seiner Hauptwerke wirkt vereinnahmend, Widerrede wird ausgeschlossen.

Anselm Kiefer ist am 8. März 1945 in Donaueschingen geboren, wenige Wochen vor dem Ende des 2. Weltkrieges. Der Vater kam vier Jahre später aus russischer Gefangenschaft zurück. Seine frühesten Kindheitserinnerungen sind Spiele in Ruinen. Nach einem juristischen und geisteswissenschaftlichen Studium in Freiburg wechselt er zur Kunst und wird schliesslich Schüler von Joseph Beuys. Es sind die späten 68er Jahre, die Zeit der individuellen Visionen in der Kunst und die Zeit emotionaler Aufarbeitung des 2. Weltkrieges in Deutschland. Kiefer setzt sich mit Reisen ins „Dritte Reich“ in Szene, lässt sich mit Hitlergruss in Berg- und Seelandschaft fotografieren. In Künstlerbüchern beschwört er sich selbst: „Du bist Maler“ und malt 1973 das erste Grabmal für den „unbekannten Maler“. Das „Heldische“, das die Frühzeit auszeichnet und ihn, vor allem im deutschsprachigen Raum, zum äusserst umstrittenen Künstler macht, ist trotz veränderter Thematik unterschwellig bis heute spürbar und die Quelle der Ambivalenz, die sein Werk zwischen Opfer- und Retterthemen ausstrahlt.

Ebenfalls 1973 malt er, in seinem neuen Atelier im Odenwald, das drei Meter hohe „Resurrexit“ – eine zweigeteilte Wald-Landschaft mit einer Schlange im Vordergrund und einer kreuzähnlich angelegten Holztreppe über dem eigentlichen Bild, die in eine Dachbodentüre mündet. Dunkel gemalter Rauch verbindet die zwei Teile, eint Welt und Mythos; hier noch christlich geprägt, später vor allem jüdisch. Mit dem Holocaust, so Kiefer an der Pressekonferenz in der Fondation Beyeler, habe Deutschland nicht nur Völkermord begangen, sondern auch seine jüdisch mitgeprägte Kultur kastriert, darum gelte es, die beiden Kulturen neu zusammenzuführen. Zusammen mit der „Türe“, welche die realen Überreste eines (beuysschen) Hasenfells auf derselben Dachbodentüre (diesmal von innen) zeigt, bildet „Resurrexit“ den Auftakt zur ersten grossen Einzelausstellung von Anselm Kiefer im deutschsprachigen Raum seit 1991.

Die Werkschau kreist Kiefers Schaffen anhand von vier Werkgruppen zum Thema Raum und Architektur ein. Eine geschickte Zentrierung. Auf die Dachbodenbilder folgen die „Steinernen Hallen“, die „Ziegel- und Lehmarchitekturen“ und die „Sternen-Bilder“. Anders ausgedrückt: Auf die Atelier-Innenbilder folgt die Auseinandersetzung mit der Aussen-Architektur des Dritten Reiches, die Erweiterung in archaische und wüstenhafte (Pyramiden)-Landschaften und schliesslich die Öffnung zum Kosmos. Noch einmal anders gesagt: Auf die Positionierung des eigenen Ichs folgt der Disput mit der deutschen Geschichte, ihre Überwindung in den Grossräumen der Zeit und schliesslich das Verschmelzen mit der Vision des Universellen. Eine Kosmologie, die, anders als das Christentum und der Islam, Zerstörung und Auferstehung, dunkel und hell, in ewiger Wechselwirkung sieht. Die der Ausstellung den Titel gebenden Gouachen der „Sieben Himmelspaläste“ (Emulsion und Kohle auf Fotografie) verbinden folgerichtig Anfang und Ende, markieren die visionäre Gleichzeitigkeit iridischer und himmlischer Gegenwart nach dem Prinzip: Wie auf Erden, so im Himmel und umgekehrt.

Während Kiefer im deutschsprachigen Raum umstritten blieb (und wohl auch bleibt), feiert der Künstler in den USA und selbst in Israel grosse Erfolge. Sowohl ideell wie marktmässig. Helden führen in den USA ein leichteres Leben. Dennoch zog Kiefer nicht nach Amerika, sondern nach Barjac in Südfrankreich. Auf dem Areal „La Ribaute“ baut er seit 1993 ein Gesamtkunstwerk zwischen unter- und oberirdischer Architektur, versetzt mit den skulpturalen Insignien seiner Bildwelt.

Frankreich öffnete das Werk – das 40 Quadratmeter grosse, mit Asche und Terrakottastücken geradezu materialisierte Pyramidenbild „Dein und mein Alter und das Alter der Welt“ von 1997 ist allein eine Reise nach Riehen wert. Auch wenn der „Berg“ (nach C.G. Jung Inbegriff des Männlichen) seine Macht darin nicht verspielt und nicht zufällig einer Frau, Ingeborg Bachmann, gewidmet ist, der Lyrikerin zwischen Leben und Tod, mit welcher er sich in spirituellem Briefwechsel fühlt, wie er in einer TV-Kultursendung sagte. Wäre da nur nicht immer wieder dieses Ambivalente, dieses Fundamentalistische und Pathetische, das selbst in der Schwärze des Sternen- respektive verkohlten Sonnenblumenkernen-Regens Kiefer als „Erlöser“ oder zumindest „Erleuchteten“ suggeriert. Gerade die Weltlage, die Kiefers Werk so aktuell macht, belässt es auch in seiner Spannung.

112-seitiger Katalog mit Essay von Christoph Ransmayr und kunsthistorischen Texten von Markus Brüderlin, Mark Rosenthal und Katharina Schmidt. Fr. 48.-