Vernissagerede anlässlich der Ausstellung von Barbara Graf und Susan Hodel im Aarbergerhus in Ligerz

  1. September 2003

Annelise Zwez

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Barbara, liebe Susan

Die allererste Ausstellung, die hier im Aarbergerhus stattfand, lange bevor die Stiftung gegründet wurde, zeigte Werke von Elsi Giauque. Man darf sie also mit Fug und Recht als Schirmherrin der Kunst im Aarbergerhus bezeichnen. Umsomehr als die Verbindung von Festi und Aarbergerhus durch zwei Elsi Giauque respektive ihren Schülerinnen gewidmete Ausstellungen in den letzten Jahren erneuert wurde. Und ich denke, sie hätte Freude heute.

Denn Barbara Graf und Susan Hodel, deren Ausstellung ich eröffnen darf, sind auf ihre Art genauso Pionierinnen wie es Elsi Giauque einst war als sie ihre Tapisserien zu Flugobjekten machte und mit ihnen den Raum eroberte.

Barbara Graf mit ihren Körper-Kleid-Skulpturen würde ihr bei einem Rundgang vermutlich näher liegen als der an der Basis konzeptuelle Ansatz in den Arbeiten von Susan Hodel, doch in der Spannweite liegt die Essenz. Umsomehr als beide – und das wurde von uns bewusst so gesetzt – mit ihrem Material oder seinen Strukturen arbeiten.

Als wir gestern die Ausstellung einrichteten, spürte ich bei allen aus Ligerz und Umgebung stammenden – also nicht nur bei Pia Andry und Käthi Wenger aus dem direkten Umfeld von Elsi Giauque – eine eigenartige Vertrautheit mit dem Schaffen von Barbara Graf. Doch halt, hängende Kleidskulpturen sind keine Säulen im Raum. Wie kann ich das erläutern: Von Elsi Giauque gibt es „une petite main“ – eine kleine Hand. Ein nur gerade 30 Zentimeter langes Hängeobjekt in Wickeltechnik mit fünf Fingern. Auch von Barbara Graf gibt es hier in der Ausstellung eine Hand, eine geöffnete Hand. Eine Hand, in die man – theoretisch – die eigene legen kann. Während Elsi Giauque also ein Objekt schuf, das mit Form, Farbe und Material sich selbst darstellt, sucht Barbara Graf die unmittelbare Nähe zu Körper und Körperbewusstsein. Elsi Giauque und Barbara Graf sind nicht dieselbe Generation. Sich selbst als Körper oder zumindest als Massstab in die Kunst einbringen, ist weitgehend eine Errungenschaft der Frauen nach 1968 und vor allem dann in den 80er Jahren. Da fand in Winterthur unter anderem die berühmte Ausstellung „Körperzeichen“ statt, welche die Zürcher Vorkurs-Schülerin Barbara Graf in ihren Bann zog. Insbesondere die Malerei von Maria Lassnig. Die Wienerin ist eine Pionierin, dahingehend, dass sie in ihren Bildern den Körper nicht einfach als anatomische Form begreift, sondern als eigene Umrisse zeigender Fühl-Körper.

Barbara Graf, 21 Jahre alt, dachte sich: Bei der will ich was lernen. Sie sei naiv gewesen, sagte sie mir am Freitag, habe einfach die Adresse gesucht und die Dame – mit Herzklopfen wohlverstanden – angerufen. Maria Lassnig sagte ihr, sie unterrichte an der Akademie und in zwei Wochen seien da Aufnahmegespräche. Die Frequenz des Herzklopfens stieg und doch setzte sie sich in den Zug, fuhr nach Wien, präsentierte sich und wurde aufgenommen. Was uns Barbara Graf hier und heute zeigt, hat keine direkten Verbindungen mit Maria Lassnig mehr und doch hat sie ihr die Freiheit mitgegeben, diesen, unseren Körper als Material zu neuer Aussage zu nutzen. Das Innere des Körpers auszusstülpen und autonom neu zu schaffen. Mit dem „Kleid“ hat Barbara Graf die ideale Membran gefunden, die ihr das ermöglicht.  Das Kleid formt den Körper nach und ist doch individuell formbar und variabel. Die ältesten Arbeiten von Barbara Graf, an die ich mich erinnern kann, waren sehr stark dem Skelett nachempfunden. Körperkleider im engeren Sinn des Wortes. Heute geht Barbara Graf in der Regel von einem Fragment des Körpers aus, einem Wirbel zum Beispiel. Sie nimmt ihn als Form, klappt ihn auf dem Zeichenblatt auseinander, betrachtet ihn und beginnt dann – einer Modezeichnerin gleich – zu spielen. Der Wirbel wird zum Element aus dem das Kleid geschneidert werden soll. Durch drehen, wenden, multiplizieren, weiten und verengen, runden und strecken entsteht ein Modul, das vielfältige Nutzungsmöglichkeiten bietet. Die eindrücklichen „Gebrauchsanweisungen“, die allen Kleid-Objekten zugesellt sind, erzählen uns davon. Dann wird genäht, mehr oder weniger Gaze eingesteppt, Adern eingezeichnet, eventuell mit Bändern Farbe zugefügt oder mit Karton-Objekten Form definiert. Es werden Ösen, Haken, Druckknöpfe angenäht, um die Formen zu bilden, die Körper in den Raum zu zeichnen. Nie vergisst die „Designerin“ dabei, dass „Kleider“ auch gefaltet werden müssen, um mit auf die Reise genommen werden zu können. Und so wundert es nicht, dass Barbara Graf lediglich mit Koffer, Tasche und Schachtel hier ankam, um die Ausstellung aufzubauen.

Alles hat auch praktische Gründe – dass die Grösse der Kleider ihr selbst entspreche habe zum Beispiel nichts mit Ichbezogenheit zu tun, sagt sie, aber, so Barbara Graf „ich habe mich einfach immer mit dabei und da ist es am einfachsten, an sich selbst zu messen“. Ebenso sei die Faltbarkeit der Arbeiten nicht primär konzeptuell, sondern vor allem praktisch. Denn: 1995 wurde Barbara Graf das Atelier der Schweizer Städtekonferenz in Shabramant bei Kairo zugesprochen. Und, wie unter Atelier-Stipendiaten gar nicht so selten, blieb sie gleich da. Die Liebe. Seither lebt Barbara Graf in Kairo, Wien und Winterthur. Und jetzt kommt, Ägypten eingedenk, unweigerlich die Frage, was ihre Arbeiten mit der Tradition der Mumien zu tun hat. Eigentlich nichts – und doch ist da ein Bewusstsein für den Körper als Ort des Lebens, das die Arbeiten Barbara Grafs mit dem alten Ägypten bis hin zu den Sphinx verbindet. Ein Bewusstsein, dass Leben etwas Körperliches ist und nicht nur im Kopf stattfindet und auch nicht nur Sexualität meint. Dass Körper eine Sprache ist, mit deren Bestandteilen man spielen kann und zugleich das Ganze meinen – den Wirbel habe ich bereits erwähnt, doch da gibt es auch den Kragen, dessen Steh-Stäbchen der Form der Chromosomen nachempfunden sind. Und bei alledem ist da die Plastikerin nicht zu vergessen, die – auch die Augen ihres Bildhauer-Gatten mitnehmend – um die Form im Raum weiss, um das Licht und um den Windhauch, der die Kleider bewegt. Die Fotografin Barbara Graf setzt da an, um anderes sichtbar zu machen als die materielle Präsenz es kann.

Susan Hodel

Auch Susan Hodel ist ursprünglich Malerin. Auch ihre Verwendung textilen Materials kommt nicht aus der Tradition der Tapisserie. Auch nicht aus der Mode. Sondern aus der Tatsache, dass Malerei schon immer beschichtete Weberei war. Manchmal, so denke ich, vergessen wir, dass Leinwand von Linnen kommt und ein Gewebe meint. Dabei ist gerade die geometrische Kunst ohne die Horizontal-Vertikal Struktur des Bildträgers kaum denkbar. Man denke nur an Sophie Täuber Arp, die Vorgängerin von Elsi Giauque als Lehrerin an der Textilfachklasse der Kunstgewerbeschule Zürich. Susan Hodels Arbeiten machen dies in beispielhafter Art und Weise bewusst.

So wie Barbara Graf immer wieder auf die Mumien angesprochen wird, fällt bei Susan Hodel immer wieder der Name Lucio Fontana. Das ist der Italiener, der in den 60er Jahren die Leinwände aufgeschlitzte respektive mit dem Revolver darauf schoss und sie durchlöcherte. Doch stand bei Fontana zu Beginn der arte povera-Bewegung die Attacke gegen die Tradition der Malerei im Vordergrund, so wurzelt Susan Hodels Auseinandersetzung mit der Leinwand in ihrer Abstraktheit als Träger des Bildes. Wieso das Dahinter und das Davor malen, wenn man doch mit der Schere direkt in die Leinwand schneiden und/oder mit Nadel und Faden hinten und vorne verbinden kann. Ein mutiger Schritt, den Fontana gewiss vorbereitete, dennoch hier zu Werken mit ganz anderem Charakter führte. Dass sie den Mut zuweilen mit der abschätzig gemeinten Wertung „Textilkünstlerin“ bezahlte, zeigt wie lächerlich es ist Material und Kunst miteinander zu verwechseln.

Der Wunsch, das Dahinter und das Davor, das Unsichtbare und das Sichtbare miteinander zu verbinden, führte Susan Hodel schnell dazu, verletzen und heilen zu kombinieren, das Nähen, das ständige hinten/vorne/hinten/vorne als „Malerei“ mit Nadel und Faden einzusetzen und dabei den Haut-Charakter der Leinwand nie zu vergessen. Die Werke aus dieser Zeit sind wie Membrane, in die Erlebnishaftes in feine, abstrakte Notate übersetzt ist, feine Punkte zum Beispiel, feinste Bänder, die einzeln verknüpft sind, Umwicklungen, welche die Ordnungen des Horizontal und des Vertikal aus der Bahn bringen. Immer blieb die Künstlerin – das macht die neuere Entwicklung sichtbar – ein Stück weit Malerin. In den kleinen Anschriften neben den Werken in der Ausstellung finden sie es; da steht zum Beispiel „ohne Titel“, dann aber ganz präzise: „Öl auf Kreide auf Baumwolle, Baumwollfaden“ – somit Malerei, Zeichnung und Tapisserie in einem. Bilder, die subtil und reich von Vibrationen erzählen wie sie unser Körper jede Sekunde durchläuft, am Rand zwischen Ordnung und Veränderung.

Diese Vibrationen sind vielleicht der Kern des künstlerischen Ausdrucks von Susan Hodel. Denn darin finden wir auch die Bedeutung, welche die Künstlerin dem Faden, der Linie beimisst. Im Laufe der Entwicklung wird das Schneiden immer weniger wichtig, die Linie aber, die genähte, die in der Leinwandstruktur enthaltene immer wichtiger. Genähtes und Gezeichnetes treten in Dialog und schliesslich wird sogar der Materialwechsel zwingend, ohne dabei die Charakteristik dessen zu verlassen, was so viele mit textilem Material arbeitende Künstlerinnen fasziniert. Die Eigenschaften des Fadens oder des Bandes, das sich in Webmustern auf- und abschlängelt, Bewegung als natürliche Eigenschaft in die Ordnung von Senkrecht und Waagrecht einbringt. Warum nicht mit Weissblech weben und die Eigenschaften des verformbaren Metalls sichtbar machen? In der Fläche, in der Rolle. Warum die Bewegungen eines natürlich wellenden Stoffes nicht in einen metallenes Saumband umwandeln und auf dem Boden auslegen? Warum nicht präzise hinschauen wie sich  Stoff- respektive Hautstrukturen in der Natur verhalten, wie sich Schlangenhaut bildet und bewegt, wenn man sie auffächert und dies nach all den Sorgen mit Bild und Bildträger letztlich wieder in die Malerei zurücknehmen. Die jüngsten Bilder in der Ausstellungen erzählen davon und lassen die Entwicklung von Susan Hodel offen – wir haben das Glück in dieser Ausstellung Werke aus 10 Jahren vereint zu finden, welche den ganzen Auseinandersetzungsprozess eindrücklich aufzeigt.

 

Es ist mir zum Schluss ein Anliegen, zu danken. Nicht nur den Sponsoren, welche die Ausstellung finanziell unterstützten – neben Unternehmen, Privaten und Gemeinden möchte ich vor allem die Kantonale Kommission für angewandte Kunst erwähnen, die mit ihrem Beitrag das anerkennt, was wir hier anstreben. Nämlich der Kunst mit textilen Materialien eine Plattform bieten, aufzeigen, dass diese nicht „tot“ ist, wie viele behaupten, sondern so facettenreich lebt, wie es diese Ausstellung hier andeutet. Gewiss, Kunst ist Kunst und abhängig von einem Material. Dennoch bietet der spezifische Blick eine Klammer, die es erlaubt ein Kapitel Kunst näher zu betrachten und zu schauen, wie sich Tradition und Gegenwart darin verbindet. Konkret: Es bewahrt vor Beliebigkeit. Hier im Aarberhus einmal pro Jahr zeitgenössische Kunst zeigen zu wollen wie es tausend andere Institutionen und Galerien jahrein, jahraus tun, wäre überregional bedeutungslos und ohne Chance sich mit Ausdauer und Einsatz Gehör zu verschaffen. Gerade der Geist von Elsi Giauque ermöglicht hier aber etwas Einmaliges, was es sonst in der Schweiz nicht gibt. Das Beobachten, wie sich Kunst mit textilen Materialien heute gibt – an allen Grenzen – hin zur Malerei, zur Plastik, zum Design, zur Mode. Das ist spannend. Und das ist Chance.

Wenn ich vorhin sagte, nicht nur den Sponsoren danken, so meinte ich damit genau dies. Es ist mir bewusst, dass ich mit meiner langjährigen Erfahrung im Bereich der zeitgenössischen Kunst, meinem Selbstverständnis, mich in diesen Gedanken- und Äusserungsfeldern zu bewegen, die Ligerzer herausfordere. Darum gilt mein persönlicher Dank der Gemeinde Ligerz, der Stiftung Aarbergerhus, der Kommission, die mitziehen, die ermöglichen, Rücken stärken, Mut machen, über Schwellen springen, die Augen und Ohren zuhalten und sagen: “ Hier durch“. Darum sind wir heute hier und freuen uns über das Gelungene. Danke Annemarie Steiner, danke Kurt Ueli Berger, danke Hedy Martin, danke Pia Andry, danke Käthi Wenger, danke Kurt Rohner, danke Dora Nyffeler und dem Ehepaar Giger und danke Lilo Schär, die hoffentlich nächstes Jahr wieder mit uns an der Arbeit ist.

 

Ihnen allen wünsche ich einen anregenden Sonntag und danke fürs Zuhören.