Barbara Zürcher: Direktorin der Bieler Fototage

Ich habe einen Traumjob gefunden

Erstpublikation: Bieler Tagblatt, 4. September 2003

Seit April ist die Kunsthistorikerin und Kulturmanagement-Fachfrau Barbara Zürcher (40) Direktorin der Bieler Fototage. Am Freitag gibt sie in der Alten Krone und in der Stadtkirche ihren Einstieg. Ein Porträt.

„Gute Fotografie löst beim Betrachten Gänsehaut aus“, meint Barbara Zürcher und sagt damit dreierlei. Nämlich, was sie reizte, als sie sich als Kunsthistorikerin auf Fotografie spezialisierte, warum sie Hannah Villiger (1951-1997) zum Thema ihrer Lizentiatsarbeit an der Universität Basel machte (1999) und was von den Bieler Fototagen 2003 und noch viel mehr von bereits geplanten von 2004 zu erwarten ist. Fotografie, die betrifft, Fotografie, die an ihre eigenen Grenzen geht und dies weniger technisch als vielmehr von ihrer einzigartigen Möglichkeit her, das Leben unmittelbar und direkt „einzufangen“.

Dass dies nicht aufgesetzt ist, sondern ein wichtiger Aspekt ihrer Persönlichkeit, spiegelt sich in der Biographie der Baslerin. Als Hauptrichtung ihres Phil. 1 Studiums, das sie im Anschluss an die Matura begann, habe sie „Philosophie“ gewählt und, jung und unerfahren wie sie gewesen sei, einen Gang durch die Geschichte des Denkens von Aristoteles bis zur Existenzphilosophie erwartet. Als sie nach einiger Zeit realisierte, dass dem nicht so war, machte sie einen ihrer „Jobs“, jenen als Nachtwache im Pflegereich, zum Zentrum ihres Lebens und wurde Krankenschwester. Drei Jahre Ausbildung und ein Jahr Praktikum – „das war“, sagt sie rückblickend, „hart, anstrengend, aber eine hevorragende Lebensschule“. Vor allem die Zeit als Gemeindeschwester in einem Bauerndorf habe ihr Blicke ins Leben – und den Tod – gewährt, die sie nie missen möchte.

Tatsächlich ist eine Biographie, die Philosophie, Krankenpflege und, später, Kunst, Deutsch und Geschichte kombiniert, ausgesprochen ungewöhnlich, aber vielleicht Ausdruck einer Generation, die sich, je nach persönlichem Umfeld, existentielle Themen auf ungewohnte Weise suchen musste.

Ihr Beruf gab Barbara Zürcher nun die Möglichkeit, an die Universität zurückzukehren und parallel dazu ihr eigenes Leben zu finanzieren. Vereinfacht ausgedrückt: nachts arbeiten und tagsüber studieren. Was sie gereizt habe, ihre Lizentiatsarbeit über Hannah Villiger, eine Pionierin im Bereich von Kunst und Fotografie, zu schreiben? „Ich war eine der ersten, die Kunstgeschichte bei Gottfried Böhm mit einem Fotothema abschloss. Das Unbeackerte reizte mich, aber auch wie Hannah Villiger ihren Körper als vergängliches, skulpturales ‚Material‘ einsetzte und damit die ‚arte povera‘ auf ganz eigene, hautnahe Art fortschrieb.“ Und das Körperthema in Wechselwirkung mit ihrem Beruf? „Vielleicht auch das“.

Dass sie Kunst und Öffentlichkeit suchte, war Barbara Zürcher klar; erste Erfahrungen machte sie, noch während des Studiums, als Assistentin in der Fotogalerie von Anita Neugebauer. Ihr Ziel war jedoch ein Volontariat bei der Zeitschrift „Du“. Beim zweiten Anlauf gelang der Einstieg und mit den Du-Heften zu Meret Oppenheim und „China im Kopf: Eine Spiegelung“ hat sie in den zwei Jahren in Zürich deutliche Spuren hinterlassen. „Es war sehr spannend, hier die drei Richtungen meines Studiums, will heissen Kunstgeschichte, Deutsch und Geschichte, zu Kultur in einem umfassenden Sinn zu verbinden. Mit Lise Sarfati, die damals für uns in Peking so eindrücklich fotografierte, möchte ich auch in Biel einmal etwas machen.

Doch halt, bevor Barbara Zürcher zu „ihrem Erstaunen“ und trotz ihres „français bâlois“ nach Biel gewählt wurde, absolvierte sie in Basel eine Kulturmanagement-Ausbildung – in derselben Klasse wie die Bieler PasquArt- und die Thuner Kunstmuseums-Direktorin Dolores Denaro und Madeleine Schuppli. Wahrlich ein ergiebiger Jahrgang für den Kanton Bern, zählt man auch noch die Geschäftsführerin der Berner Kunstgesellschaft, Franziska Räz, dazu. „Für mich ist die Tätigkeit hier in Biel ein Traumjob“, sagt sie, und deswegen ‚vergesse‘ sie im Moment auch, dass ich zu 40% und nicht zu 100% angestellt sei. Dass die Fototage dieses Jahr „schweigen“, war für Barbara Zürcher dementsprechend nie ein Thema.

Dass jetzt Modefotografie angesagt sei, habe manche irritiert, doch zum einen sei Mode immer ein Thema der Fotografie gewesen und zum anderen ihr Blick nicht der gewohnte. „Die Zürcher Fotografin Ruth Erdt zum Beispiel fotografiert nicht Kleider, sondern gekleidete Körper in Grenz-Situationen. Haut ist da ebenso ein Thema.“ Und dann geht es mir auch um Vernetzung – ich bin ein Mensch, der über Kommunikation funktioniert – darum bin ich glücklich, dass Radio Canal 3 mit einer Reportage in Biel mitzieht. Und Christa de Carouge … da fiel mir schlicht in den Schoss, dass die bekannte Designerin bei meinem Besuch in Genf sagte, klar komme sie, sie habe noch nie eine Performance in einer Kirche gemacht.

Gleichzeitig durfte ich erleben, dass man in Biel so offen ist, auf dieses Experiment einzugehen. Überhaupt bin ich hier so aufgenommen worden wie man sich das nur erträumen kann, sowohl vom ‚Comité‘ der Fototage wie von den Museen inklusive Photoforum. Für „Spuren“ konnte ich zwei Beiträge realisieren; das gab mir die ideale Möglichkeit, das was hier war und ist, aufzuarbeiten.“

Wichtig ist Barbara Zürcher bei der jetztigen Veranstaltung überdies, dass Bieler Chorsängerinnen als Models auftreten. Denn so entstehe Verdichtung. Etwas, das sie auch für die Fototage 2004 weiterentwickeln möchte: „Mir schwebt eine Tag- und eine Nachtausstellung vor – Fotografie am Tag und Projektion in der Nacht.“ In ihrer Vision der Bieler Fototage soll Biel Zentrum sein, nicht nur als Ort, sondern auch in Bezug auf die Bevölkerung. Das sei etwas anders als bisher, aber das solle keinesfalls heissen, dass sie nicht bewundern würde, was die bisherigen Fototage geleistet hätten. Mit wie wenig da wie viel erreicht wurde, sei schlicht grossartig und insofern auch Ansporn für sie.