Die Waldfrau oder Das Ich bei sich selbst

Zu Petra Grünigs Sechs-Kanal-Videoinstallation im CentrePasquArt in Biel. Bis 05.01.2003

Dolores Denaro hat gut gewählt: Die raumfüllende Videoinstallation der ersten „x-mas+“-Preisträgerin in der Salle Poma des Centre PasquArt in Biel stösst auf grosses und durchwegs positives Echo. Doch …

Petra Grünig (34) ist in Thun aufgewachsen, eine Bernerin somit. Doch schon als junge Frau verlässt sie die Schweiz. 1995, mittlerweile 27-jährig, entscheidet sie sich für die Kunst. Drei Jahre später schliesst sie ihre Ausbildung am Art Institute of Chicago mit dem Bachelor of Fine Arts ab. Seither lebt sie in Hamburg, Berlin und zwischendurch in der Schweiz. Was sie ganz offensichtlich aus Amerika mitbrachte, ist Mut zur Grösse und die Fähigkeit, diese auch umzusetzen – technisch und finanziell. Ihr „Regenbogen“ überragte im Expo-Sommer alle anderen künstlerischen Arbeiten der Freilichchtausstellung ArtCanal. Und die raumfüllende Videoinstallation, mit welcher sie den „x-mas+“-Wettbewerb gewann, besticht und verführt durch ihre umfassende Präsenz. In der Mitte der Salle Poma zu stehen und der zwischen Materialität und Immaterialität oszillierenden Gestalt nachzuschauen, wie sie von Waldgeräuschen begleitet von Bild zu Bild, von Wald zu Wald springt, ist ein Erlebnis; für die Augen ebenso wie für den Ich-Körper im Raum.

Videoarbeiten mit sechs Beamern respektive Projektionen sind in der Schweizer Museumslandschaft die Ausnahme. Es braucht kein Rechengerät, um zu realisieren, dass die 3000 Franken, die der Bieler Kunstverein für den „x-mas+“-Wettbewerb aussetzte, unmöglich reichten, um diese Arbeit zu verwirklichen. Doch Petra Grünig, die sich seit etwa zwei Jahren bemüht, in der Schweiz als Künstlerin Fuss zu fassen, wollte die Chance packen und es gelang ihr.

Ihre Arbeit ist keineswegs einfach. Es überschneiden respektive überlagern sich drei Filme, die in sechs bewegte Bilder unterteilt sind. Der Basisfilm zeigt den Wald – Buchen, Eichen, Unterholz und eine weiche, hohle Gasse. An einem sonnigen Tag gefilmt. Und dann im Studio vereinzelt und mit technischen Mitteln herangeholt, weggeschoben, mehr oder weniger aufgelöst. Mit dem Resultat, dass schliesslich jede Projektion eine scheinbar eigene Distanz zum Betrachtenden im Raum hat. Der zweite Film zeigt die Künstlerin in leichter Verlangsamung in weissen Kleidern durch den Wald springend, filmtechnisch so bearbeitet, dass man ihr im einen Bild zu begegnen scheint, während sie im andern nur schemenhaft vorbeispringt; zuweilen gar doppelt dank einer dritten, noch einmal bearbeiteten Filmschicht. So erscheint die in ihren Bewegungen tänzerische Ausbildung verratende Gestalt auf drei Ebenen zwischen Realität und Vision, Tag und Traum, Hier und Dort. Und das überträgt sich, auch ohne Analyse, auf die Menschen im Kunst-Raum.

Petra Grünig nennt die Arbeit „Waldfrau – oder: je suis suisse“. Lautmalerisch ist das überzeugend – das Dunkle der „a“ und „u“ und das Helle, Säuselnde der „s“ und „ui“. Doch inhaltlich ist der etwas pathetische Unterton problematisch. Das Bild, das Grünig zeichnen will, nämlich dass man von Ort zu Ort springen kann, sich dabei aber stets selbst mitnimmt, ist in der Anlage spannend und wohl den meisten aus eigenem Erleben bekannt. Dass Grünig dies bildnerisch aus ihren Erinnerungen an den Wald nahe des Elternhauses schöpft, ist emotional durchdacht. Doch die Mystik des Waldes und ein Bekenntnis zur Schweiz bräuchte es eigentlich nicht. Denn das engt die Arbeit ein. Was könnte es besser belegen als der Hinweis, dass der Wald im Bild in Berlin wächst.

Stilistisch gehört die Videoinstallation von Petra Grünig in die Ära der apolitischen, Körperbewusstsein zelebrierenden 1990er-Jahre. Dass die Künstlerin die Arbeiten von Pipilotti Rist kennt, steht ausser Zweifel. Nicht im Sinne von Nachahmung, obwohl es auch von Rist ein Video in einer Waldlichtung gibt, sondern viel eher im Sinne eines weichen, emotionalen Klimas, das sich gerade mit dem Medium Video sehr schön und sehr eindrücklich einfangen lässt.