Georgia O’Keeffe: die Marlene Dietrich der Malerei?

Zur Austellung von Georgia O’Keeffe (1887-1986) im Kunsthaus Zürich. Bieler Tagblatt 31_10_03

Alle erwarteten wir sie mit grosser Spannung, die Retrospektive des Werkes von Georgia O’Keeffe im Kunsthaus Zürich. Sie die grosse, die Ikone, die erste Frau, die Erotik malte. Wie oft hatten wir sie zitiert, um nicht zu sagen vereinnahmt für die Sache der Kunst und der Frau. Obwohl wir kaum je ein Original gesehen hatten – es gab ja keine in Europa. Dafür umso mehr Reproduktionen, Poster, Bücher, Karten usw. Der neu renovierte Bührle-Saal schien gerade recht, endlich die Originale, die bekannten und viele unbekannte zu zeigen. 21 Jahre nach Verena Loewensberg erstmals wieder ein Frau im grossen Saal des Zürcher Kunsthauses!
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Und jetzt? Jetzt sind sie da. 70 Werke aus einer Zeitspanne von 1916 bis 1963. Die Hochhäuser, die Blumen, die Schädel, die Landschaften, die Türen. Ein Traum habe sich verwirklicht, sagte Kunsthausdirektor Christoph Becker an der Eröffnung. Offenbar musste Parkett-Chefredaktorin Bice Curiger all ihre internationalen Beziehungen spielen lassen, um die gehütetsten Schätze der US-Kunst als Leihgaben zu erhalten. Nie zuvor war es nämlich einem europäischen Museum gelungen, eine Retrospektive aus hiesiger Sicht zu inszenieren. Somit wäre das Grossartige der Zürcher Schau eigentlich gegeben. Die Frage ist nur, war Georgia O’Keeffe wirklich eine so grosse Malerin, wie wir immer meinten?

Die ersten Kritiken (gemeint sind Texte, die diesen Namen verdienen), wissen es alle auch nicht. Es herrscht irgendwie Ratlosigkeit. Ja, ja, nein, nein. Alex Katz, der grosse US-Pop-Maler und stilistisch in gewissem Sinn ein Nachfahre O’Keeffes schreibt in den im Katalog publizierten Künstler-Statments: „… dass sie sich nicht für die handwerkliche Seite des Malens interessierte, ist sicherlich bedauerlich, doch wir sollten dankbar sein für das, was sie erreicht hat“. Da trifft einer einen wunden Punkt, der die Sache aber nur halb trifft. O’Keeffe kommt von der Illustration her. Sie hat eine Patchwork-Kunstausbildung, informiert sich früh über europäische Avantgarde-Strömungen, auch jene der Fotografie. Und nutzt als vielleicht erste überhaupt, grafische Flächigkeit als malerische Methode. Das bewirkt, dass ihre Bilder sich (analog der Werbung) erstklassig für Reproduktionen eignen.

Steht man nun vor den Originalen, von denen man viele als Abbildungen kennt, so kommt man in den Clinch. Zum einen steht da die Frau, die einen für ihre Zeit einzigartigen, selbständigen und selbstbewussten Weg ging. Eine Künstlerin, die Vorbild war und ist für nachkommende Generationen. Eine Frau, die kraft ihrer Persönlichkeit nicht verkannt, sondern schon in den 20er Jahren Höchstpreise für ihre Bilder erzielte. Zum andern ist da die leise Enttäuschung, dass die Originale nicht mehr sind als die Reproduktionen, dass die Malerei – die Peinture – keine Mehrschichtigkeit öffnet. Dass gewisse Bilder schlicht plakativ sind. Oder muss man das Ganze anders sehen?

Liegt ihre Bedeutung darin, dass sie die erste Frau war, die „vor Wut kochte“, als die Männer ihr verbieten wollten, New Yorks Hochhäuser zu malen, weil ihre (Phallus)-Symbolik Männersache war? Sollen wir sie dafür bewundern, dass sie als eine der ersten ihren Körper, ihre weiblich-erotisches Bewusstsein eingesetzt hat, um die Männer da zu treffen, wo sie schwach waren? Als sie dem um 23 Jahre älteren Avantgarde-Fotograf Alfred Stieglitz – ihrem späterer Ehemann – Modell stand für eine Reihe der schönsten (erotischen) Frauenporträts der Fotografiegeschichte, war sie nicht – wie Meret Oppenheim im Kamerablick Man Rays 15 Jahre später – naiv und musste darauf durch eine Krise zur Reife gelangen. O’Keeffe spielte mit der Verführung ohne sich selbst preiszugeben. Und sie fand in ihrer Malerei eine Sprache der Erotik, die suggestiv Wirkung zeigte, ohne die Künstlerin selbst zu kompromittieren. Was sie malte waren Blumen, Stoffe, Felsen, Hochhäuser, Türen, Öffnungen, vielfach voyeuristisch herangezoomt als noch niemand mit Makro.- und Mikrobildern spielte, wie heute. Raffiniert und Wirkung auf die Gesellschaft einkalkulierend wie das eigentlich erst die Pop Art in den 60er Jahren machte.

O’Keeffe war keine mondäne Frau, die sich an allen Parties zeigte. Relativ früh zog sie sich teilweise und später immer mehr aus New York zurück, um in der wüstenähnlichen Umgebung New Mexicos zu malen, zu verweilen und ab Mitte der 40er Jahre zu wohnen. So machte sie sich – möglicherweise unfreiwillig, aber keineswegs ungern – zur Ikone. Begehrt und nicht zu fassen, obwohl immer wieder wirkungsvoll fotografiert, ein Star mit der Aura einer „Heiligen“. Ihre menschenleeren Bilder, die zugleich von nichts als dem Leben „erzählten“, erzeugten geradezu eine Sogwirkung. Und O’Keeffe wehrte sich nicht gegen ihre Massenreproduktion. Ist sie eine Marlene Dietrich der Malerei?

Man solle die Bilder, so Bice Curiger, Kuratorin der Zürcher Schau, nicht einseitig sexualisieren. Sexualität ist tatsächlich das falsche Wort, Erotik als sinnenhafte Bildlichkeit des Lebens wie des Todes ist und bleibt jedoch das A und O der Kunst O’Keeffes. Weil Erotik mit Körpergefühl einhergeht, und O’Keeffe dieses zuliess (was für ihre Generation ausserordentlich ist), fand sie, wohin sie schaute, Spiegelbilder dafür. Und die eindrücklichsten sind nicht die sich zum Zentrum hin öffnenden Blumen, sondern unter anderem die New Mexico-Landschaften der 40er-Jahre. Wie sie da die Falten der Felsen in „Fleisch“ verwandelt, ist grossartig, Peinture hin oder her.