Oliver Kraehenbuehl Galerie ge Winterthur 2003

Vernissage-Ansprache

www.annelisezwez.ch       4. September 2003

Sehr geehrte Damen und Herren
lieber Oliver

Vorsicht! Ich habe heute beim Mittagessen, bevor ich diese Worte in den PC getippt habe, das erste Kapitel des auf den heutigen Tag erschienenen Buches „Einige vertraute Dinge“ von Christoph Keller gelesen. Es besteht dadurch die Gefahr, dass ich gewisse Ebenen meines Bewusstseins nicht mehr sauber voneinander trennen kann und darum eine „palimpsestische“ Vernissagerede halte.

Warum ich mich nicht auf die 12 Zeichnungen konzentriert habe, die in das Buch eingefügt sind, fragen Sie, wo ich doch hier über Oliver Krähenbühl und nicht über Christoph Keller sprechen soll. Nun – das eine tun, das andere nicht lassen – doch mich interessierte, was Oliver Krähenbühl so faszinierte als er letztes Jahr in New York Christoph Keller traf und in seiner New-York-Geschichte, so sagte er mir, ein Stück von sich selbst entdeckt habe. Wenn ich also das herausfinde, so meine Idee, so wüsste ich auch mehr über seine Bilder.

Ich muss gestehen, dass die Geschichte so schnell so spannend war, dass ich fast vergass sie zu analysieren und das ist vielleicht schon ein Teil der Antwort. Da erzählt ein Schweizer eine Kriminalgeschichte in New York, die zugleich eine autobiographische wie eine psychische Fiktion ist und überdies so viel vom Wahnsinn dieser Stadt spiegelt, so viel von unserer täglichen Durchmischung von Film- und Realbildern erzählt, dass es einem packt. Und dies alles aus der für uns fremden 1:1-Optik eines Körperbehinderten – was der Protagonist allerdings nicht sagt, sondern ganz einfach lebt.  Kurzum: Ich kann ihnen das Buch nur empfehlen.

So, und wie schaffe ich nun den Link? Die Zeichnungen. Die fahren auf ihrer linearen Ebene auf einer Achterbahn gleich durch die Strassen von NY. Mal schwarz, mal weiss – mal positiv, mal negativ. Sie fragmentieren, was eigentlich ganz sein sollte, sie kümmern sich nicht um Hausmauern und Glasfassaden.

Ob sie den Flug der weltberühmtesten zwei Flugzeuge nachzeichnen, die vor zwei Jahren….fragen Sie. Nein, die flogen schnurstracks. Und doch ist die Erschütterung da, diese Welt, die aus den Fugen gerät. Doch das ist nur ein Bild – ein Bild für etwas, das wir alle kennen – diese Schwierigkeit, die Vielfalt dessen, was täglich auf uns einbraust, im Gleichgewicht zu halten, aber auch die Schwierigkeit, unser Leben, unser Empfinden, unser Denken und unsere Gefühle zu durchschauen. Das Gestrige, das Heutige – das Erlebte, das Gehörte – die Tag- und die Nachträume – das Erdige und das Luftige – das Geliebte und das Gehasste – das Erledigte, das Vergessene, das Verlorene in eine Ordnung zu bringen. Von all dem, was wir  nicht wissen, gar nicht zu reden.

Und wenn wir das jetzt abstrahieren, dann sind wir nicht nur bei den Zeichnungen, die Oliver Krähenbühl während und nach seinem New York-Aufenthalt schuf, sondern ganz allgemein in der Welt, aus welcher auch die Bilder stammen, die wir hier und heute sehen. Bilder, welche das Disparate des Lebens in eine Bild-Struktur, in eine als Malerei „Realität“ werdende Welt übertragen. Wir sehen die Strategien, die Oliver Krähenbühl dabei anwendet. Folgen wir der Einladungskarte und dem Titel der Ausstellung „Backsteinwände und die Räume dazwischen“, so führt uns das automatisch zu den architekturnahen Arbeiten, den „Brickwalls“ wie sie oft heissen. Bilder, die Architekturformen fragmentieren, statt perspektivisch in Schichtungen aufgebaut sind, sich partiell aus der Geometrie verabschieden und körpernahe Formen annehmen, sich mit Farben füllen und fliegende Raster als Netzwerke einsetzen.

Entscheidend ist dabei, dass dies nicht als formale Spielerei geschieht, sondern als emotionale Äusserung. Wie das eine vom anderen unterscheiden? Da wird’s schwierig – da geht es schon fast um die kaum beantwortbare Frage, was ist Kunst und was nicht. Ich denke für mich, dass die emotionale Ebene über den Rhythmus der Bewegung und die Formsprache der Transformation geschieht. Dass ich mich als Körper mit dem Bild bewegen kann, dass ich – als köperlich-denkende Existenz – die Unebenheiten, das Zögern und Stossen der Formen kenne und mit den Frequenzen der Farben in Verbindung bringen kann. Und darum Vertrautheit spüre, die mir erlaubt,  die Realität des Bildes in mein Empfinden hineinzunehmen und zu meinem zu machen.
Doch das ist nur eine Annäherung. Eine andere skizziert der Künstler selbst, indem er uns – erstmals – kleine Arbeiten zeigt, die eine fotografische Basis haben. Ein Zeitungsbild zum Beispiel, das der Künstler mit der Digitalkamera aufnimmt, mit freigestellten malerischen Strukturen  überlagert und schliesslich ausdruckt. Die Zeitungsbilder zeigen kriegerische Situationen, aber auch städtisches Leben spiegelnde – Zeit-Bilder, die in einem weiter gefassten Sinn unser Leben prägen, physisch ebenso wie psychisch. Von hier aus könnte ich nun eine Brücke schlagen zum „Kunstkasten“, den Oliver Krähenbühl zeitgleich mit der Ausstellung hier bespielt, doch um die Ansprache nicht allzusehr zu befrachten, überlasse ich diesen Aspekt ihnen.

„Was mich interessiert, ist, was uns prägt“, sagte Oliver Krähenbühl heute morgen. Am 4. September 1963 geboren (merken sie was?) ist er eigentlich vom Sternzeichen der Jungfrau geprägt, doch ich wette, da geistert noch ein Skorpion rum (fragen Sie jetzt bitte nicht, wann ich Geburtstag habe), ein Skorpion, der immer und immer wieder wissen will, warum und warum auch noch und was darunter vielleicht auch noch ist.

So zeigen uns denn diese Ink-Jets mehr als nur „Bilder“; sie zeigen uns, was den Künstler umtreibt, wenn er seine Abstraktionen vorantreibt. Nicht im Sinne von Übersetzungen, sondern als Spuren stetiger Auseinandersetzung mit dem Leben. Und wie er Assoziationen liebt und Netzwerke schafft. Da sehen wir in einem der Ink Jets die Worte „Our own dream“ – unser eigener Traum. Auf der Realebene wollen uns die Worte zu Konsum verführen. Im Bild werden sie autonom, werden zum Gefäss für ein Stück Romantik, etwas, das wir nie schaffen werden, von dem wir paradoxerweise nur träumen können.

Doch schnell sind unsere Gedanken beim „girlish dream“, dem – „schönsten“ und zugleich virtuellsten Bild der Ausstellung – es erzählt die – amerikanische – Geschichte vom weissen (!) Ballkleid, das die weissen Mädchen am College-Ball tragen, wo sie – so der Traum – einen Mann kennen lernen, den sie später heiraten und glücklich werden.  Die schwarzen Sinne sind in insektoide Muster eingerastert, die Umräume nur sanft aus ihrer Geometrie gelöst und die ornamentalen Bänder fast schon wieder ornamental fragmentiert.  Was ist es, das die Verführungskräfte des „girlish dream“ so kalt bleiben lässt, die perverse – oder gar rassistische – Seite glaubwürdiger erscheinen lässt als die weiche, sanfte, einlullende? Auch dies ist schwer zu sagen – vielleicht ist es just die Körperlichkeit, die fehlt oder wir kennen diese Maschinerie zu gut von der allgegenwärtigen Sprache der Werbung. Die Kälte in der honigfarbigen Süsse heisst indes nicht, dass sich das Bild nicht einprägt – im Gegenteil –  und schon gar nicht, dass unser ambivalentes Gefühl just das Ziel des Bildes ist.
Wie aber gehört dieses Bild in den Gesamtkontext? Waren wir nicht einst überzeugt, ein Werk müsse einen einheitlichen Stil haben? Fragen Sie mich einfacheres. Aber eine Antwort gäbe ihnen eine Retrospektive Oliver Krähenbühl. Da gab es nämlich vor rund 12 Jahren eine Phase, in welcher die Bilder traumnahen, märchenhaften Inhalts waren (Märchen in jungschem Sinn). Und diesen Strang schreibt „girlish dream“ auf einer inhaltlich kritischen Ebene  fort.

uf der anderen Seite entwickelten sich die Bilder, die er später „palimsestsische“ Bilder nannte – schichtweise überlagerte Malschichten, die über Löcher – oft kopfähnlich in ihrer Form – die Gleichzeitigkeit von Zeit-, Gefühls- und Informationsebenen speicherten. Und aus denen sich während des New York-Aufenthaltes die architekturale Struktur entwickelte, die es in den neueren Bildern erlaubt,  in den verzweigten Strassenzügen des Bewussten und des Unbewussten zu wandern.
Aber halt, da ist noch eine weitere, wichtige Ebene. Die des Symbols, des Zeichens. Man kann sagen, sie seien Spuren der Auseinandersetzung des Künstlers mit der amerikanischen Malerei der 60er Jahre – von Jasper Johns über Andy Warhol bis Brice Marden – aber das ist zu allgemein. Mir scheinen sie vielmehr Haltepunkte zu sein, mit einem Hang zum Ornamentalen, somit auch hier zur „Ordnung“ oder, umgekehrt ausgedrückt, zum Nicht-Fallen, nicht durchs Maschennetz fallen. Wobei wir wieder am Kernpunkt wären: Oliver Krähenbühls Malerei ist ein Versuch, mit Malerei einen Lebens-Raum zu schaffen – eine tragfähige Konstruktion, die Gegenläufiges und Paradoxes, die Träume und Schmerzen einzuverleiben vermag.
Und das erste Video in der Karriere des Künstlers – medial neu, aber inhaltlich nichts grundlegend anderes. Der Versuch – nach New York – die Schweiz als Lebensraum zu betrachten und mit Klang und Form einzufangen.  Filmische Malerei.  Ein Ton-Bild. Gewollt liebenswert. Und wen das schockt, der überlege mal, ob nicht gerade darin die Kritik liegen könnte.

Ich danke fürs Zuhören.