Rapperswil Kunst im ruralen Raum 2003
„Fallada von Rudolf Steiner u Barbara Meyer wirft Wellen
www.annelisezwez.ch Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 20. Juni 2003
Ein totes Pferd fällt nicht vom Himmel
Wenn Kunst in den öffentlichen Raum tritt, löst sie zuweilen heftige Reaktionen aus. Die oft auf Missverständnissen basieren. So auch bei „Fallada“, das Rudolf Steiner und Barbara Meyer Cesta (rsbmc) für die Freilichtausstellung „Rapp Kunst im ruralen Raum“ entworfen haben. Ein Gespräch am Tag vor der Vernissage.
Das Bieler Künstlerpaar Rudolf Steiner/Barbara Meyer Cesta arbeitet mit Geschichten, mit möglichen Geschichten. Ihre Kunst ist eine Gratwanderung zwischen Vision und Realität. „Fallada“, das Projekt, das sie für die Freilicht-Ausstellung „Kunst im ruralen Raum“ in Rapperswil erarbeiten (siehe Kasten), wirft schon vor der Vernissage vom kommenden Sonntag hohe Wellen. Wüste Worte, ja gar Drohungen machen die Runde. Weil die „Urban Legend“ vom toten Pferd, das auf einen Traktor fällt, als Realitäts-Vision erschreckt.
Barbara Meyer, Rudolf Steiner, wird diesen Sommer in Rapperswil ein totes Pferd vom Himmel fallen?
rsbmc: Nicht vom Himmel, sondern von einem Helikopter aus. Ob das geschehen wird, ist ungewiss. Die Parameter unseres Projektes sehen das so vor. Aber die Mittel, mit denen wir arbeiten, sind künstlerische. Wir transponieren eine „Urban Legend“ in ein Kunstprojekt. Und der Ort, wo sie sich verwirklicht, ist der rurale Raum. Was dabei Wirklichkeit und was Vision ist respektive sein wird, bleibt offen. Wir arbeiten mit konzeptuellen Mitteln, mit Bildern und schaffen eine vorstellbare Land Art-Skulptur. Mit dem Ziel, Reaktionen und Denkanstösse auszulösen. Alle Korrespondenz, die wir führen, alle Reaktionen, die eintreffen, sind Teil des Projektes. Sie werden vor Ort einsehbar sein. Alles ist ein Prozess, in den wir ebenso involviert sind wie alle, die damit in Kontakt kommen.
Was ist eigentlich eine „Urban Legend“?
Was früher aufgrund mündlicher Überlieferungen zur Sage wurde, wird mit den ganz anderen medialen Gegebenheiten der Gegenwart zur „Urban Legend“. Was als „Saure Gurke“-Geschichte in den Medien auftaucht, vervielfacht sich, vernetzt sich im Internet, verändert sich und kommt mit anderen Vorzeichen wieder. Oft jahre-, ja gar jahrzehntelang. Legenden entsprechen dem menschlichen Bedürfnis nach Geschichten.
Nun sind wir ja in der Weltpolitik zur Zeit mit jeder Menge von „Legenden“ konfrontiert, etwa der sich nun als teil-erfunden zeigenden Geschichte der jungen Soldatin, die von US-Truppen unter Einsatz ihres Lebens aus einem irakischen Spital befreit wurde. Ist das dasselbe?
Nein, eine Urban Legend hat nichts mit Manipulation zu tun. Sie ist kein Instrument der Macht. Sie hat keinen Zweck. Sie ist eine Geschichte, eine Utopie mit menschlichem Gehalt. Aber, dass wir als Künstler gerade jetzt mit Legenden arbeiten, hat natürlich schon mit der Präsenz von fiktiver Realität und deren Folgen zu tun.
Wo steht Euer Projekt für Rapperswil konkret?
Heute Freitag wird der Traktor, der den Ort der Geschichte definiert, nach Rapperswil gefahren. Bereits gedruckt sind die Plakate im Stil von Motorrad- oder Zirkusvorstellungen auf dem Lande, die auf das Kommende hinweisen, allerdings ohne Datum und Ortsbezeichnung. Viel früher schon sind wir an die zuständigen Ämter gelangt, um uns zu erkundigen, wie wir vorgehen müssten, wenn wir eine Bewilligung für den Abwurf eines toten Pferdes von einem Helikopter aus einholen möchten. Wir planen keine illegale Aktion, im Gegenteil, die gegebene Gesetzesstruktur ist wichtig. Was passiert, wenn eine Legende auf ihre Realität hin arbeitet? Was wäre, um eine andere Urban Legend zu nennen, wenn jemand tatsächlich einen Hamburger mit einem Finger oder einem Stück Ratte drin verkaufen möchte?
Wer wäre denn für eine Bewilligung überhaupt zuständig?
Wir haben uns ganz offiziell beim Bundesamt für Zivilluftfahrt, beim Kantonstierarzt, bei der Gemeinde, bei der Kadaverwertungsstelle in Lyss, bei der „Stiftung für das Tier im Recht“ erkundigt. Und die Antworten zeigen zum einen sehr korrekt die Gesetzesebenen auf, zum andern schiessen sie direkt auf den moralischen Aspekt des Projektes los oder gehen, visionär, von einer Flugschau mit Publikum aus, die wir so gar nie vorgesehen haben Das heisst, die Geschichte explodiert bereits hier und wird zur Legende.
Und das Pferd?
Das suchen wir zur Zeit per Inserat. Klar ist, dass man ein totes Pferd nicht kaufen kann, es bleibt im Besitz des Eigentümers, er ist für dessen Entsorgung verantwortlich, aber er könnte es uns im Rahmen der Gesetzgebung – für unser Projekt zur Verfügung stellen.
An was entzünden sich denn die Reaktionen primär?
Selbstverständlich am toten Pferd. Dabei ist viel vom sogenannten „Totenfrieden“ die Rede. Doch den gibt es in der Schweizerischen Rechtsordnung nicht und wird es auch mit dem neuen Tierschutzgesetz nicht geben. Sonst müssten wir ja alle zu Vegetariern werden. Und darum ist es vom Gesetz her nicht grundsätzlich verboten, ein totes Pferd auf einen Traktor hinunterfallen zu lassen. Aber da sind wir natürlich mitten in der Diskussion, die uns interessiert und die unser Projekt doppelbödig macht, vielleicht gar ins Gegenteil dessen verkehrt, was es nach aussen hin zu sein scheint.
Dann sind die Reaktionen, die bis zu Drohungen gehen und Sponsoren bearbeiten, sie sollten der Ausstellung ihre Unterstützung entziehen, völlig daneben?
Das kann man so nicht sehen, denn das Ganze ist ein Prozess und so lange man nicht persönlich miteinander spricht, besteht eine Art Vertrauens-Durststrecke. Das heisst, beide Seiten wissen eigentlich nicht, mit wem sie es auf der anderen Seite zu tun haben. Und Künstler sind in den Augen vieler a priori suspekt, weil sie unter Umständen unbequeme Fragen stellen. Und damit dreht sich die Spirale auf einer emotionalen Ebene, die jeglicher Sachlichkeit entgegenwirkt. Da müssen und wollen wir weiterarbeiten. Denn die Geschichte soll offen bleiben, sich auf der Ebene der Fiktion wie der Realität weiterentwickeln können.