Vernissagrede anlässlich der Ausstellung von Bettina Wachter und Daniela Sanwald

Schützenhaus in Zofingen, 21. August 2004

 Annelise Zwez

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Bettina, liebe Daniela

Kennen gelernt habe ich die Malerei von Bettina Wachter in meiner Funktion als Mitglied der Kunstkommission der Stadt Biel, eine Künstlerin aus Frinvillier hiess es. Im Info Pool der Galerie im Amtshimmel in Baden steht, sie sei eine Aargauerin – habe ihr Zeichenlehrerdiplom nach Vorkursen in St.Gallen und Los Angeles am Didaktikum in Aarau erworben, habe ihr Atelier in Gebenstorf und sei teilzeitlich als Lehrerin in Mellingen tätig. Das ist richtig respektive war, denn besucht habe ich die Künstlerin jetzt in Zizers, wo sie, abgesehen von einem dreimonatigen Atelier-Aufenthalt in Berlin, seit zwei Jahren lebt – wieder lebt, zuhause auf dem Hof. So gotthelfsch das tönt, es stimmt, nur etwas anders als bei „Zuppingers“. Es ist sogar so, dass der Hof die existentielle Basis gibt für die Kunst – vermutlich einmalig. Die Bilder und Installationen, die uns Bettina Wachter zeigt, sind indes nur zum Teil in Zizers entstanden, seinen Anfang nahm der aktuelle Zyklus Ende 2003 in Berlin und konzentriert gearbeitet hat die Künstlerin diesen Sommer auch im jurassischen Frinvillier. Ist das nun eine föderalistische oder eine kosmopolitische Biographie?

Nicht viel anders tönt es bei Daniela Sanwald, die im appenzellischen Teufen aufgewachsen ist, dies in ihrer Kurzbiographie aber nicht erwähnt – es gebe da nur zwei Grün, sagt sie, das reiche nicht. Diesen Stachel werden wir dann in ihrer Malerei wohl auch noch einmal zu betrachten haben. Doch ähnlich wie Bettina Wachter ist es letztlich der Dialekt, der die Herkunft verrät und der, im Gegensatz zu Wachter, seit sie wieder in Zizers ist, in Kontrast steht zur offiziellen Adresse. Da steht nämlich „Daniela Sanwald, Auweg 4, Rupperswil“ , was korrekt ist, ebenso wie das mit dem Teilpensum für Werken und Gestalten an der Oberstufe in Mellingen, wenigstens teilweise, denn ihr Kunst-Atelier hat Daniela Sanwald auch auf dem Hof in Zizers (allerdings in einem anderen Kompartiment als ihre Freundin) und als Lehrerin ist sie im Moment gerade am Landenhof tätig (wenn auch nur temporär). Zur Biographie gehört dann auch noch Romanshorn und vor allem Zürich, es sei denn, man gehe davon aus, dass die mehrfachen Studienaufenthalte in Finnland und Norwegen sie mehr geprägt haben als der trockene Unterricht an der Schule für Gestaltung.

Was den beiden Biographien gemeinsam, ist vordergründig, dass sie sich in Mellingen getroffen haben und dass sie jetzt beide bei schönem Wetter ihr Mittagessen unter der Trauerweide vor der Scheune im flachen, warmen, windigen Rheintal in der Bündner Herrschaft einnehmen. Etwas mehr Gewicht hat schon, dass die beiden angefangen haben, gemeinsame Projekte voranzutreiben. Die Strohballen-Bank auf der Wiese vor der Schützenhaus erzählt davon und ebenso die Einladung zu „Weisse Wunderware Schnee“, eine thematische Ausstellung des Bündner Kunstmuseums in Chur im kommenden Winter.

Denn im vergangenen haben die beiden – wer das flache, weite Tal rund um den Hof erlebt hat, wundert sich darüber keineswegs –  im vergangenen Winter also haben die beiden eines nachts damit begonnen, den Schnee auf den brachliegenden Feldern rund zu drehen und das geheimnisvolle Ernten fotografisch festzuhalten; mit einem Blaustich. Das haben sie als Projekt in Chur eingegeben… und gewonnen. Auch bei den Strohballen spielt das Ernten eine Rolle – Stroh ist ja bekanntlich was bleibt nach dem Dreschen, doch wenn der Regen das Stroh durchnässt, beginnen die letzten, verbliebenen Samen wieder auszutreiben und die Bank wird wundersam fein grün – ob die knappe Zeit hier in Zofingen dafür reicht, ist ungewiss – aber jene, die noch auf dem Vorplatz in Zizers steht, hat’s geschafft. Bedingung ist es nicht, ebenso wichtig ist das Schaffen mit Naheliegendem, das Ungeschönte, nicht durch die Kunstgeschichte geadelte. Gewiss, die „armen Materialien“ der arte povera sind inzwischen auch schon 40 – älter als die Künstlerinnen selbst. Doch gerade darum gehen sie wohl so unbekümmert damit um.

Die Bedeutung des Naheliegenden gilt nicht nur für die Aussen-Projekte, sondern auch für die Malerei, die künstlerisch hier wie dort und bei Daniela Sanwald noch ein bisschen mehr, im Zentrum steht.  Bettina Wachter schert immer mal gerne wieder aus, um dann vom Drei- wieder ins Zwei-Dimensionale zurückzukehren; mit neuen Erfahrungen.

Bei beiden finden wir das Unprätentiöse, Alltag betonende primär im Trägermaterial der Malerei. Sie mögen mit Blick auf die Arbeiten von Daniela Sanwald entgegnen, Papier sei doch schon immer für Malerei genutzt worden; richtig, aber dieses zufällige Schneiden von der Rolle will natürlich schon mehr – nämlich nicht in den rechten Winkel passen, sich keinem vorgefertigten Rahmen anpassen, etwas Widerborstigkeit von Anfang an in den Raum stellen. Auf dass es sich übertrage auf den ersten Pinselstrich, der dem zweiten ruft und den dritten antizipiert. Wie sagte doch Daniela Sanwald: „Zwei Grün, das reicht nicht.“

Augenfälliger ist das Alltägliche in den Bildträgern von Bettina Wachter – Abfallsäcke, grosse, schwarze, glänzende Abfallsäcke. Ein deutsches Fabrikat – in Berlin in jedem Supermarkt erhältlich und treuer Begleiter der deutschen Wegwerf-Gesellschaft. Hier muss die Sozio-Interpretation allerdings bereits aufhören, der Öko-Blick würde uns in eine Sackgasse führen. Die Plastiksäcke eignen sich noch zu anderem als Sozialkritik, man kann sie zum Beispiel ohne grossen Aufwand zu Grossformaten vervielfachen, man kann sie übereck hängen, man kann sie zusammenlegen und…. sie haben einen verführerischen Glanz, sind irgendwie wie künstliches Licht. Die Farbe wird nicht aufgesaugt, sie bleibt oben drauf, wird fast ein bisschen haptisch, reliefartig und das Schwarz ruft nicht nach denselben Farben wie die Leinwand, nach Alufelgen-Silber zum Beispiel und anderen industriellen Gemischen.

Diesem experimentellen Moment steht erstaunlicherweise eine Malerei gegenüber, die fast klassische Züge hat: Eine Grundform, mit der sich Zellen gleich Bilder gestalten lassen, eine Grundform, die sich den Wünschen der Malerin unterordnet – mal dicht, mal durchlässig erscheint, in dieser oder jener Farbe, und in den jüngsten Bilder selbst Hand bietet, sich in Malerei aufzulösen. Ganz am Anfang war dieses dreidimensional wirkende Oval ein totes Insekt – anziehend und abstossend zugleich, ein Memento mori, auf seine äussere Form reduziertes Leben.

Es wurde für Bettina Wachter zu einer Art Buchstaben für die Sprache ihrer Malerei. Neu ist, dass die Formen nicht mehr vereinzelt erscheinen – frühere Bildgruppen waren oft mehrteilige Reihen – sondern gebündelt, in direkter Abhängigkeit voneinander vervielfacht. Allerdings, und hier spielt das Trägermaterial wieder eine Rolle, in fragiler Anordnung, sind die einzelnen Säcke doch ganz bewusst nur mit Klebebändern verbunden. Bild-Konstruktion und -Dekonstruktion stehen in einem instabilen Verhältnis zueinander, genau wie auch die Grosszügigkeit der Malerei – man ist geneigt die Formate als Felder zu bezeichnen, ein Begriff in der Kunst wie in der Landwirtschaft – Malerei, die sich voll ausgibt, egal ob die Zukunft gesichert ist oder nicht.

„Es ist immer ein Risiko“, sagt die Künstlerin, als wir vom Hof zurück zum Bahnhof nach Landquart fahren, „da sät man ein ganzes Feld Spinat, der wächst und wächst und dann gibt es just zur Erntezeit eine Überproduktion und „denn muesch halt das Ganze underefahre“. Bettina Wachter liebt solche Vergleiche zwischen ihrem Gemüse- und Beerenland einerseits und der Kunst andererseits nicht sonderlich – aber wie könnte es sein, dass sich die zwei Brennpunkte ihres Lebens im Unterbewussten nicht mischten und zu Neuem kreuzten. In dieses Wurzelwerk nun noch den Haufen leuchtendgelber, aus Kilometern – die Menge ist nicht unwichtig – aus Kilometern von Klebeband gedrehten „Würmer“, „Samen“, „Schalen“ einzuweben, in der ganzen Ambivalenz von Künstlichkeit und Naturhaftigkeit mitzudenken, ist nun wahrlich nicht mehr schwierig. Schwieriger ist es indes, nicht doch wieder von Sozio-Kontext zu sprechen, denn ist nicht unser Leben, mitsamt Landwirtschaft, genau da – zwischen Plastikglanz, künstlicher Leuchtfarbe und oft nur noch erinnerter Naturform? Was würde wachsen, wenn wir die Dinger aussäten? Was unterscheidet diesen gelben Haufen von Wolfgang Laibs mystischen Löwenzahn-Blütenstaub-Häufchen?

 

Bettina Wachter hat auf dem in den 60er-Jahren erbauten und zum Teil in den 80er-Jahren nach einem Brand erneuerten Hof viel gebaut in den letzten zwei Jahren – die Scheune, den Stall ihren Wohn- und Arbeitsbedürfnissen entsprechend umfunktioniert. Für ein bisschen Wärme im Winter gesorgt. Vor allem, dass diese sich durchs Dach nicht gleich wieder verflüchtigt. Gut fragt da auf dem freien Feld keiner so penetrant nach Bewilligungen hier und Bewilligungen dort. Im Atelier von Daniela Sanwald fehlt der Winterofen noch – doch in der Vorstellung der Malerin gibt es ihn schon – nein nicht einfach ein gekauftes Stück; eine Künstlerin schafft sich ihre Welten selbst, nicht nur in den Bildern. Und das Fenster gegen Norden – nicht 08.15 – ein Panorama-Fenster musste es sein – ein Schlitz, der den Blick in die Weite des Tales und auf das karge Grau – im Winter wohl Weiss – des Felsenreliefs in den Bergen im Hintergrund freigibt. Jetzt im Sommer wagt sich das Grün selbst in den Stein – ein anderes Grün als das der Bäume im Vordergrund und in stetem Wechsel von Licht und Schatten. Mehr als zwei Grün, somit!

Ich strecke mich auf die Zehenspitzen, wie  wir so dastehen und hinausschauen, um den Boden zu sehen. Daniela Sanwald schaut mich belustigt an und sagt, es sei nicht nötig den Boden zu sehen. Und gibt mir damit unverhofft Antwort auf eine Frage, die vorher irgendwie im Raum blieb. Warum, so hatte ich sie gefragt, sind so viele Bilder nach unten offen. Die klassische Kompositionslehre sagt doch, ein Bild müsse getragen werden. Diesen Bilder ist der Boden aber offenbar nicht wichtig,. sie wollen nicht geerdet sein, nicht stabil einen Zustand verfestigen, sondern etwas Pulsierendes in einem Moment-Zustand festhalten.

Was dieses Pulsierende ist, kann, will die Künstlerin nicht benennen. „Es ist etwas, das sich schafft“, sagt sie. Die Bilder würden auch nicht schnell, sondern langsam entstehen, meint sie, zuweilen sitze, stehe sie lange davor, bis sie spüre, wo sich Bewegung, Lichtwechsel, Gestik ansage, wo eine weitere Schicht Vertiefung bedeute. Irgendwann frage ich nach ihrer Beziehung zu Per Kirkeby, dem berühmten dänischen Maler, der so meisterlich Expressives und Landschaftliches verbindet. Die Künstlerin schmunzelt, „klar, dass er mir viel bedeutet“. Später – wir sitzen jetzt im loftartigen Wohnraum – sage ich, ihre Farben erinnerten mich zuweilen an Maria Lassnig und frage, wie weit die Malerin der Fühlformen ihr wichtig sei. „Kommt eine Künstlerin in ihrer Auseinandersetzung mit Kunst des 20. Jahrhunderts um diese wichtige Frau herum“, fragt Daniela Sanwald zurück. Und meine ebensoklare Antwort: „Nein“.

Landschaft, Körper und Gestik – da hätten wir also drei wichtige Komponenten, um uns in den Bildern von Daniela Sanwald zu tummeln. Aber halt, da ist noch etwas, da fällt immer wieder auf, dass die Gestik nicht ganz frei ist, dass sie nicht einfach von oben rechts nach unten links fährt, sich nicht beliebig dreht und wendet, sondern fast unsichtbare Felder (hatten wir dieses Wort nicht schon mal?) unsichtbare Felder einhält, sich an der Horizontalen und der Vertikalen ausrichtet, gar Streifen andeutet. „Wir können ja auch nicht beliebig ausgreifen“, sagt die Künstlerin, „wir haben einen Körper mit einer Horizontalen und einer Vertikalen, an die sind wir gebunden.“

Trotzdem wäre es falsch, die Begriffe Körper und Landschaft tel quel zur Thematik zu machen, die Bilder widersprechen solchem, betonen vielmehr die Bedeutung des Abstrakten, der Übertragung von Gegenständlichkeit in eine rein emotionell codierte Bildlichkeit, die nicht nur von der Gestik und damit erzeugter Räumlichkeit lebt sondern auch ganz intensiv von der Farbe, von den Energien, die frei werden, wenn zwei und mehr Farben unterschiedlicher Pigmentierung und Intensität aufeinandertreffen. Von Lustwandeln kann dabei keine Rede sein, eher schon von Herausforderung. Mehr als zwei Grün bitte!

 

Ich wünsche Bettina Wachter und Daniela Sanwald für ihre bisher grösste und erste gemeinsame Ausstellung eine aufmerksame Betrachterschaft und danke Ihnen allen fürs (lange) Zuhören.