Christo und Jeanne-Claude im Centre PasquArt in Biel. 2004
Die Kunst-Stars im Rampenlicht
www.annelisezwez.ch Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 28. August 2004
Noch nie waren die Schweizer Medien so vollständig an einer Pressekonferenz im Centre PasquArt wie gestern. Christo und Jeanne-Claude sind nicht jeden Tag live zu erleben und die Kunst-Stars wissen, wie man sich in Szene setzt. Eloquent und mit Charme der besonderen Art: «Wenn sie dumme Fragen stellen, versuchen wir, sie intelligent zu beantworten.»
Präzision ist wichtig. Die Täler, die dem Projekt «Umbrellas» in Japan respektive Kalifornien als Basis dienten, waren in Ibaraki 19,3 km, in den USA 29 km lang. Es waren 1340 blaue Schirme in Japan, 1760 gelbe Schirme nördlich von Los Angeles. Der jüngste Reisbauer, der Land zur Verfügung stellte, war vier Jahre, der älteste 92 Jahre alt. Total wurden 459 Nutzungsverträge geschlossen. «Die Zahlen», so Christo und Jeanne Claude, «sind das Gerüst, ohne präzises Vorgehen klappt nichts.»
Auch die Frage nach dem Prozess von Imagination zu Realisation erntet zunächst nur eine strukturelle Antwort: Vom Hinweis auf die ersten Zeichnungen zu den Gesprächen mit Ingenieuren, Behörden usw. Nur am Rande wird plötzlich der Atem hörbar: «Die Projekte sind letztlich immer tausend mal schöner, als wir es zuvor träumten. Nie hätten wir voraussagen können, dass der Reichstag in Berlin am Morgen bei Sonnenaufgang rosarot sein würde …»
Viel später, als die offizielle Pressekonferenz längst vorbei ist, ergänzen die beiden im Gespräch, was sie zuvor anklingen liessen: «Es geht nicht um das Verpacken, nicht um das Verhüllen und Enthüllen, es geht um den Stoff. Will man ihn ausbreiten, braucht man ein Territorium. Das kann ebenso Architektur sein wie eine Insel oder eine Landschaft.» Das ist gewiss nicht alles, aber ein spannender Aspekt.
Und noch etwas sagt Christo: «Als ich in Paris ankam, wusste ich aufgrund der sehr breit angelegten Ausbildung in Sofia – nicht, ob ich Maler war, (Innen-)Architekt oder Bildhauer. Und ich weiss es bis heute nicht.» Tatsächlich ist es mit Blick auf die Projekte spannend, Raum, Malerei (Farbe) und Skulptur (Form) zu verknüpfen und zusammen zu denken.
Es könnte auch partiell erklären, wie Christo in der veränderten Umgebung von Paris 1958 plötzlich darauf kam, Büchsen mit Leinwand zu verpacken, anzustreichen und mit nackten Büchsen zusammen zu Türmen, zu Arrangements zu fügen. Büchsen, die im Gegensatz zu Warhols Suppen, nicht aus der Konsumwelt stammen, sondern vorgängig Farben und Pigmente beinhalteten. Christo blieb somit (anders als die Pop Art) im klassischen Kontext von Kunst.
Man mag einwenden, das sei nun wirklich schon lange her und habe nichts mit der aktuellen Ausstellung in Biel zu tun. Falsch. Initialzündungen sind elementar, vor allem dann, wenn sie, wie im vorliegenden Fall, das Potenzial haben, ein Lebenswerk von immer neuen Dimensionen zu generieren. «Wir machen nichts zweimal», sagen Christo und Jeanne-Claude. Häuser sind nicht Bäume sind nicht Schirme sind nicht Tore, könnte man nach einem Rundgang durchs PasquArt sagen. Richtig. Aber in der Ausstellung will das nicht so recht in Mark und Bein übergehen. Zumindest nicht in allen drei Kapiteln.
Christo und Jeanne-Claude haben die Ausstellung aufgrund eines Besuches in Biel bis ins Detail vorbereitet. Für jeden Saal gab es exakte Anweisungen, wie die Werke zu platzieren sind. Für das Projekt «Umbrellas» gelang so eine eigentliche Inszenierung. Die Idee, den Weg in die eine Richtung ganz als «Promenade» durch die gelbe respektive blaue Schirm-Landschaft zu gestalten, erzeugt eine Atmosphäre, die sogar erlaubt, zeitgleich in Japan und in Kalifornien sein. Der poetisch-romantischen Seite in Form von teils grossformatigen Fotos, Skizzen, Collagen gegenübergestellt ist auf dem Rückweg die «Knochenarbeit». Dicht hängen da fast durchwegs schwarz-weiss unzählige Dokumente, Briefe, Fotos vom langen Weg von der Imagination zur Realisation. Eine gelungene Doppelbödigkeit.
Irritierend ist allerdings, dass die enormen Schwierigkeiten, die das Projekt in der Realisierungsphase begleiteten heftige Gewitter in Japan verschoben den Beginn und erzwangen schliesslich den vorzeitigen Abbruch nur ganz am Rand aufscheinen. Während der Film, der heute Samstagabend im Filmpodium gezeigt wird (21.30 Uhr), gerade von dieser Dramatik lebt, und dies gewinnbringend.
Als Dokumentation interessant sind die «Swiss Projects» mit Bildern der verhüllten Kunsthalle Bern, Skizzen und Pläne zur nie realisierten Hülle für den Genfer «Jet d’Eau», Fotos der Raum-Verwandlungen im Architektur-museum Basel und Erinnerungen an die Beyeler-Bäume. Doch es fehlt die Sinnlichkeit, die das Bon-Mot von Jeanne-Claude füllen würde, das sinngemäss heisst: Wir leben für «Es war einmal …». Die Skizzen und Pläne repetieren sich, Wind und Sonne wollen den Stoff nicht blähen und nicht zum Leuchten bringen. Dasselbe gilt für «The Gates»; da geht es jetzt wirklich nur noch um den Startschuss im Februar 2005.
28.08.2004