Der Magier des realen Bildes

Franz Gertsch: Zur Monographie von Angelia Affentranger-Kirchrath Bieler Tagblatt 11_04_2004

Obwohl die Bilder des 1930 in Mörigen geborenen Franz Gertsch breit diskutiert werden, fehlte bislang eine umfassende Monographie. Die jetzt bei Benteli erschienene ist so präzise wie die Werke des Künstlers.

Bei schönem Wetter sehe man von Rüeschegg aus den Chasseral, erklärt Franz Gertsch der Autorin der kürzlich im Benteli-Verlag erschienenen Monographie, Angelika Affentranger-Kirchrath. Er sagt es nicht zufällig, denn das Seeland war dem heute 75-jährigen Künstler in seiner Kindheit eine Art Inbegriff von Landschaft, im Gegensatz zur Stadt Bern, wo er mit seinen Eltern seit 1935 wohnte. Eine in der Monographie gar abgebildete «Petersinsel» von 1940 erzählt davon. Obgleich es unzählige Texte zu Franz Gertsch gebe, so schreibt Reinhard Spieler, Direktor des Museums Franz Gertsch in Burgdorf im Vorwort, habe bisher eine umfassende Analyse des um 1980 eingeleiteten Perspektivenwechsels im Werk des Künstlers gefehlt. Diese Lücke schliesst nun die sowohl bezüglich Bild- wie vor allem auch bezüglich Textqualität herausragende, gut 250 Seiten starke Monographie.

Im Gegensatz zu vielen vor allem theoretisch hochstapelnden Lebens- und Werkbeschreibungen bleibt Angelika Affentranger-Kirchrath in ihrem ausführlichen, quasi jeden Winkel ausleuchtenden Text ganz nahe am Bild. Chronologisch und doch nicht simpel linear beschreibt sie Gertschs weitgehend autodidaktischen Weg zum Künstler und vertieft die Analyse vom Moment weg, da Gertsch selbst den Beginn seines eigentlichen Werkes sieht.

«Wir haben im Tessin Ferien gemacht. An einem Tag habe ich mich freigemacht und den Monte Lema erstiegen. Und auf diesem Berg habe ich gesagt: &Mac220;Jetzt hab ichs&Mac221;, zitiert AFK aus einem 1994/95 publizierten Interview des Künstlers. Gemeint ist die Erkenntnis Gertschs, dass er nicht einen Stil suchen, sondern lediglich festhalten müsse, was sich ihm (via Kamera) zeige. Das war 1969 und zugleich der Beginn der diapositiv-unterstützten Malerei. Die Textführung zeigt den kunsthistorischen Ansatz der Autorin, die nicht einfach ein Porträt aufgrund persönlicher Gespräche zeichnet, sondern bisher Publiziertes mit neueren und vor allem eigenen Erkenntnissen verwebt.

Dem Buch voran stellt sie das Gertsch-Zitat «Meine Bilder sind meine Biografie». Damit charakterisiert sie von Anfang an, dass nicht eine Lebensschilderung zu erwarten ist, sondern eine Bildungsbiografie und dass der Künstler dies so haben will. Sigmund Freud und C.G. Jung bleiben denn auch weitgehend draussen.

Die sich daraus ergebende Gefahr einer Auratisierung, analog Gertschs Werkkonzept, welches das Porträt und später auch die Landschaft idealisiert, ist durchaus vorhanden. Die Autorin konterte sie durch Quervergleiche, zum Beispiel mit dem gleichaltrigen amerikanischen Fotorealisten Chuck Close, oder durch die Präzision, mit welcher sie den Bildentstehungsprozess beschreibt; vom Fotografieren der Modelle respektive dem Foto-Shooting in der Umgebung des Wohnortes über die Interaktion von Diapositiv und Malerei im Lichtsetting des Ateliers bis hin zu den Farben, den Pigmenten, den (Japan)-Papieren.

Trotz allem ist spürbar, dass das, was die Autorin fesselt, primär die Porträts sind, der Wandel von den traditionelle Schweizer Malerei und Pop Art verquickenden Familienszenen um 1970 zu den androgynen Porträts von Luciano Castelli bis hin zum berühmten Patti-Smith-Zyklus von 1978. Und von da, ausgehend vom fast einzigen Selbstporträt von 1980 zu den mehr und mehr der Realität entrückten, Grund und Bild verquickenden Frauenporträts, von Irène über Tabea und Christine bis zum Johanna-Zyklus.

«…Irène und Tabea basieren auch als gemaltes Bild auf der fotogenen Wirkung der Frauen. Im langwierigen Vorgang des Malens jedoch gelangt … eine beinahe irreal-suggestive Dimension ins Werk, welche … auf metaphysische Werte schliessen lässt.» Nur ganz verhalten äusserst sich die Autorin zum erotischen Impakt der Bilder, wie ihn Kritikerinnen der feministischen Richtung andernorts gründlich zerpflückt haben. Doch ist solches wohl das Manko jeder so genannt «vom Künstler autorisierten» Monographie.

Etwas weniger Seele hat das letzte Drittel des Buches, das den sich ab 1988/89 zentral ins Werk stellenden Holzschnitten gilt. Zwar ist der Text auch hier erstklassig, aber – schwierig zu formulieren – das bis in die letzte Pore Ergründenwollen ist nicht im selben Mass da. Es kommt erst nach Gertschs Rückkehr zur Malerei (1996), nach den Gräsern und der «Silvia» wieder, da, wo die Monographie etwas früh, nämlich 2001/2002, endet, beim Holzschnitt-Zyklus «Maria», der die Frau des Künstlers auf der Basis einer älteren Aufnahme zeigt und über Farbe, Technik und Einbettung mit der Umgebung zur Einheit verschmilzt. Die Monographie erübrigt die für 2005 vorgesehene Retrospektive im Museum Franz Gertsch und dem Kunstmuseum Bern keineswegs; im Gegenteil, man freut sich nun doppelt darauf.

Das Buch trägt die ISBN-Nummer 3-7165-1336-9 und kostet 78 Franken.