Die Netzkunst hat ihr Publikum

Das BT sprach mit Reinhard Storz über Netzkunst und das Projekt «56kTV – bastard channel»

Interview: Annelise Zwez

Die Geschichte des Internet ist über weite Strecken eine Erfolgsstory. Täuscht der Eindruck, dass Netzkunst-Projekte bisher relativ wenig Echo fanden?
Nein, das stimmt nicht. Man kann Netzkunst nicht an Museumskunst messen. Dort kommt sie tatsächlich (noch) wenig vor. Aber es gibt eine andere Szene; Medieninteressierte, die zum Teil nicht in Museen gehen, aber schauen, was im Netz passiert. Netzkunst ist die einzige Kunstform, die innerhalb eines Massenmediums selbst entsteht und da auch ihre eigene Plattform hat.

Die Netzkunst ist sich also quasi ihr eigenes Museum. Wie kann diese Ghettoisierung durchbrochen werden?
Man muss zunächst bestehende Vermittlungsstrukturen gut nutzen. Man muss in Mailinglists vertreten sein, auf Netzkunst-Websites präsent sein wie zum Beispiel «rhizome.org», die dem New Museum of Contemporary Art in New York angeschlossen ist und die wichtigste Plattform ihrer Art ist. Dass man da «56kTV – bastard channel» präsentiert hat, ist nicht selbstverständlich. Wichtig sind aber auch öffentliche Diskussionen, Workshops, Interviews.

Die in 56kTV gezeigten Positionen thematisieren die Schnittstelle zwischen TV als Ort passiver Unterhaltung und Internet als aktivem Informationsmedium. Wie definiert sich diese Lücke?
Es gibt im Netz auch unterhaltende Animationen und ähnliches, aber für die Netzkunst galt bisher das ungeschriebene Gesetz: Nur was interaktiv, was politisch, was anspruchsvoll ist, ist gute Netzkunst. Sie musste nicht nur das Medium nutzen, sondern auch seine Kommunikationsstrukturen, Foren schaffen usw. 56kTV zeigt jetzt Projekte, die zusätzlich filmischen Charakter haben, die alle Ton einsetzen, die wie TV-Sendungen nur zu bestimmten Zeiten abrufbar sind, gleichzeitig aber die Software-Ausrüstung privater PCs und die Low-Tech-Geschwindigkeit von 56k-Modems berücksichtigen.

Könnte man sagen, dass 56kTV etwas reflektiert, was die Zukunft bestimmen wird, nämlich die Annäherung von TV und Internet?
Wenn die Leitungen immer schneller werden, und das ist zu erwarten, wird der Film ins Internet einziehen. Schon jetzt hat jeder TV-Kanal seine Web-Site – klein noch – aber zukünftig wird sich das ändern.

Leisten die heutigen Netzkünstler somit Pionierarbeit im Hinblick auf eine Zeit, da TV, DVD-Player, Internet, etc. wie «Stereoanlagen» funktionieren, bei denen man per Knopfdruck von Medium zu Medium switcht?
Ja, das kann man vielleicht schon sagen, dass wir nicht nur ein künstliches Spiel mit Ideen treiben, sondern das Zusammenbringen der Medien, sich reiben auch, mit einer Entwicklungsperspektive zu tun hat, dabei aber stets auch augenzwinkernd den Low-Tech-Effekt einbringend.

56kTV ist eines der wenigen kuratierten Netzkunstprojekte in der Schweiz. Wie kam es dazu?
Das kann ich nicht trennen von xcult.org, die Site über welche 56kTV läuft, wo ich schon 1995 begann, solche Projekte zu machen und seither alle zwei Jahre ein neues lancierte, wie zuletzt «shrink to fit» zum Beispiel. Wichtig war diesmal aber Geld aufzutreiben, denn anders als bei xcult, wo keine Gelder fliessen, wollte ich den Künstlern Produktionsbeiträge bezahlen. Das ist beim Internet sehr selten, man kann ja solche Produkte nicht sammeln oder kaufen. Aufgrund des Leistungsausweises von xcult ist es uns aber gelungen, Pro Helvetia als Partner für dieses Projekt zu gewinnen. Auch andere Stiftungen helfen mit. Vermutlich hat hierbei die Arbeit des Bundesamtes für Kultur im Rahmen von «sitemapping» (über dieses Gefäss wird Geld für computergestützte Projekte gesprochen – Anm. der Red.) den Boden bereitet.

Um wie viel geht es?

Im Endausbau mit allen 14 geplanten Beiträgen um etwa 150 000 Franken. Das ist viel, sehr viel sogar, nicht nur für die Schweiz, sondern international. Und entsprechend ist es wichtig, 56kTV auch bekannt zu machen.

Wie kuratiert man ein themenbezogenes Netzkunst-Projekt?

Es beginnt damit dass man Einzelne kennt, die am Thema arbeiten, Beat Brogle zum Beispiel, der das Projekt «onewordmovie» machte (es war 2004 Teil von «I need you» im PasquArt – Anm. der Red.) und nun bei 56kTV eine neue Version zeigen wird. Dann Marc Lee, der auch schon dahingehend arbeitete und jetzt «TV-Bot» zeigt, das sich mit der unterschiedlichen Aktualität von TV und Internet auseinander setzt. Wichtig sind auch die Netzkünstler Monica Studer und Christoph van den Berg, mit welchen ich seit langem kooperiere und die dieser Tage ihr Projekt aufschalten. Dann ging es aber auch darum, im Netz zu recherchieren, mit Leuten zu sprechen usw. Ich wollte zum Beispiel unbedingt jemanden aus Japan, weil 56kTV zum Pro Helvetia-Begleitprogramm der Weltausstellung gehören wird. Doch ich fand nichts, die andere Schrift ist wie ein Filter, so schrieb ich zwei Kuratoren in Tokio an und stiess so auf Exonemo, eine in Japan bekannte Künstlergruppe, die in 56kTV mit «ZZZZZZapp» den fehlerhaften Empfang von Bildern thematisiert. Neu werden über eine Ausschreibung zwei Projekte dazukommen, eines aus Mexico City, eines aus Los Angeles.

Sind eigentlich die Beziehungen zwischen Netzkünstlern rein virtuell?

Teils schon, es gibt keine Netzkunst-Festivals. Der Ort der Begegnung ist das Internet. An der Viper (dem jährlichen Basler Medienkunst-Festival – Anm. der Red.) nimmt man uns schon, aber eigentlich ungern, weil es im Raum nicht so gut zeigbar ist. Doch mit Jimpunk («Acid Missile») hatte ich zum Beispiel sehr intensiven E-Mail-Kontakt (fast wie ein Chat); das ist bei einem Künstler, der weder seinen Namen preisgibt noch öffentlich auftritt, schon sehr viel an Beziehung.

Es fällt auf, dass die sieben bereits aufgeschalteten Projekte mehr mit den Strukturen von TV und Web arbeiten als mit eigenen Inhalten. Ist das typisch?
Das hat mit der Geschichte der Medienkunst zu tun. Alle so genannt neuen Medien setzten sich am Anfang mit ihren strukturellen Bedingungen auseinander, das war auch beim Video so. Zur Netzkunst gehört vielfach die Absage an eigene Bilder – die Künstler benutzen Daten, Formate, Inhalte, die bereits vorhanden sind und lassen sie über Programmierung zu etwas Neuem werden. Das Programmieren von Kunst ist ja noch nichts Selbstverständliches, sondern eine Art neues Kunsthandwerk, das sich erst bekannt machen muss.

Wie können sie feststellen, ob 56kTV gehört respektive gesehen wird?
So genau kann ich es nicht wissen, die Statistiken sind zu wenig aussagekräftig, aber an manchen Tagen gibt es mehrere 100 Zugriffe, wobei auffallend ist, dass die Zahl zwischen 16 und 17 Uhr ansteigt. Ich vermute, dass das Leute sind an Arbeitsplätzen, in Schulen, die das gegen Feierabend hin anschauen.

Zwischen 16 und 17 Uhr? Das heisst, dass es Europäer sind. Gibt es trotz weltweiter Vernetzung ein lokales Moment?
Das ist ein Fact. Das habe ich früh gelernt. Wenn man im Web arbeitet, schaut zuerst die Familie, dann Bekannte, die Region, die Schweiz, der deutschsprachige Raum. Nach aussen sind es immer mehr nur Fachleute, Medienkenner. Immerhin ist 56kTV jetzt auch in asiatischen Mailinglists, da wir asiatische Künstler dabei haben. Sonst ist das eher schwierig.

Die Fakten zu 56kTV
56kTV umtasst aktuell sieben zum Teil mehrteilige Projekte, die, einem TV-Programm ähnlich, je zu dritt zu gewissen Tageszeiten einsehbar sind, ergänzt von kurzen Trailern und einem Textbulletin zum Herunterladen (in englischer Sprache). Weitere sieben Projekte werden dazu kommen. Bereits online
sind:
Acid Missile von jimpunk (Paris), das eine rasante Bild-Choreografie aus Versatzstücken von Google, Spams, Pop-ups und Typografien zeigt, verbunden mit einem Soundtrack aus Netzgeräuschen und Film-
musik.
TV-Bot von Marc Lee (Zürich), das die Zeitverspätungen des Netzes durch ein Mischpult von Breaking News und Webcam-Bildern aus aller Welt unterläuft.
ZZZZZapp von Exonemo (Tokio), das den gestörten Bildempfang von TV-Kanälen ins Internet übertragt und interaktiv autbereitet.
Milk von Shu Lea Cheang, das die Zeit des Herunrerladens von Pornobildern mit der Zählung von Aids-Toten in Afrika ausfüllt.
Sphinx von Birgit Kempker (Basel), das als Zeitverzögerung-Chat-Projekt eingehende Fragen sibyllinisch beantwortet, selbst oder via Roboter.
Missed von Nathalie Novarina und Marcel Croubalian (Genf), das im Flimmeräther einen Roboterengel auftauchen lässt, der (eine US-Talkshow persiflierend) «News from the Dead» bringt.
Intrigue von Young-Hae Chang (Seoul), das eine Kriminalgeschichte bietet, dessen Akteure Worte sind – visuell sichtbar und akustisch hörbar.
Im Hinblick auf die vom Bundesamt fiir Kultur initiierte Ausstellung «New Territories» in der Kunsthalle St. Gallen werden in den nächsten Tagen Beiträge von Beat Brogle (Basel/Berlin) und Monica Studer/Christoph van den Berg (Basel) aufgeschaltet. In Vorbereitung sind Projekte von Jiri Suruvka (Cz), Fran Ilich (Mexico), Martin Dahlhauser & Co (Berlin) und Jody Zeilen (USA).

Der Initiant von 56kTV wurde 1955 im aargauischen Rombach geboren. Im Anschluss an die Kunstschule F+F in Zürich studierte er Kunstgeschichte in Basel und ist heute daselbst Dozent für Kunst- und Mediengeschichte an der Hochschule für Gestaltung und Kunst. Darüber hinaus ist Storz Herausgeber des Netzforums für Kultur Xcult.org, Publizist im Bereich Neue Medien und Kurator von Online-Projekten.