Perrefitte Fränzi Neuhaus in der Galerie Selz, Kunstbulletin Mai 2004

Ungewöhnliche, oft aus der Kunststoff-Forschung stammende Materialien

verbunden mit einer Vielfalt an persönlichen Techniken charakterisieren das

plastische und – neuerdings – das zeichnerische Schaffen der Solothurner

Künstlerin Fränzi Neuhaus (47). „Percussion Writing“ zeigt es.

Mit Wagemut und Engagement hat der frühere Solothurner Arzt Beat Selz mitten im bern-jurassischen Perrefitte (bei Moutier) einen Kubus für zeitgenössische Kunst erstellt. (Architekten: Bakker &Blanc). Und betreibt darin seit Herbst 2002 eine Galerie mit professionellem Management. Im Zentrum des Programms stehen wichtige Kunst-schaffende mit Beziehungen zum Dreieck Delémont – Solothurn – Biel, von Jean-René Moeschler über Roland Adatte bis – aktuell – Fränzi Neuhaus.

Was sich als roter Faden durch Neuhaus‘ Schaffen zieht, ist die Spannung zwischen

„Raumkörper“ und „Körperraum“. Oder, anders ausgedrückt, zwischen raumbestimmender Architektur und atmender Körper- respektive Kunst-Haut. Vor allem in ihren zahlreichen Kunst am Bau-Arbeiten sowie den neuen, bei Selz erstmals gezeigten, Zeichnungen geht es der Künstlerin darum, Fläche und Raum in lebendige Vibration zu verwandeln. Von daher der träfe Titel der Ausstellung: „Percussion writing“.

Als Basis hiezu nutzt Fränzi Neuhaus verschiedene, nylonartige High-Tech-Gewebe, die sich durch ausserordentliche Stabilität und Durchlässigkeit zugleich auszeichnen – somit in sich eine Dualität aufweisen, die auch für Mensch und Tier wichtig sind. Diese „Stoffe“ setzt sie als Haut ein, um Plastisches oder Reliefartiges zu verwirklichen oder  sie nimmt sie als „Papier“-Bahnen, um darauf zu zeichnen. Das den Erdöl-Derivaten eigene, im Licht zuweilen fast wasserähnliche Schillern des Untergrundes tritt dabei in Wechselwirkung mit den Formen und vor allem auch den eingeschriebenen Rhythmen.

In einer der Hauptarbeiten in der Galerie – zwei im Raum hängenden über Rollen auf wenig Distanz gehaltenen, orangefarbenen Doppelbahnen – ist das materialimmanente Moiré so verführerisch, dass die Künstlerin selbst schwankt zwischen Faszination und Zurückhaltung. „Es geht nicht um Op-Art“, sagt sie, „sondern um die Wechselwirkung des Materials mit den (im Fall der Zeichnungen) handschriftlichen Rhythmen und dem Licht.“ Das gelingt ihr vielleicht am stärksten in drei, nur mit wenig Zwischenraum nahe an die Wand gehängten, vierseitig bezeichneten, weissen Doppelbahnen, die mit horizontal angelegten, dichten und vielfach überlagerten, schmalen Achterschleifen beschrieben sind. Hier tritt das Gewebe mit den skripturalen, zwischen grau und violett fliessenden, regelmässigen ( jedoch deutlich von der Hand geprägten) Zeichen eine doppelte Horizontal-Vertikal-Interferenz ein, die räumliche Effekte evoziert,  schillert und unablässig „ein- und auszuatmen“ scheint.

Mit der faszinierenden Wirkung, dass sich die Architektur des Raumes in der subjektiven Wahrnehmung aufzulösen respektive vom materiellen Raumkörper zum immateriellen Körperraum zu werden scheint. Der Weg dahin sei eine Gratwanderung, meint die Künstlerin, und verweist auf lange Recherchen, die zugleich Form und Material galten, wie der eigenen Konzentration auf Rhythmus und Ausdauer. Für die Interpretation nicht unbedeutend ist möglicherweise das Faktum, dass die Arbeiten nicht gültig fotografierbar sind.

Dass experimentelles, mit verschiedensten Materialien Wirkung und Ausdruck prüfen integral zu ihrer Arbeitsweise gehört, zeigt Neuhaus anhand einer mit Nylonsaiten aus dem Elektrobereich und Kabelbindern zu organischer Raumzeichnung gebundene Bodenarbeit – eine Fortsetzung früherer Arbeiten mit ähnlichen Materialien. Noch im Prozess des Reifens stehen fotogfische Arbeiten, die von Ausschnitten plastischer Arbeiten ausgehen und durch Mehrfachspiegelung in der Fläche zu „vegetativen“ respektive ornamentalen Räumen werden.

  1. bis 30. Mai 2004 Annelise Zwez