Kein anderer Maler hat unseren Blick so geprägt

Kunsthaus Zürich: Ferdinand Hodlers Landschaften von früh bis spät. MZ 05.03.04

Gerade weil er als Inbegriff der Schweizer Kunst gilt, erfährt Ferdinand Hodler hierzulande eine ambivalente Rezeption. Seine Landschaften dürfen in Zürich nur ein bisschen von ihrem Pathos zeigen.

Ferdinand Hodler war zu Lebzeiten (1851-1918) ein äusserst erfolgreicher und ein sehr produktiver Maler. Grosse Wandbilder prägen bis heute öffentliche Häuser (Landesmuseum, Kunsthaus Zürich u.v.a.m.). Doch während die „strammen Eidgenossen“, die „Holzfäller“ und auch die den Menschen überhöhenden symbolistischen Kompositionen inhaltlich schwierig in die Gegenwart zu übersetzen sind, bieten die Landschaften Hodlers ein weites Feld der Identifikation, das auch im Heute wirkt. Entsprechend teuer sind sie auf dem Kunstmarkt geworden. Die Auktionsergebnisse sind oft siebenstellig.

En tout hat Hodler über 700 Landschaften gemalt; manchmal gleich in Serie. Man weiss zum Beispiel, dass er das Gerüst von Landschaftsausschnitten, die er für mehr als nur ein Bild tauglich hielt, von Anfang auf mehrere Leinwände pauste. Analysen ergeben auch, dass er kompositionell kein besonders innovativer Maler war.
Tobia Bezzola, Kurator der aktuellen Ausstellung der Landschaften Hodlers im Kunsthaus Zürich, wagte es an der Pressekonferenz gar zu sagen: „Es gibt eigentlich nur zwei Landschaften von Hodler“.

Aber: Man kann machen, was man will: Hodlers Werke, und seine Landschaften im Besondern, halten alle kritische Sichtweisen aus. Man kann ihnen zum x-ten Mal begegnen und noch immer lösen sie Erregung aus. Das hat unter anderem damit zu tun, dass Hodler ganz unverschämt mit (Schweizer) Archetypen arbeitete. Und uns mit dem Berg und dem See und dem Baum, dem Himmel, den Wolken und dem Nebel bis heute da abholt, wo unsere Psyche (C.G. Jung lässt grüssen) besonders reagiert. Und er tut dies mit einer derart unverkennbaren und markanten Maler-Handschrift (ausgeformt um 1900), dass unsere Wahrnehmungen – von Eiger, Mönch und Jungfrau zum Beispiel, vom Genfersee – von Hodler geradezu mitbestimmt sind. Nicht zuletzt, weil Hodler auch sehr viele andere Maler beeinflusst hat.

Aber, noch einmal: All das schmälert die Kraft von Hodlers Malerei nicht. Sie steht, ob man das nun mag oder nicht, wie ein Felsen in der Brandung. Die Zürcher Inszenierung versucht der immanenten Gefahr des Pathos zu entgehen, indem sie das Werk in Kapitel unterteilt. In eine Vorschau zunächst, die Hodlers Weg vom Veduten-Maler in Thun über den Barthélemy Menn-Schüler in Genf bis zum eigenständigen Maler nachzeichnet. Und dann nach Bildtypen wie „Baum“, „Berg und See“, „Gipfel“, „Täler“ bis hin zu den späten „Landschaftsschichten“ unterscheidet. Dazu gibt es positive und negative Argumente. Es schafft innerhalb des repetitiven Themas der Landschaft Vielfalt, es zeigt immer wieder erneut wie Hodlers Malweise sich entwickelt, wie er durch Reduktion (und darin Verallgemeinerung) übergeord-nete – symbolische – Ausdruckskraft gewann. Ohne dabei die Wiedererkennbarkeit der Landschaft preis zu geben.

Aber, mit Ausnahme eines bergenden und lichtbetonten Achtecks am Schluss der Ausstellung, das den „Genfersee mit Mont-Blanc im Morgenlicht“ von 1918 in Frontalsicht zeigt, verhindert die Strenge der Kapitel und Kabinette etwas von der Grösse, die Hodler wagte. Das malerische Vorgehen – wie malte er was zu welcher Zeit – steht vor der inhaltlichen Vision des Künstlers. Die beiden Aspekte durchdringen sich in Hodlers präzisem, zuweilen geradezu ornamentalen Setzen von Proportionen, Massen und Farbqualitäten, doch die pantheistische Dimension seiner Landschaften darf sich in der Stadt Zwinglis nur in Portionen zeigen.

Das ruft einen Vergleich auf den Plan. 1998 zeigte das Aargauer Kunsthaus in Aarau eine unvergessliche Hodler-Ausstellung, die das Werk des Schweizers in direkte Begegnung mit jenem des weltberühmten, konstruktiven Holländers Piet Mondrian (1872-1944) stellte. Kurator Beat Wismer konnte dergestalt beweisen, dass es zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion keinen grundlegenden Unterschiede gibt und beide in ihren je so verschieden scheinenden Malweisen dieselben spirituellen Ansinnen verfolgten. Solchen Erkenntnisgewinn vermag die Zürcher Ausstellung der Landschaften Hodlers nicht zu liefern, so grossartig sie in ihrer Breite nichtsdestotrotz ist.

Die Ausstellung – eine Zusammenarbeit des Musée d’art et d’histoire in Genf, des Zürcher Kunsthauses und des Schweizerischen Instituts für Kunstwissenschaft – ist von einem gut konzipierten, an ein breites Publikum gerichteten Buch-Katalog begleitet ( 59 Franken).