Vernissagerede „Zeichnungen“, Galerie im Zimmermannshaus, Brugg

  1. Oktober 2004

Mit Arbeiten von Marianne Kuhn, Peter Emch, Valentin Hauri, Barbara Wiesendanger, Irène Wydler

Schreibend gedacht und vorgetragen von Annelise Zwez

Sehr  geehrte Damen und Herren, Liebe Künstlerinnen und Künstler

 

Wären es  zwei, die hier ausstellten, würde ich wohl das Gemeinsame suchen und das Individuelle herausschälen. Und, wie es Kunstkritikerinnen, die keine Ahnung von der Praxis des Kunstmachens haben, so an sich haben, die eingesetzen Medien als „gegeben“ betrachten: Malerei, Zeichnung, Skulptur, Video, Mischtechnik usw.Jetzt stellen hier aber fünf Künstlerinnen und Künstler aus und alle zeigen Zeichnungen. Also geht es um Zeichnung. Doch was ist Zeichnung?

„Die Zeichnung bewahrt einem vor den Gefahren der Verführung, da sie sich Atmos­phärischem widersetzt“, sagt der eine. „Aber nein“, sagt die andere, „die Zeichnung kann sehr wohl Atmosphäre schaffen“ …und Sinnlichkeit verbreiten, denke ich ihren Satz für mich weiter. Wie ich dann am andern Morgen, heute morgen, am PC sitze und die Arbeiten von Peter Emch und Marianne Kuhn vor dem inneren Auge nebeneinander stelle, merke ich, dass der, der die Zeichnung so zurücknimmt, sie umsomehr mit Inhalt auflädt, der zwischen den figürlichen Zeichen und Zonen sehr wohl mit Atmosphäre, mit Befind­lichkeit, mit Sinnlichkeit zu tun hat, während die, die grafitschwarze, bei jeder Berührung abfärbende Strichlandschaften zeichnet, nichts erzählt, ausser dem, was die Striche in ihrer Dichte, ihrem Glanz, ihrer Bewegung selbst in sich tragen.

Das Medium Zeichnung ist dort also Werkzeug, um damit auf eine andere Ebene zu gelangen, während sie da ihre eigenen medialen Möglichkeiten thematisiert.

Die Mini-Kontroverse gestern hier in der Galerie zeigt zum einen, dass Zeichnung nicht einfach Zeichnung ist, und zum andern, dass jede Interpretation ihre Argumente aus dem eigenen Rucksack holt. Ich merke, dass Vergleiche spannend sind.

Was hat es denn eigentlich mit dem Bleistift auf sich – ganz offensichtlich unterscheiden sich ja die Striche, die sie aufs Papier setzen, in der Härte zum einen – klar, dass Marianne Kuhns Stift weicher ist als jener von Irène Wydler. Aber trotz messerscharfer Lineatur nicht härter als jener von Peter Emch, von 2B reden die beiden. Na ja, so ein Begriff eben. Ich habe dann in der Schublade neben dem PC nachgeschaut und gesehen, dass da auf den beiden roten Bleistiften auch 2B steht, das habe ich nie gelesen vorher. Aber offenbar ist 2B ganz gewöhnlicher Durchschnitt. Die Frage ist also nicht nur hart oder nicht hart, sondern auch spitz oder nicht spitz. Naiv frage ich in die Runde, ob ich mir denn da an ihrem Arbeitsplatz so einen 08 15-Spitzer vorstellen müsse. „Aber nein“, diesmal sind sich alle – das heisst die drei, die es betrifft – einig. Ein Messer muss es sein. Amüsiert schaue ich Peter Emch zu, wie er mit den Händen im Raum andeutet, wie liebevoll er den Bleistift „modelliert“ und sehe wie die andern nicken. Ich weiss nicht warum, aber plötzlich kommt mir das Bild des Oboisten in den Sinn, der sein Mundstück sorgsam einspeichelt. Und schon höre ich es: „Der Bleistift ist ein Instrument“. Ich weiss nicht mehr woher der Satz kam, aber es ist egal – er stimmt für alle.

Ersetzt man Bleistift durch Pinsel, ist auch Valentin Hauri ohne Zweifel damit einverstanden. Nur meint er nicht dasselbe. Denn er denkt sicher nicht im selben Mass an die Hardware, sondern an die Musik, die man mit dem Pinsel spielen kann, gerade in der Zeichnung. „In der Zeichnung kann man die Dinge fliessen lassen“, sagt er, „der Lust nachgeben“ und auch: „In der Zeichnung darf man, was man auf der Leinwand nicht darf.“ Das ist eine klassische Unterscheidung, meint hier aber nicht einfach Zeichnung respektive Skizze kontra Bild, sondern eine Station der Vergegenwärtigung auf dem Weg vom Ausgangsmotiv, das bei Hauri immer ein bestehendes, ihn verführendes Bild ist, bis zur nur noch sehr versteckt davon erzählenden Malerei. Die Zeichnung ist somit – und das spürt man fast, wenn man ihn dazu bringt, zu verraten, wovon er ausging – ein Lustobjekt, die Bildmusik quasi, die er gehört hat und die er nun klimpernd und à la variation zur eigenen Komposition macht.

Ich spüre in unserer Diskussionsrunde hellhöriges Mitgehen, laufen lassen auch, weil es das Eigene nicht unmittelbar kreuzt, aber zugleich auch eine Art Distanzhalter. Denn Valentin Hauri ist letztlich auch in der Zeichnung ganz Maler und die Farbe hat so viel Bedeutung wie der Pinselzug. Im Gegensatz zu den andern. Mit dem Légèreren der Pinselzeichnung kann sich Barbara Wiesendanger einverstanden erklären, auch sie experimentiert in der bewusst kleinformatigen Gouache, kombiniert mit Siebdruck, doch meint sie nicht leicht im Vergleich mit Malerei, sondern mit ihren eigenen Grossformaten, die trotz des Einbezugs von Abdrucken durch und durch Zeichnung sind, wenn auch kontrollierter und konstruierter als in den Pinselskizzen.

Jetzt muss sich Marianne Kuhn wehren: Das Kleinformat, so sagt sie, erlaube doch sehr viel mehr Kontrolle, man sehe doch die Hand, die zeichne, registriere jeden Strich und damit auch seine Bedeutung, sein Gewicht im überblickbaren Format.

Eigentlich war es von Anfang an klar: Zeichnung ist nicht Zeichnung, ist nicht Zeichnung. Denn es geht weiter: Während die Skizzen von Barbara Wiesendanger im Grösserwerden zur transparenten Konstruktion aus klar gesetzten Acrylbändern werden und sich das Schwarz im Schauen scheinbar in Metall wandelt, werden die Zeichnungen von Marianne Kuhn im Grossformat, gerade umgekehrt, weicher, unbestimmter, was den einzelnen Strich anbelangt. Das Ausdehnen wird zum  Feld, in dem nicht mehr alles überblickbar   ist.

Die Möglichkeit, dass sich dies nicht nur im Kopf abspielt, sondern auch entlang äusseren Gegebenheiten, vergessen wir Betrachtenden oft. Die Kleinformate schafft Marianne Kuhn auf einem Tisch, meist stehend, sagt sie. Die Grossformate jedoch entstehen auf dem Boden, was zwangsläufig heisst, dass sich die Künstlerin ins Bild begibt, Zeichnung unter sich, neben sich, hinter sich hat und dieses Feld mit sich selbst als Teil davon wachsen lässt.

Demgegenüber hat Irène Wydler die Blätter vis-à-vis von sich an der Wand, so dass die Hand, die Körperbewegung sie ausmessen kann. Eigentlich logisch, dass mit diesen  unterschiedlichen Parametern je ganz anderes entsteht. Irène Wydler hat ein Blickfeld vor sich, ähnlich wie wir es haben, wenn wir die Zeichnung betrachten. Der Kopf hat darin Platz, die Schultern, der Brustansatz, aber vermutlich weder das Herz noch der Bauch. Verstehen sie mich nicht falsch, der Kopf ist auch die Zentrale für den Bauch – Peter Emch ist sicher einverstanden damit – doch Irène Wydlers Blätter sind Äusserungen aus und in diesem Feld von Kopf und Armansatz. Wir spüren das Schauen und das Bewegen des Armes, den Dialog zwischen Bild und Befehl im Austausch mit den beiden Hirnhälften. Es ist da eine Art Gleichzeitigkeit von Formwillen und intuitiver Setzung. Das spiegelt sich in einem eigenartigen Moment: Den dünnen Bleistiftstrichen, den scheinbar harten Linien, ist ein nicht definierbarer wolkiger Grund eingeschrieben. „Das sind Spuren des Arbeitsprozesses“, sagt Irène Wydler, mit anderen Worten, der Handballen, der die Striche – das Bleistift ist ja 2B und nicht härter – leicht verwischt. Man möchte eigentlich wetten, dass die Künstlerin genau das verhindert, mit einem weissen Papier zum Beispiel, doch  zum einen geht das nicht, da sie gleichzeitig am ganzen Blatt arbeitet, zum anderen will sie es aber offenbar auch nicht.

Spannend ist, dass sich Irène Wydler hier ausgerechnet in Gegensatz zu Marianne Kuhn stellt, in deren Zeichnungen sich die Striche zuweilen fast zu Flächen ballen, die aber konsequent mit Unterlagspapieren arbeitet, um jedem Strich selbst in dichtesten Zonen seine Autonomie, seine Bedeutung am Ganzen zu belassen.

Wer meint in einer erzählerischen Zeichnung sei der Strich an sich von weniger Bedeutung, irrt sich zum Teil. Der Vergleich der beiden ausgestellten Blöcke von Peter Emch zeigt das eindrücklich. Die oben sind gezeichnet wie man sich dies vorstellt, die unten aber sind in ein festeres Glanzpapier eingeschnitten, dann mit Kreide zugedeckt, die sich jedoch nur dort mit dem Papier verbindet, wo dieses verletzt ist. Sodass die Zeichnung erst mit dem Wegwischen der Kreideschicht sichtbar wird. So entsteht eine Art Zeichnung, die eigentlich nach dem Prinzip der Grafik funktioniert, aber kein Abdruck ist, sondern Schnittstellen sichtbar macht. Dieses versteckte, quasi umgekehrte Moment erstaunt nicht bei Peter Emch, ebenso wenig wie das Kleinformat, das seine Dimension erst zu erzählen beginnt, wenn man genau hinschaut und zulässt, dass das, was man sieht, sich im Kopf weitet und weitet und zuweilen die Augen gross und grösser werden lässt.

Wer’s Assoziative mag, der springt von den letzten Zeichnungen Peter Emchs im unteren Block direkt  zur sechsteiligen Zeichnung von Barbara Wiesendanger. Auch hier muss man länger verweilen, um den Einstieg zu finden. Als ich kam gestern, habe ich zunächst gar nichts gesehen. Ich wusste von früher, dass ich verweilen muss, warten muss bis sich das Auge quasi darauf einstellt. Als ich dann plötzlich ein Bein sah und dann das zweite und schliesslich den ganzen Körper, befiel mich ein mulmiges Gefühl. So in einen Raster eingeflochten fühle ich mich manchmal auch. Wie sich dann nach dem gemeinsamen Gespräch, bei der Rückkehr in den unteren Raum die Dinge mehr und mehr entwirrten, die Konstruktion ihre Wege und Stege freigab, fand ich zu mir zurück und lachte: Peter zeichnet seine Mutter im 50er-Jahr-Badekostüm, Barbara hat in ihrer Zeichen-Küche einen Schwingbesen mit Drehmechanik wie zu Mutters Zeiten. Paris sieht sie im Eifelturm-Look. Valentin ist fasziniert von Bildern, die gestern, vorgestern, vorvorgestern entstanden. Irène Wydlers Flugobjekte erinnern eher an Sputniks denn an Mars-Sonden Und Mariannes grosse Zeichnung lässt mich an den Zauber erstmaligen Berührens denken, damals als Kind.

Die Zeit rennt, gewiss, manchmal vermögen wir ihr kaum zu folgen, aber in der  Erinnerung sind Zeiträume nicht linear, sondern kreisend vielleicht, geschichtet wohl, auf alle Fälle von Gleichzeitigkeiten geprägt.

Ein Grund zum Zeichnen.

Ich danke fürs Zuhören.