Salome Lippuner: Urushi-Meisterin „zwischen den Stühlen“
Salome Lippuner: Urushi-Meisterin „zwischen den Stühlen“
www.annelisezwez.ch Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 28. Juli 2004
Sie hat sie für sich neu „erfunden“: Die alte ostasiatische Technik des Urushi-Lacks. Jetzt zeigte Salome Lippuner in Japan, was man als Europäerin damit machen kann. Und lernte dazu. Ein Gespräch.
Wie kommt eine Schweizer Schmuckdesignerin dazu, die uns von den Asiatik-Abteilungen der Museen bekannte Ursuhi-Lack-Technik (s.Kasten) ins Zentrum ihrer Kreationen zu stellen?
Das hat sehr früh begonnen. Als Kind kannte ich eine Sammlerin von Ostasiatika, darunter auch Ursuhi-Gegenständen aus Japan. Ich durfte sie nicht nur anschauen, sondern auch berühren. Das ist ein wichtiger Punkt, weil für mich das Taktile bei Ursuhi sehr entscheidend ist. Später, als ich in Paris zum Sprachen lernen war, traf ich in einem Museum auf Urushi-Gegenstände der Möbeldesignerin und Architektin Eileen Gray (1878-1976). Sie war die erste Europäerin, welche das Lack-Handwerk erlernt hat und damit gestalterisch eigene Wege gegangen ist. Es hat mich wie ein Schlag getroffen, Urushi und seinen ästhetischen Qualitäten wieder zu begegnen.
Waren sie damals schon ausgebildete Schmuck-Künstlerin?
Nein, erst danach kam die Ausbildung zur Goldschmiedin. Im Hinterkopf hatte ich jedoch immer dieses Urushi. Ich wusste indes, dass es sehr schwierig sein würde diese Technik zu lernen, wenn nicht in Japan. Doch wie das ohne die japanische Sprache zu beherrschen? Erst 10 Jahre später habe ich von einer Restauratorin in Wien gehört und sie dann drei weitere Jahre bearbeitet, bis sie mir, zusammen mit einem japanischen Freund, eine ganz schmale Urushi-Basis vermittelte. Daraufhin habe ich mit versuchen und Fehler machen und aus Fehlern lernen meine eigene Technologie entwickelt.
Muss man sich, wenn man sich mit Ursuhi befasst, auch der japanischen Kultur nahe fühlen?
Ja und nein. Ich habe mich lange vor dem Kontakt mit Japan gefürchtet, weil ich zwar die Kultur ein wenig kenne, aber klar meine eigenen gestalterischen Wege gehen wollte. Ich wollte nicht japanische Gegenstände kopieren, mein Ziel war es eine europäische, eine eigene Urushi-Formensprache zu entwickeln. Erst 2002 unternahm ich die erste Reise nach Japan, mit der klaren Vorstellung, eine Berufsreise zu machen. Ich wollte andere Handwerker von diesem Metier kennen lernen.
Und wie haben diese auf Ihre Schmuckstücke reagiert?
Ich war sehr berührt, wie offen viele von ihnen reagiert haben, wie nicht dieses traditionelle „schon wissen wie man es machen muss“ kam. Ich habe ein paar, heute Freunde von mir, kennen gelernt, die auch auf der Suche sind, diesem wundervollen Rohstoff Urushi ein heutiges Gesicht zu geben. Nicht zuletzt, weil sich auch Japan in einem gesellschaftlichen Umbruch befindet. Sie haben es aber viel schwieriger als ich, weil viele aus einer ganz strengen Urushi-Kultur kommen. Ich habe das umgekehrte Problem, ich weiss viele technische Sachen nicht, aber ich bin frei. Auch deswegen weil ich mir ein Gebiet ausgesucht habe, in dem es keine Urushi-Tradition gibt. In Asien wurde Urushi nie im Bereich Schmuck angewandt. Es waren Kleinmöbel, Geräte für den Alltag, und vor allem Geschirr und für mich neu auch Innenräume. Aber mit Schmuck stosse ich in ein völlig neues Feld vor.
Wie kam es zum Arbeitsaufenthalt in einem Urushi-Betrieb im April/Mai dieses Jahres?
2002 verbrachte ich eine Woche in Wajima, dem Zentrum des Ursuhi-Handwerks in Japan, wo ich unter anderem den Architekten Shinji Takagi kennenlernte. Durch ihn erfuhr ich, dass Urushi auch eine Tradition im Bereich der Raumgestaltung hat. Er hat meine Sachen gesehen und dann gesagt: „Ich bringe dich zusammen mit Leuten, die für dich interessant sind.“ Es ist ja sehr schwierig für uns, mit Japanern in Kontakt zu kommen, ihre Häuser betreten zu dürfen. Unter der Bedingung, so sagte er, dass ich seine Architektur anschaue und wir über Gestaltung reden. 2003 war Shinji Tagaki in der Schweiz und ich jetzt analog, aber mit der ganzen Familie, zwei Monate in Wajima. Da es mein primäres Ziel war das Urushi-Handwerk besser zu lernen, wählte ich unter verschiedenen Optionen das Angebot, in der für traditionelles Geschirr auf höchstem qualitativem Niveau bekannten Firma Shokodo ein Praktikum zu absolvieren.
Und was haben sie gelernt?
Als Schmuckgestalterin wusste ich schon immer, was Konzentration auf die Arbeit heisst, aber da musste ich bezüglich Ausdauer, Disziplin und Präzision und noch einmal bei Null anfangen. Das Auftragen der Lackschichten, insbesondere der letzten, ist wie das Legen eines Hauches; nur so spiegelt sich das Licht ungebrochen im Lack-Glanz des Saftes des Urushi No Ki-Baums. Mir wurde die Strenge des hochpräzisen, Schritt für Schritt vorangehenden Aufbaus noch stärker bewusst, ich habe gelernt wie man mit den Pinseln umgeht, in Serien arbeitet usw. Aber auch bezüglich der Einlegetechniken habe ich beim Maki-e-Meister Wesentliches dazugelernt. Hier hatte ich ja zuvor schon „Revolutionäres“ für mich eingeführt, zum Beispiel das Einlegen von Lapislazuli-Partikel in den Lack anstelle der tradtionellen Eierschalen usw.
Und was haben Sie als Europäerin dort gelassen?
Ich war unter anderem von der Vereinigung der Urushi-Meister eingeladen, ein Referat zu halten, und habe da über die Lackarbeiten von Eileen Gray berichtet. Doch wesentlicher noch war der Austausch mit einer Vielzahl von Lackmeistern. Diese sind zur Zeit offener denn je, denn im Rahmen neuer Lebensformen ist die Urushi-Tradition in Japan im Schwinden begriffen. Der Gebrauch wertvollen Urushi-Geschirrs zum Beispiel ist heute vergleichbar mit der Präsenz kostbaren Porzellans in unseren Haushalten. Die Frage, wie gehen wir in die Zukunft, ist darum für sie hochaktuell.
Werden ihre Urushi-Stücke demnächst auf dem japanischen (Kunst)-Markt auftauchen?
Die Tatsache, dass es in Japan auf der Ebene des Urushi die Unterscheidung zwischen Kunst und Design nicht gibt, macht mich sehr glücklich, bestärkt mich in meinem Tun, auch hier. Nach Präsentationen im Rahmen von Asiatika-Ausstellungen im Museum Rietberg in Zürich und im Historischen Museum in Bern (2002), konnte ich letztes und dieses Jahr einige Stücke in der Galerie Arai in Tokyo zeigen und für November ist in Tokio eine Ausstellung zusammen mit meinem japanischen Ursuhi-Freund Kunikato Seto in der Galerie des Mizkoshi.-Warenhauses geplant. (Warenhäuser sind in Japan auch Kultur-Häuser Anm. d. Red.) Ferner bin ich seit 2003 in der Galerie Slavik in Wien vertreten.
Und wie reagiert das Publikum in der Schweiz
Es ist natürlich schon so, dass ich in gewissem Sinn „zwischen zwei Stühlen“ sitze, ich bin hier und dort eine Exotin. Und dass „kostbar“ nicht nur Gold heisst, sondern zum Beispiel auch „Urushi“ bedarf der Vermittlungsarbeit. Aber ich habe einen treuen Freundes- und Kundenkreis, der meinen Weg mit mir geht. Ingrid Hansen zum Beispiel gibt mir im Oktober die Möglichkeit, in ihrem Juwelier-Geschäft am Neumarkt in Zürich einen ganzen Monat lang meine Kollektion zu zeigen. Gerne würde ich vermehrt auch im Bereich der Urushi-Innenarchitektur tätig sein.
Mehr zu Salome Lippuner auf ihrer Homepage: www.urushi-lippuner.ch
Salome Lippuner
1956 in Sierre geboren, wuchs Salome Lippuner in der Nähe von Zürich auf. 1975-79 absolvierte sie eine Lehre als Goldschmiedin und besuchte parallel dazu die gestalterische Berufsmittelschule. Ihre frühe Berufstätigkeit pendelt zwischen handwerklicher Weiterbildung und Begegnungen mit fremden Kulturen. 1986 eröffnet Lippuner ein eigenes Atelier in Basel und beteiligt sich an diversen gestalterischen Projekten.
Seit 1991 wohnt sie mit Ruedi Krebs, Steinhauer und Spezialist für Sumpfkalkböden, in Twann. 1992 und 1993 kommen Zilla und Cleo zur Welt.
Nach der ersten Japanreise 2002 fasst sie den Entschluss, sich auf Urushi zu spezialisieren, „ohne die Goldschmiedin zu verleugnen“. Sie gibt ihr Atelier in Basel auf und verlegt ihre Werkstatt ans „Hingerdürewägli“ in Twann.
Zur ihrer persönlichen Urushi-Faszination schreibt sie u.a.: „Ich liebe den seidenglatten, brillanten und dennoch weichen Glanz des Urushi-Lacks, der Flächen und Volumen zugleich zur Geltung bringt. Ich bin fasziniert von der subtilen Transparenz, welche tieferliegende Strukturen oder eingelegte Materialien (wie z.B. Edelmetallpartikel, Perlmutt, Eierschalen) zum Leuchten bringt.“
Was ist Urushi ?
Der Lack Urushi (der Saft des nur in Asien vorkommenden Lackbaumes Rhus Verniciflua, in Japan Urushi No Ki genannt) wird in zahlreichen, dünnen Schichten auf feingeschliffene Objekte aus Holz, Metall, Leder, Keramik usw. aufgetragen.
Je nachdem sind es bis zu 100 Schichten, von denen jede geschliffen und poliert wird. In diese Schichten können Materialien wie Gold- und Silberpartikel, Perlmutt, Eierschalen, auch Edelsteine, eingelegt werden.
Urushi ist der beständigste existierende Lack. Er ist resistent gegen Einwirkung von Säuren und Laugen, widersteht Hitze bis 280°, ist elastisch sowie relativ hart und kratzfest. Diese Qualitäten machen Gegenstände aus Urushi seit Jahrhunderten zum kostbaren Exportartikel des Fernen Ostens. Urushi wird traditionell eingesetzt für Kleinmöbel, Gefässe aller Art, Geschirr, Tabletts usw.
Ungefärbt ist Urushi hell bis dunkel bernsteinfarben und kann pigmentiert werden; mit Lampen-schwarz oder Eisenpulver zu Braun bis Schwarz, mit Zinnober- oder Eisenoxyd zu Rot- bis Orange-tönen. Der Oberflächenglanz variiert von brillant-hochglänzend bis zu blauschimmernd matt.