Urs Fischer_ Kir royal _Kunsthaus Zürich 2004
Von der Lust, einen «Verriss» zu schreiben
www.annelisezwez.ch Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 21. Juli 2004
Der Zürcher Urs Fischer (31) – nicht zu verwechseln mit dem Luzerner Urs Fischer (46) – hat den Bührlesaal des Zürcher Kunsthauses in eine mehrere Kavernen umfassende Bildhöhle verwandelt. Er hat drei Wände in den Saal einziehen lassen und mit einer Stichsäge je eine amorphe Rundung als Durchgang herausgesägt. Steht man nach längerem Verweilen, auf dem Rückweg vielleicht, im zweiten Kompartiment, dreht sich und schaut nach hinten, atmet man erleichtert auf: Die Schichtung von Bildern, Objekten und Skulpturen ergibt eine faszinierende, stillebenartige 3D-Komposition.
Erleichterung, weil die einzelnen Arbeiten so wenig überzeugen. Allerdings auch nicht kalt lassen. Sondern eher ein verzweifeltes «Muss das denn sein?» auslösen. Zum Beispiel in Wachs gegossene, popartige Frauenkörper, die als Kerzen brennen bis sie zur Hälfte konsumiert sind. Im Katalog ist von sich prozesshaft verändernden Skulpturen die Rede. Ach! Noch nie etwas von feministischer Ikonographie gehört? Oder: Eine in mehreren Schichten fotografierte und übersprayte Meerlandschaft mit etwas Comic-Malerei überlagert – ist das denn wirklich alles, was es braucht? Man vergleiche die Bilder mal mit jenen Anselm Kiefers.
Fände die Ausstellung in einer Kunsthalle statt, würde man wohl vom Comeback der Skulptur, von der neuen Lust an Materialien sprechen, von der Auflösung von High und Low Culture und sich fragen, ob da die Galerie Hauser & Wirth respektive Presenhuber (sie vertreten Fischer) schon wieder Financiers gespielt haben. Und dann die Chose ad acta legen. Aber der 31-jährige Zürcher, der nach der Fotofachklasse in Zürich nach Amsterdam, dann nach London zog und heute in Los Angeles und Berlin lebt, stellt unmittelbar nach Ferdinand Hodler im renommiertesten Museumssaal der Schweiz aus!
Zum einen ist da sicher der Anspruch von Christoph Becker, «sein» Haus als Mehrsparten-Museum zu betreiben. Somit auch Jüngste aufs Podest zu heben. Zu behaupten, es sei eine Leistung, dass ein so junger Künstler den 1300 Quadratmeter grossen Saal zu bewältigen vermöge, ist allerdings nicht stichhaltig. Wer den «Bührle» will, muss das können. Fischer, der den Saal zusammen mit seinem Team in einer wahren Arbeitsorgie innert zwei Wochen inszenierte und mit Kunst bestückte, ist das gelungen. Nur: Was sollen diese schiefen Stühle aus Polyurethan-Schaum? Sind da Robert Gobers Lavabos nicht doppelbödiger? Was soll diese Riesen-Zigarettenschachtel?
Hatten wir doch schon längst. Was soll diese pseudo-poetische Wolke aus blauen Tropfen? Verena Sieber und Beatrix Sitter haben das doch vor 20 Jahren vorexerziert. Was soll dieses schlecht und recht nachgeformte Tee-Service? Mit Verlaub, Fischli/Weiss sind da begabter.
Aber vielleicht ist alles anders. Fischer behauptet, er wolle positive Impulse vermitteln. Wie das? Wo sich doch innerlich alles sträubt. Klar macht das Votum immerhin, dass eine kritische Anti-Bürgerlichkeit wie man sie hineininterpretieren könnte, falsch ist. Fischer beruft sich gerne auf Jeff Koons und Andy Warhol. Also nicht, wie zunächst naheliegend, auf Dieter Roths Vergänglichkeitswahn und auch nicht auf die Materialfetischisten Jason Rhodes und Paul McCarthy (alle bei Hauser&Wirth). Warhol hat den Alltag und die Bildreproduktion in die Kunst gebracht, Koons den Kitsch aufgepeppt – beides gibt es hier, als «Kir Royal» (Champagner und Johannisbeersirup) wie die Ausstellung heisst.
Doch Fischer geht noch eine Etage tiefer, ins Chaos von Bruchboden, Sucht-Klausen und Clochard-Schachteln, um da Formen zu finden, die bisher nicht zur Kunst gehörten. Er nimmt die Dinge nicht als Trash, er formt sie komplett neu, bezieht sich in Gesprächen explizit auf die Tradition von Skulptur und Malerei. Vielleicht ist Fischer Vertreter einer Generation, der High (im Sinne von Design/Technik/Kapital etc.) so pervers erscheint, dass ihm der «Bottom», das «Zerschlissene», ehrlicher erscheint. Wenn ja, ist es wohl an uns (gerne) Gesättigten, anders zu schauen.
Dass diese These nicht so falsch sein könnte, zeigen die so genannten «Gedichte» Urs Fischers. «manche sagen, sie sind froh keine moral zu haben», heisst es da etwa, oder «leere—leere—leere, nicht als witz aber als zustand» oder «die lust dem nullpunkt». Aber auch: «Glauben, hart wie stahl, penetriert mein leben.» Und dagegen: «Poesie, als realitätskrümmer, sich schonend um die befindlichkeit seifte.» Ist in diesen Drink auch noch ein Stück Dada eingerührt?
Ist schliesslich das, was man als Kunst am liebsten als unintellektuell, als hässlich und gebastelt «verreissen» würde am Ende Kunst, die unangenehm ungewohnt ist und darum besser als wir es möchten? Die Zeit für eine Antwort ist noch nicht da.
Katalog.