Holte den roten Ball in Griffnähe
Felix Vallotons „Sonnenuntergänge“ im Kunstmuseum Bern. Bis 20.02.2005
40 mal stand Felix Valloton (1865-1925) ab 1910 an der Staffelei und malte den Untergang des Tages. Feurig, aber nicht romantisch. 36 dieser Bilder sind jetzt für eine Ausstellung im Kunstmuseum Bern. Und mehr dazu.
Es ist Matthias Frehners bedeutendeste Ausstellung auf der Populärschiene seines Ausstellungs-Programms. Dass es Valloton ist, wundert nicht, war Frehner doch bei der letzten grossen Retrospektive vor 28 Jahren im Kunstmuseum Winterthur deren technischer Assistent. Jetzt ist er der Direktor des Hauses und seine ehemaliger Chef, Rudolf Koella, der Gastkurator; pensioniert und Präsident der Valloton-Stiftung. Die Ausstellung kann somit vom Fortschritt der Valloton-Forschung, die demnächst im ersten Oeuvre-Verzeichnis Form annehmen wird, profitieren. Dieses Umfeld ist wohl Grund dafür, dass es gelang, von den 40 gemalten Sonnenuntergängen deren 36 nach Bern zu holen; zwei sind verschollen, zwei nicht ausleihbar. Rudolf Koella wunderte und freute sich darüber an der Pressekonferenz; was er nicht sagte, ist, dass in Valloton noch Marktpotenzial liegt und wohl kein Motiv in seinem Werk geeigneter ist, dies zu fördern als die Sonnenuntergänge.
Bern ist glücklicherweise nicht der Versuchung unterlegen, nur Sonnenuntergänge zu zeigen, sondern weist mit einer Reihe von Aktbildern, meist in Landschaften gestellt, auch auf die keineswegs unumstrittene, zahlenmässig grösste Motivreihe in Vallotons Werk. Nimmt die Aktbilder gar zum Anlass für einen umfang- und inhaltsreichen Text von Matthias Frehner zum äusserst schwierigen Verhältnis (des übrigens gut bürgerlich verheirateten) Valloton zum weiblichen Geschlecht. „Was hat der Mann so Schlimmes getan, dass er diese furchtbare „Gefährtin“ ertragen muss die Frau?“, schrieb der auch als Kunstkritiker und Romanautor tätige Valloton 1918. Um die Komplexität des 1925 verbittert an Krebs gestorbenen Waadtländer Wahl-Franzosen zu wissen, schärft den Blick für die Sonnenuntergänge, die weit weg sind von Hodlers fast gleichzeitigen Genfersee-Landschaften und auch keine Fortsetzung von Cézanne.
Valloton wird erst nach 1900 hauptsächlich Maler. Seine ersten internationalen Erfolge feiert er in den 1890er-Jahren mit Holzschnitten, die zum Teil Karikatur-Charakter haben, vor allem aber durch klare, vereinfachte Formen auffallen. Diese Basis erlaubt ihm auch in der Malerei, die Form, verbunden mit Farbe, zu betonen und so einen anderen als den kubistischen Weg in Richtung Abstraktion zu gehen. Bei den Landschaften kommt hinzu, dass er, im Gegensatz zu den Impressionisten, niemals „en plein air“ malte, sondern draussen lediglich skizzierte und Farben notierte, die Bilder aber manchmal Wochen danach malte.
Ganz allgemein ist ein Distanzfilter das Charakteristische der vallotonschen Malerei. Führt dies in den Aktbildern zu einer Kälte des Fleisches, die kaum auszuhalten ist, bewahrt es Valloton in den vielfach im Sommerhaus in Honfleur (Normandie) entstandenen Sonnenuntergängen vor dem Kitsch. Koella spricht von „Ironie“, wenn Valloton den Horizont mit winzigen, rauchenden Schiffskaminen rhythmisiert, oder von einem bewussten „Primitivismus“ in Anlehnung an Gaugin, wenn er Licht und Schatten in Formen fasst. Möglich, insbesondere was die zum Teil exquisite Setzung der Farben anbetrifft, aber die entscheidende Frage ist vielleicht, warum malte er nur Sonnen-Untergänge und keine Aufgänge. Die Antwort könnte banal sein: Weil er nicht gerne früh aufstand. Vielleicht ist im Kippen des Tages in die Nacht aber auch das Leiden des sich mehr und mehr als Einzelgänger fühlenden Malers selbst angedeutet. Das Halten an der Form, die Vereinfachung der Komposition, das zuweilen symmetrisch in Himmel und Wasser aufscheinende Leuchten der Farben wäre für ihn, so betrachtet, die Gratwanderung gewesen, ein überaus emotionales Motiv gleichzeitig zu versachlichen wie auszubalancieren.
Einen zusätzlichen Aspekt gewinnt die Ausstellung durch das Kapitel „c’est la guerre“ so benannt nach dem letzten Holzschnitt-Zyklus des Künstlers von 1915. Wenn auch die Vallotons Gesinnungswandel während des Krieges spiegelnden Bilder die Sonne wird darin zu Granatenfeuer eher die Qualitätsunterschiede im Oeuvre betonen, ist damit doch eine hintergründige Facette mehr ins Projekt eingebracht.
Die ohne Mut zu irgendwelchem Risiko inszenierte Ausstellung ist eine Zusammenarbeit mit der Fondation Gianadda in Martigny. Letztere finanzierte den inhaltlich reichen, aber graphisch sehr gewöhnlichen Katalog und holte Joseph Deiss und Jacques Chirac ins Patronatskommitee.