Transparenz ist Raum, Weite, Geheimnis

Gedanken zum Schaffen von Marta Herzog ( Sommer 2006)

Der Garten hinter dem Einfamilienhaus am Aumattenweg in Steffisburg bei Thun ist klein, ist begrenzt. Das Leben drängt sich. Die Wanderschuhe vor dem Haus dienten wohl für weitere Wege. Und doch sind Enge und Weite nicht grundlegend verschieden. Holt man in der Weite das Detail in die Nähe, um es besser zu sehen, sei es mit dem Feldstecher oder dem Zoom einer Kamera, taucht man in der Enge – mit dem Auge oder einer Makrolinse – ins Nahe ein, um seine Weite zu spüren. Das Kleine im Grossen und das Grosse im Kleinen. Beides ist geheimnisvoll und berührend, weil es die Linsen unserer Wahrnehmung erweitert und die Grenzen zwischen sichtbar und unsichtbar verwischt, vielleicht gar transparent macht. „Transparenz ist Raum, Weite, Geheimnis“, sagt Marta Herzog.

Sommer 2006: Im kleinen Garten gibt es – nahe am schützenden Fenster – eine Vielzahl von Kakteen; sie wirken saftig im Umfeld des dichten Grün der übrigen Pflanzen. Einige locken mit kleinen roten Knospen zwischen den Dornen. Im Zentrum wächst ein Vogelbeerbaum, hinten leuchten die weissen Kugeln einer gefüllten Hortensie, die Malven streben nach Höhe, blühen rosa bis violett. Die erste Sonnenblume sagt unmissverständlich, was gelb heisst. Die Agabantus werden bald mit blau antworten.

Als sich Marta Herzog anfangs der 1970er-Jahren auf den Weg machte, der sichtbaren Welt mit den Mitteln der Kunst Empfindungen einzuschreiben, wählte sie die Landschaft als Motiv. Im ländlichen Thurgau aufgewachsen und (noch) nicht von feministischer Gestik erfasst, lag das nahe. Und doch ist die Erinnerung an die Ausbildungsjahre – zunächst in der Malschule von Rose Ueltschi und Giselle Gilgen in Thun, später an der Schule für Gestaltung in Bern – mit geprägt von: „Ich will nicht so.“ Sie habe nicht, wie vorgegeben, vom Abbild ausgehen, sondern Landschaften aus sich heraus wachsen lassen wollen, sagt sie. Das ist einerseits typisch für die Kunst der Zeit – man denke an das, was man damals „Innerlichkeit“ nannte – und es ist andererseits spezifisch für die jungen Frauen, die sich damals – ihrer Zielsetzung noch gar nicht ganz bewusst – auf den unbekannten Weg zu sich selbst machten. Noch heute sagt Marta Herzog: „Wenn ich etwas will, geht es nicht; ich muss warten, bis es auf mich zukommt.“

Landschaft ist geprägt von Gegebenem, von festen Formen, und sich Veränderndem, von dynamischen Prozessen. Landschaft ist Umwelt, in ihrer prägenden Allgegenwärtigkeit aber auch metaphorisches Gefäss für Innenwelt. Landschaft ist Erde, Landschaft ist Körper. Landschaft ist Form, aber auch Gegenform, ist ebenso gegenständlich wie abstrakt. Landschaft ist komplex.

Von der ersten Bildsuche zum heutigen Werk von Marta Herzog ist es weit. Ihr Schaffen hat sich verfeinert, ist sich seiner selbst bewusst geworden. Es hat Ballast abgeworfen, es sucht in wechselnder Form nach Gleichgewichten zwischen Dasein und Entschwinden, zwischen Räumen und Nichträumen, zwischen Farben und Transparenzen. Motiv ist nicht mehr die Landschaft in einem äusseren, wohl aber die Natur in einem inneren, offenen Sinn. Wobei der ernsthaft vorangetriebenen Malerei zuweilen verspielte, sinnliche Fotografie gegenübersteht. Fast wie im Garten, wo die Freude an der Üppigkeit des Pflanzlichen stets das Staunen über die Komplexität des Gewachsenen mit beinhaltet.

Wichtig für die Entwicklung von Marta Herzogs Kunst war der Schritt zum professionellen Schaffen. Kaum waren die Kinder – geboren 1976 und 1978 – ein bisschen selbständig, packte sie (ab 1986) die Chance und belegte Kurse an der Schule für Gestaltung (u.a. bei Jürg Straumann) sowie an der Universität Bern (u.a. bei Oskar Bätschmann). In ihren Bildern wird das sogleich sichtbar – alles wird nun ausprobiert. Die gestischen und zeichenhaften Kunstsprachen der 1980er-Jahre drängen ins Behütet-Geordnete, der Kunstbetrieb wird zum Tummelfeld – ihre Bilder werden in Ausstellungen öffentlich. Doch da folgt auch schon die Rückbesinnung. Metapher für das intuitive Bedürfnis wird eine Reihe von Bildern mit festen, architektonischen Formen einerseits, mit kurzen, staccatohaften, energetischen Lineaturen andererseits; es geht um Gebautes und Dynamisches im Dialog.

Mitte der 1990er-Jahre wird die Ritze zwischen den Räumen der Wahrnehmung zentral. Zwischen dunklem Körperhaften und dunklem Umfeld bahnt sich ein helle Linie ihren Weg und schafft Räumlichkeit. Es kann auch ein dunkles Band sein, das Helles ganz oder teilweises umfährt. Die Linie selbst wird zum Thema. Der tastende Pinselstrich macht dabei das staunende Wahrnehmen von Tiefe, das Öffnen von Räumen, die Gleichzeitigkeit von davor und dahinter fühlbar. Es ist der Beginn einer neuen, bis in die Gegenwart führenden Dimension im Schaffen von Marta Herzog.

Oft arbeitet die Künstlerin mit Acrylfarben auf Hartfaserplatten. Im Gegensatz zur Leinwand dringt die Farbe hier nicht ins Trägermaterial ein, sondern bleibt auf der Oberfläche. Die Farbe kann hingegen auf dem harten Grund so lasierend aufgetragen werden, dass sie nur ein Hauch ihrer selbst ist und Darunterliegendes durchschimmern lässt. Das interessiert die Künstlerin, denn die Räumlichkeit, die ihr nun immer wichtiger wird, soll als Schichtung unterschiedlicher Farbebenen sichtbar werden.

Die Beschaffenheit der Materialien, die verwendeten Malmittel sind Marta Herzog seit jeher bedeutsam. Von weit her taucht auf, dass die Künstlerin als junge Frau einmal eine Lehre als Pharmaassistentin absolvierte. Was gemischt mit was ergibt die gewünschte Wirkung? Hat am Ende auch die Lust in ihrem Garten und anderswo mit der Makrolinse unbekannte Oberflächenstrukturen fotografisch sichtbar zu machen, damit zu tun? Und gehört auch die an die Op-Art erinnernde Bildserie mit doppelten Gitterfolien auf bemaltem Grund in diesen Kontext? Der Künstlerin sind Experimente wichtig und die Arbeiten erreichen oft autonomen Status, doch letztlich sind sie Grundlagenforschung für die Entwicklung der Malerei.

Die Beachtung, welche Marta Herzog in den letzten Jahren in der Region Thun, in ihrem Heimatkanton Thurgau und weit darüber hinaus erfährt, zeigt deutlich, dass die Künstlerin entscheidende Schritte zu verwirklichen vermochte, dass ihr Werk eigenständig wurde. Ziel sei ihr, so sagt sie, mit immer weniger, in immer offenere Dimensionen vorzudringen. Sie spricht von Transparenz, von Weite, von Unbegrenztheit, die sie suche. Denn Begriff Spiritualität nennt sie nicht und meint ihn wohl doch.

Eine gewichtige Stellung auf diesem Weg nehmen die weissen Bilder der Jahre um 2000 ein (vgl. Text Bernhard Bischoff). Hier scheint die Künstlerin in einer Art fiktiver Röntgenaufnahmen alles Materielle aufzulösen und nur die immateriellen Formen des Gegenständlichen – seien es Kugeln, Stängel, Röhren – zu visualisieren und dies in Allover-Kompositionen, welche die Begrenztheit des Bildfeldes negieren und überdies keinerlei Rückschlüsse auf Grössenverhältnisse mehr erlauben. Die materielle Realität scheint aufgehoben, ist assoziativ aber doch präsent und verweist so auf eine andere Seite des uns Vertrauten, vielleicht auch auf die Gleichzeitigkeit des einen im anderen.

Raum nehmen im neueren Werk auch zahlreiche Netzbilder ein. Wie immer ist die materielle Basis nicht von weit her geholt; diesmal ist es aber nicht der Garten, der sie liefert, sondern Kunststoffnetze wie sie zum Beispiel zum luftigen Verpacken von Lebensmitteln verwendet werden. Spielerisch und fotografisch wurden sie zur Form, die sich schrittweise von ihrer Funktion, ihrer Beschaffenheit löste und als Malerei schliesslich zur Metapher für Abstraktes wurde. Zu einer vernetzten Struktur, die nicht begrenzt, die durchlässig ist und doch die Verbindung von allem mit allem andeutet.

Die Netze gibt es sowohl als ein- oder mehrschichtige Acryl-Malerei auf Hartfaserplatte wie als praktisch farblose, grossformatige Papierarbeiten, die aufgrund der ertüftelten Beschaffenheit des Malmittels das Papier zum „Relief“ machen. Bedeutsam ist zweifellos, dass Marta Herzog die Linien von Hand zieht, dabei auch den Pinsel dreht und wendet, um damit eine Art Bandbreite von Wachstum, Leben, Denken und Sein anzudeuten. Dass hier aus dem weiten Feld der zeitgenössischen Kunst dann und wann Assoziationen zu Brice Marden aufblitzen, ist formal und inhaltlich durchaus relevant. Auch Agnes Martin meint man dann und wann ins Atelier blicken zu sehen.

Die Farbe hatte im Werk von Marta Herzog stets eine gewisse Wichtigkeit, doch erst in den neuen Werken erhält sie eine zentrale Bedeutung. Sie übernimmt nach der Phase der Immaterialisierung in den neuen Werken quasi den Part der sinnenhaften Erscheinung von Welt. Deutlich sind die Verbindungen zur Pflanzenwelt, zum Blühen im Garten. Es braucht nun nicht mehr viel, um die Türen zu öffnen, um in Räume der Schwerelosigkeit einzudringen. Die Künstlerin ist sich selbst sicher geworden. In verwobenen Bändern unterschiedlicher Transparenz – seien sie vertikal-horizontal oder geschwungen angelegt – schafft sie Sphären, die frei jeglicher Assoziationen in sich selbst Bild und Welt sind.