Die Künstler und die  Kunstorte im Dialog

Die Berner Weihnachtsausstellung geht erneut neue Wege. Gute. Sie ist nicht nur ein Stelldichein von Berner Kunstschaffenden, sondern auch von deren Kunstinstitutionen.

Bieler Tagblatt vom 20. Dezember 2005

Das Zentrum Paul Klee ausgeklammert, sind es vier öffentliche Institutionen, die in Bern mit unterschiedlicher Ausrichtung Kunst vermitteln: Das Kunstmuseum, die Kunsthalle, das PROGR-Zentrum für Kulturproduktion und die Stadtgalerie. Mit je eigenen Konzepten zeigen sie  gemeinsam die diesjährige Weihnachtsausstellung der Berner Kunstschaffenden. Und machen so im Vergleich nicht zuletzt ihr eigenes Profil sichtbar.

Für das Kunstmuseum haben Direktor Matthias Frehner und Gastkuratorin Betty Stocker (Biel) unter dem Titel „Foto kann alles“ 24 Berner Künstler und Künstlerinnen unterschiedlichen Alters und mit verschiedenen, fotografischen Ansätzen (doku-mentierend, inszenierend etc.)  eingeladen. Gegenwart bedeutet hier somit bewusst die Gleichzeitigkeit der Generationen, will heissen Balthasar Burkhard (geb. 1944) ist ebenso vertreten (übrigens mit einer überraschenden, farbigen Grossformat-Serie aus Kuba) wie die junge Bernerin Nadine Rüfenacht (geb. 1980) mit ihren „barocken“ Tier-Stillleben. Hightlights daselbst sind auch die „Zehn Boten“ von Chantal Michel, welche sie als „Einstein“, als „Engel“, als „Superman“, als Fussball-„Dracula“… zeigen. Oder auch die subtil Natur und Medialität thematisierenden „koexistent“ von Verena Schwab.

Für die Kunsthalle heisst „directors choice“ hingegen eine Ausstellung mit acht pointiert zeitgenössischen, installativen Arbeiten, die unter dem Titel „Keiner hilft keinem“ (ein Zitat von Martin Kippenberger) Orte und Medien bewusst dialogisieren. Da ist zum Beispiel Kathrin Stengele, die ihre „Zeichnung“ in eine Dunkelkammer transferiert und rein akustisch erscheinen lässt; nach dem Prinzip, dass verschiedene Stifte in verschiedener Geschwindigkeit auf verschiedenen Untergründen unterschiedlich tönen. Oder, draussen vor der Kunsthalle, ein Container von „Zimoun“ (Simon Hügli), der als Entsorgungsstelle für „politische Reden“ dient. An jedem Loch hört man Sprachfetzen aus der TV- „Arena“, positive, negative, dann Fragen und zuletzt die zögernden „ähm“. Zwei je spannende Arbeiten.

Der PROGR wiederum versteht sich als Ort der Berner Kulturförderung, wozu, so die Leiterin, Beate Engel, auch die Kunst-Ankäufe der Stadt Bern gehörten. Und so ist hier zu sehen, was die Kunstkommission heuer erwarb; fotografische Werke von Pamela Rosenkranz und Judith Schönenberger respektive plastische Arbeiten von Urs Zahnd und  Natsuko Tamba Wyder. Obwohl die Ankäufe um (wenige) Werke erweitert wurden, müsste die Ausstellung umfassender sein, um ein gleichwertiges Standbein im Quartett der Weihnachtsausstellungsorte zu sein. Schade, denn gerade der PROGR braucht Publikum; installiert ist hier nämlich auch eine Informatik-Knacknuss: eine interaktive Arbeit des belgischen Atelier-Gastkünstlers Kris Vleeschouwer und Jürg Curschellas. Ein hinauf- respektive hinunter zählender Sensor entkorkt beim 1267ten Gast vor dem Büro von Matthias Frehner im nahen Kunstmuseum eine Champagner-Flasche.

Der  Pavillon der, ebenfalls von Beate Engel geleiteten, Stadtgalerie (Ecke Hodlerstrasse/Bollwerk) ist eine Art Fokus der Berner Szene im Bereich installativer, aktionsartiger, multimedialer Kunst. Mit unglaublicher Dynamik tut dies zur Zeit auch das Marks Blond Project an seinem Kiosk an der Länggasse (Uni Tobler). All-wöchentlich findet hier eine neue Aktion oder Ausstellung mit Vernissage statt, mit Schwergewicht bei Berner Künstlerinnen und Künstlern, wo immer auf dem Globus sie leben (auch Haus am Gern, Chri Frautschi und Mirjam Gottier aus Biel waren schon da). Weil man da fast notgedrungen vieles verpasst, ist die Stadtgalerie zu Weihnachten jetzt „Büro“ und (Video)-„Dokumentationssstelle“ des schon fast kultigen Marks Blond Projects von Daniel Suter, Yves Ackermann und Radwina Saga. Eine gute Idee.

Das Berner Weihnachtsausstellungs-Konzept ist spannend, nicht zuletzt weil die verschiedenen Formen heutiger Kunstproduktion mehr entsprechen als das traditionelle Einreichen und Jurieren von Werken. Insbesondere das sorgfältige Auswählen der Werke hebt das Niveau bis hin zu kleinen Einzelausstellungen; genannt seien zum Beispiel die Skulpturen von Giro Annen in der Kunsthalle, in Gips übersetzte und zurückhaltend bemalte Abfallmaterialien (Wellkarton u.a.), die ihren Trash-Charakter zeigen, aber zugleich ganz bewusst  als Skulpturen angelegt sind.

Text im Text

azw. Vielleicht ist es typisch, dass der Kanton Bern als einziger in der Schweiz mehrere Weihnachtsausstellungen kennt, jene von Bern, von Thun, von Biel, zuweilen auch von Langenthal und/oder Moutier. Die stark regionale Struktur des Kantons spiegelt sich darin. Mit dem Nachteil, dass vor allem Auswärtige die Berner Ausstellung oft für „kantonal“ nehmen, was sie nicht ist (sie umfasst Bern-Stadt, Burgdorf und die Künstlergesellschaft visarte, Sektion Bern). Das heisst, dass Bieler Kunstschaffende da nichts zu suchen haben, es sei denn sie gehörten auch zur Berner Szene, wie etwa Rudolf Steiner und Barbara Meyer Cesta (Haus am Gern), die in Biel und in Bern mit markanten Arbeiten vertreten sind. Im Kunstmuseum Bern zeigt Meyer Cesta die eindrückliche „Barbie“-Serie, eine Gender-Arbeit, die schon 2003 in der Galerie Quellgasse in Biel ausgestellt war. Steiner ist  mit einem ebenso originellen wie mehrdeutigen Foto-Shooting mit Bernhard Fibicher vertreten.

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Haus am Gern Ade?

Frühling 2001 kamen Rudolf Steiner und Barbara Meyer Cesta alias Haus am Gern als Stipendiaten der Stiftung Atelier Robert nach Biel. Jetzt ist ihre Zeit im Ried abgelaufen. Wie ihre Vorgänger (Ise Schwartz+ Roland Bielmeyer, Bernd Höppner+ Chris Weibel) möchten auch sie gerne in der Region bleiben, doch blieb ihre Suche nach einem für Künstler bezahlbaren Wohn-Atelier bisher ergebnislos. Das Paar hat die Region bereichert, humorvoll, zuweilen provokativ – man denke an die „arteplage 01“, das „Musée en (G)rève“, „Fallada“ usw. Steiner ist Mitglied des Vorstandes Photoforum und der Kunstkommission, sowie Lehrer an der Schule für Gestaltung. Es wäre für Biels Kunstszene ein Verlust, würden sie keine Bleibe finden. Wer weiter weiss, erreicht die beiden unter 079/ 293 17 67 oder bmc@hausamgern.ch. (azw)