Ana Roldan im Espace libre des Centre PasquArt Biel 2006

Der Tiger hoffte, aber nicht genug

www.annelisezwez.ch         Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 11. April 2006

Vor sechs Jahren entschied die 1977 in Mexico City geborene Ana Roldàn aus an einer europäischen Kunsthochschule zu studieren. Dass sich in Bern alle Puzzleteile zusammenfügten, war für mich ein „Glücksfall“, sagt sie. Wohl auch für Bern, denn die junge Künstlerin eilt, seit sie da ist, von Ausstellung zu Ausstellung und man spricht von ihren Arbeiten. Wobei „Ziehvater“ Hans Rudolf Reust (Leiter der Kunstabteilung an der Hochschule der Künste in Bern) stets das Seinige dazu beigetragen hat. 2003 schloss sie die Schule ab, 2005 erhielt sie einen Eidgenössischen Preis für freie Kunst.

Ana Roldàn arbeitet multimedial – mit Projektionen ebenso wie mit plastischen Elementen, die sich zur Installation fügen. In ihrer Kurzbiographie hält die seit 2004 an der Universität Bern Sprachwissenschaften Studierende fest, dass sie sich häufig mit Text, Schrift und Kodes befasse. Das gilt auch für die Installation, die sie für den Espace libre im CentrePasquArt entwickelt hat.

Die Basis bildet ein eigener Text, eine Fabel mit dem Titel „The tiger, the boy and the bee’s gold“. In der ab Lautsprecher zu hörenden Geschichte kehren sich tradierte Zuordnungen um. Die Bienen werden zu Biestern und der Tiger schreit; er sorgt sich um den Knaben. „The tiger hoped, but hoped not enough“ steht auf der honiggoldenen Einladungskarte. Es ist keine lineare Geschichte, auch kein Gedicht, doch der Lyrik näher als der Prosa. Es sind eher Ahnungen, unbestimmte Ängste, die sich einstellen als Verstehen im gängigen Sinn.

Auf dem lang gezogenen Beton-Boden breitet sich ein aus mehreckigen Holzstäben geformtes, freies Wabenmuster aus. Wobei einige der Sechsecke mit Erdöl gefüllt sind. Nicht mit Wachs, nicht mit Honig, sondern mit Erdöl. In einem offenen Feld in der Mitte liegt ein beidseits mehrfach aufgefaltetes, leicht durchsichtiges, weisses textiles Band. Sichtbar ist die skelettartige Zeichnung eines Tieres. Zusammen mit Ton und Titel wird es schnell zum Tiger, doch man weiss nicht recht, ob es ein archäologisches Dokument oder eine Art Widerschein des Tiger-Fells ist. Ana Roldàn doziert nicht, sie evoziert, sie ruft herbei. Und sie tut dies nicht mit dem billigen Satz: Jeder solle sich selbst etwas denken. Sie legt ihre Fährten so, dass wir emotional gepackt werden – es geht um das Wohl respektive das Verderben eines Knaben, es geht um organische Strukturen, die sich in Ambivalenz wandeln und somit in latente Angst. Das Erdöl und der Honig – beides nutzen wir, doch es verträgt sich nicht. Und hoffen reicht wohl auch nicht. Und der Tiger? Wie lange überlebt er noch? So direkt neben der Branding-Ausstellung im Museum nebenan kommt einem – aber das war von der Künstlerin nicht geplant – sogleich der Slogan „Tu den Tiger in den Tank“ in den Sinn. Fast blasphemisch wirkt er jetzt, da der Tiger nur noch als eine Art Zeichen seiner selbst erscheint.

Im Fri-Art in Freiburg (einem profilierten Ort für zeitgenössische Kunst) zeigt Ana Roldàn zurzeit eine Arbeit mit dem Titel „kill the bee-st“ – eine weisse Schachtel mit Wachs, einem Imkerhandschuh und silbernen Bienen. Die beiden Arbeiten stehen in Bezug, verdeutlichen unter anderem, dass für die Lateinamerikanerin die Biene naheliegenderweise die sogenannte Killerbiene meint, die gefährlich ist, dafür aber mehr Honig produziert.

Man hat Ana Roldàns Schaffen immer wieder als „politisch“ apostrophiert. Das ist es auch in gewissem Sinn, aber näher bei den Fabeln von La Fontaine als bei irgendeiner Ideologie. Sie „verschenkt“ die inhaltliche Essenz freilich nicht, sie fordert Denken und Assoziieren und vor allem das Zulassen der Gefühle, die sich dabei einstellen. Dass letztere tatsächlich entstehen und damit in die Tiefe, in den Körper wirken, begründet sowohl die Qualität wie den bisherigen Erfolg der Künstlerin. Schön, Gelegenheit zu haben, ihr in Biel zu begegnen.

Der Link zur Künstlerin: www.anaroldan.ch