Vernissagerede anlässlich der Ausstellung „Elsi Giauque – Raum  Skulptur Transparenz, Hommage à Käthi Wenger und Sara Rohner – Weg in die Gegenwart“ in der Stiftung Aarbergerhus in Ligerz

 September 2006

Annelise Zwez

Sehr geehrte Damen und Herren

Ich darf hier und heute eine ganz ausserordentliche Ausstellung eröffnen – eine Ausstellung, welche die Plattform „Kunst Textil“ im Aarbergerhaus in Ligerz in einen nationalen Kontext stellt, ist sie doch unter anderem der historische Teil der Trilogie „Textil-Räume“ in Zusammenarbeit mit der Villa am Aabach in Uster und „tuchinform“ –der Gemeinschaft Schweizer TextildesignerInnen – in Winterthur. Historisch in dem Sinne, als Elsi Giauque an der internationalen Biennale von 1967 in Lausanne die erste Künstlerin überhaupt war, die ein dreidimensionales Werk einreichte und damit die Tapisserie von ihrer Gebundenheit an die Wand erlöste und in den Raum stellte respektive selbst Raum umschrieb. Textil-Raum eben. Elsi Giauque war mit dieser „Revolution“ Wegbereiterin war für die Künstlerinnen, die in Uster von Juni bis anfangs September zeitgenössische Textil-Räume bespielten und die Textil-designerinnen, die in Winterthur in vier spannenden Etappen ganz verschiedene Intérieurs an der Nahtstelle zwischen Kunst und Design gestalten. Mit dieser Karte haben die drei Institutionen ihre Dreiheit zum Ausdruck gebracht und in farblich abgestimmten Teppichvorlagen vor den drei Häusern auch je ortsbezogen akzentuiert. Setzen Sie ihren Fuss bewusst auf die gelbe Vorlage, wenn Sie hinausgehen.

Die Ausstellung ist noch viel mehr, doch lassen wir uns zunächst von Christine Lüthis Oboenklängen in die Welt des Kreativen wiegen.  „Wiegenlied“ heisst nämlich das kurze, dreiteilige Stück von Antal Dórati, das wir sogleich hören werden. Dórati ist ein ungarischer, später amerikanischer Komponist, auch Dirigent, der Generation von Elsi Giauque, der dieses Jahr besonders ins Licht gerückt ist, hätte er doch heuer seinen 100. Geburstag gefeiert, wenn er nicht schon 1988 in Gerzensee gestorben wäre. Christine Lüthi….

Eine ausserordentliche Ausstellung, habe ich behauptet. Ja! Noch nie konnten wir hier in Ligerz eine Ausstellung mit so vielen, so bedeutenden Leihgaben aus öffentlichem und privatem Besitz zeigen. Es ist mir ein Anliegen dem Centre hospitalier in Sion, der Stiftung für angewandte Kunst des Kantons Bern, der Stadt Biel und last but not least Monsieur Pierre Magnenat respektive der Stiftung Toms Pauli in Lausanne herzlich zu danken. Wir können damit Elsi Giauques Bedeutung für die „Revolution“  der Textilkunst in den 1960er-Jahren in einem Mass augenfällig machen wie nie oder schon lange nicht mehr.

Insbesondere die Zusammenführung zweier Versionen des sogenannten „Elément spatial“ , das eine aus dem Besitz der Stadt Biel, das andere aus jenem der Stiftung für angewandte Kunst des Kantons Bern, das Zusammenführen dieser frei konstruierbaren, quadratisch bespannten Rahmen mit und ohne integrierte Zeichen/Symbole  zeigt in eindrücklicher Form, wie sehr Elsi Giauque bereits in den späten 1960er-Jahren den Raum im Visier hatte, wie sie architektonisch dachte und den Raum zum bespielbaren Theater mit Formen, Farben in dem ihr eigenen Material, dem Textilen, machte. Sicht- und erlebbar ist in diesen Arbeiten auch der Einfluss der „Op Art“, der die luftigen Elemente im Vorbeigehen zur vibrierenden Zone macht.

Ausserordentlich ist gewiss auch die Präsenz von  „Cinq fantômes“ in dieser Ausstellung. Nicht nur weil die fünf Fantome eindrücklich aufzeigen, wie Elsi Giauque ihre alte Leidenschaft für das Marionettentheater skulptural umzusetzen wusste, wie ihr Raum immer auch Bühne war und wie humorvoll sie den Menschen, die Figur, mit in die Gestaltung integrierte. Doch nicht nur darum ist die Präsenz der Fantome ausserordentlich, sondern auch weil sie zum ersten Mal seit 1980 auf Reisen sind. Entstanden sind sie 1974 in raffinierter Spann- und Wickeltechnik. Anfänglich trugen sie den Titel „Trinité“, was sich auf die dreiteilige Ausfächerung nach oben bezieht. Dies sei aber nicht religiös zu interpretieren, erzählte mir Käthi Wenger, Frau Giauque habe Titel oft dem Klang eines Wortes folgend gewählt, darum herrsche bei den Titeln auch Französisch vor, weil es die viel musikalischere Sprache sei.

In den späten 1970er-Jahren hat die Trinité drei wichtige Aufführungen erlebt: 1975 an der Biennale in Lausanne, 1977 im Kunstmuseum Solothurn und 1979 im Musée des arts décoratifs in Lausanne. Weil die Räume in diesen drei Museen sehr unterschiedlich hoch waren, sich die Fantômes darum einmal duckten und einmal streckten, kamen sie Elsi Giauque vor wie Geister, die sich wandeln und auf einmal hiess „Trinité“ dann „Les cinq fantômes“. Im Musée des arts décoratifs in Lausanne wurde das Werk vom damaligen Direktor des heutigen „Centre hospitalier du Centre du Valais“ entdeckt und für das neue Spital in Sion angekauft. Seither – das heisst seit 26 Jahren! –  ist es dort im Foyer platziert, hängt von der Decke bis hinunter auf einen Sockel und ist über mehrere Stockwerke hinweg sichtbar. Und nun ist es da, von Käthi Wenger frisch restauriert und wieder einmal in jener Form, in der es senkrecht und waagrecht Raum beansprucht.

Elsi Giauque hat stets regen Anteil am Kulturleben genommen – das äussert sich unter anderem darin, dass es in ihrem Werk zahlreiche „Hommages“ gibt. In der Ausstellung hier haben wir gleich zwei: „Hommage à Dürrenmatt“ und „Hommage à Meret Oppenheim“. Während die Hintergründe für die bühnenhaft gestaltete „Hommage à Dürrenmatt“ leicht zu erraten sind – der Schriftsteller lebte ja mit seiner Familie von 1950 bis 1952 auf der Festi und auch später riss der Kontakt nicht ab – zeigt die in den 1980er-Jahren entstandene „Hommage à Meret Oppenheim“ einerseits die fraubewusste Position Elsi Giauques – man denke auch an die Werkgruppe der „Feministinnen“ – andererseits die quasi implizite Anteilnahme an der Diskussion um den Meret Oppenheim-Brunnen in Bern.

Das witzige Werk im Zentrum des hellen Raumes im 1. Stock steht durch seine vertikale Betonung, durch die spiralförmigen, grünen Einsprengsel, aber auch das Fliessen der Fäden und die Spiegelung in Verwandtschaft zum Oppenheim-Brunnen in Bern, integriert durch die bühnenhafte Öffnung und den surrealen Auftritt der Künstlerin aber auch, wie sehr Elsi Giauque Meret Oppenheim erfasste und sich – vielleicht – auch ein Stück weit mit ihr identifizierte, gehören doch beide Frauen derselben Generation an und waren sie beide Pionierinnen, sowohl in ihren Werken wie ihrem Aufbruch zu selbst- und fraubewusster Position in einer Zeit, da für die Frauen noch sehr Vieles sehr schwierig war. Allerdings darf man die beiden nicht ohne Reflektion vergleichen, bewegte sich doch Meret Oppenheim in der männerdominierten freien Kunstszene, während Elsi Giauque in der Textilkunst sehr vielen Künstlerinnen aus aller Welt begegnete. Um den Preis der Nichtanerkennung der Textilkunst durch die offizielle Kunstwelt freilich. Doch das sei hier nicht weiter Thema.

Denn es gibt noch viel zu sagen: Zum Beispiel wie wichtig die Lausanner Textilbiennalen für Elsi Giauque waren. Seit 1965 war sie – mit ganz wenigen Ausnahmen – bis zu ihrem Tod 1989 stets  mit dabei. Sie war – zusammen mit Magdalena Abakanowicz – eine der wegweisenden Figuren der Biennalen. Beide Frauen weiteten ihren Werke in den Raum aus, aber von ganz unterschiedlichen Blickwinkeln aus. Abakanowicz lässt ihre schweren Tapisserien zu Körpern werden, während Elsi Giauque von Anfang an den architektonischen Raum im Visier hat, den Austausch zwischen Geometrie als formgebenden Aspekt und dem Licht, das die Form sogleich wieder auflöst, durchlässig erscheinen lässt und das Innen und das Aussen miteinander verbindet. Es geht also nicht nur darum, Säulen in den Raum zu hängen, sondern Raum im Raum zu gestalten; vielfältig und immer neu.

 

Ich habe es bisher gehalten wie alle anderen: Ich habe immer von Elsi Giauque gesprochen. Das ist zwar nicht falsch, aber trotzdem falsch. Denn Ideen haben kann noch mancher und manche. Auch sich vorstellen wie etwas sein könnte ist lustvoll, heisst aber noch lange nicht, dass dieses „Gespinst“ dann auch je materielle Form annimmt. Und das eine ist so bedeutsam wie das andere. Sie wissen, was ich meine, die Zusammenarbeit von Elsi Giauque mit Käthi Wenger. Die Kunstkritikerin Eva Buhrfeind, die am Dienstag die Ausstellung vorbesichtigt hat, brachte es blitzartig auf den Punkt indem sie die Rolle Käthi Wengers im Werk Elsi Giauques als die „Hand des kreativen Kopfes“ bezeichnete. Wie könnte man es besser ausdrücken?

Ich will hier nicht die Geschichte des Miteinander erzählen, denn Käthi Wenger hat im Vorfeld der Ausstellung hart gearbeitet: Sie musste auf 12 Fragen meinerseits antworten und sie hat es sich nicht leicht gemacht, sondern sich präzise erinnert und Wesentliches – auch solches, das ich zuvor nicht wusste oder nicht realisierte – aufgeschrieben. Sie können es im Raum „Hommage à Käthi Wenger“ nachlesen; es ist spannend. Mir ist hier an dieser Stelle nur daran gelegen, Käthi Wenger ganz herzlich zu danken für die enorme Arbeit, die sie in 40-jähriger Zusammenarbeit mit Elsi Giauque geleistet hat, denn nur darum gibt es das Werk von Elsi Giauque, wie wir es hier sehen und wie es an vielen Orten Ehrenplätze an öffentlichen und privaten Standorten, in manchen Sammlungen hat.

Ganz herzlich möchte ich hier Giselle Eberhard von der Fondation Toms Pauli begrüssen, kam es doch vor nicht langer Zeit zu einem wichtigen Kontakt zwischen der wohl wichtigsten Stiftung für textile Kunst in der Schweiz und dem Sammler Pierre Magnenat, der darin seine Werke der Stiftung vermachte, darunter die „Hommage an Meret Oppenheim“ von Elsi Giauque, von welcher hier schon die Rede war. Mich freut das ganz besonders, gingen doch auch einige Werke der Stickerin Lissy Funk, welche wir letztes Jahr hier zeigen konnten, inzwischen an die Fondation Toms Pauli, sodass die bedeutendsten  Textilkünstlerinnen dieser Generation nun beide noch gewichtiger in dieser sehr auf Öffentlichkeit bedachten Sammlung vertreten sind.

Dann liegt mir noch etwa am Herzen, das ich erst dieser Tage realisiert habe. Insbesondere im „Säulen-Raum“ oben kann man es sehen. Die Säulen habe ja alle Metall-Rahmen, um welche die Fäden gespannt sind. Und bei den sich in öffentlichem oder privatem Besitz befindlichen steht als Signatur überall auf der einen Seite Elsi Giauque und auf der anderen Käthi Wenger. Haben Sie je eine Skulptur von Jean Tinguely gesehen, auf der  auf der einen Seite Jean Tinguely steht und auf der anderen Sepp Imhof? Ich jedenfalls nicht. In unserem Fall zeigt posthum nichts mehr als das, wie sehr sich Elsi Giauque bewusst war, dass es einer der grössten Glücksfälle in ihrem Leben war, dass Käthi Wenger 1946 nicht nur kam, sondern auch blieb und ihr Leben mit ihr, mit der Festi, mit der Familie geteilt hat.

 

Elsi Giauque hat indes nicht nur das Leben von Käthi Wenger beeinflusst, sondern auch die Werke zahlreicher Künstlerinnen – ich denke nicht, dass die männliche Form hier Sinn macht.  Dass sich Sara Rohner bereit erklärt hat, die Ausstellung davor zu bewahren, nur Rückblick zu sein, sondern mit ihrem „Weg in die Gegenwart“ einen Bogen ins Heute spannt und dadurch auch die Gegenwärtigkeit von Elsi Giauques Werk betont, dafür danke ich Sara Rohner im Namen des Komitees „Kunst Textil“ ganz herzlich.

Sara Rohner, die heute als Aargauer Künstlerin gilt, verbrachte ihre Kindheit  in La Neuveville und ihre Eltern waren mit der Belegschaft der Festi befreundet, so dass die Rohners häufig den Fussweg von La Neuveville nach Schernelz unter die Füsse nahmen. Diesen Weg hat die multimedial arbeitende Künstlerin nun fotografisch nachgezeichnet und in ein Buch eingebracht, in dem zu blättern alle eingeladen sind. Selbstverständlich sind die Fotos nicht 1:1 Wegmarkierungen und Ausblicke, sondern ebenso sehr Ein-Blicke, Reflektionen darüber, wie Erinnerungen sich im Heute spiegeln. Jede Foto ist überblendet mit den Atelierfenstern der Künstlerin in Ennetbaden. Es ist ein Hinausschauen, eine transparent Machen von Prägungen, die  über die Zeit hinaus wirksam sind. Und dies alles in einer papierenen Kapelle, die in ihrer gewobenen, llichtdurchlässigen Bauweise unzweifelhaft eine Hommage an Elsi Giauque ist – eine, die für hier entstand, aber keineswegs aus dem Gesamtwerk der Künstlerin fällt, denn da ist das Hindurchschauen, das Sichtbarmachen durch mehrere Schichten hindurch fast so etwas wie ein roter Faden.

Ich habe den Leihgebern gedankt, ich habe Käthi Wenger und Sara Rohner gedankt, doch das reicht nicht, um die Ausstellung einzukreisen. Ein ganz besonderer Dank gilt nämlich Pia Andry und ihrem Sohn Domenic – somit der Tochter und dem Enkel von Elsi Giauque – welche die Ausstellung zusammen mit Käthi Wenger konzipiert und aufgebaut haben. Und Dank gilt selbstverständlich auch dem Aarbergerhus, in welchem die Gruppe „Kunst Textil“ jeden Herbst Gastrecht hat und last  but überhaupt nicht least, gilt der Dank des Komitees den Sponsoren.

Wir können zwar unser Wissen und unsere Arbeitskraft zur Verfügung stellen, aber ohne Geld – Sie wissen das alle – geht nichts. Dass die Gemeinde Ligerz hinter uns steht und mit uns überzeugt ist, dass „Kunst Textil“ einen wichtigen Akzent im Wein- und Kulturdorf Ligerz setzt, ist ganz wichtig. Dass uns auch viele andere – Private und Wirtschaftsvertreter – immer wieder,  und sei es auch nur im Kleinen, mittragen, freut uns.  Diese Ausstellung hier ganz speziell war aber letztlich nur möglich, dank einem grosszügigen Beitrag des Kantons Bern. Grand merci somit an alle und Ihnen nun viel Genuss mit Christine Lüthis zweitem Musikbeitrag, ebenfalls von Antal Dórati, einer Art „Zauberei“ mit dem Titel „Légerdemain“, unterteilt in le „spiel“ und le „trick“. Lassen sie sich überraschen… bevor’s dann weiter geht mit Apéro und – vor allem – Kunst.

Ich danke bereits fürs Zuhören.