Eugen Bollin im Gemeindezentrum Ipsach 2006

Befragt die Engel mit Farbe und Pinsel

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 17. Januar 2006

Pater Eugen Bollin (66) ist Mönch und Maler. Auch Prior und Zeichenlehrer. Im Kloster Engelberg. Aus Anlass einer „Engel-Woche“ ist jetzt eine Bilderauswahl in Ipsach (BE) zu sehen.

Es war in den 1980er-Jahren, als die expressive Zeichnung und Malerei Urständ feierte, dass man schweizweit auf Eugen Bollin, Mönch und Maler im Kloster Engelberg, aufmerksam wurde. Er widersprach in seinen ausdrucksstarken Zeichnungen und Bildern so eindrücklich dem Cliché einer zeitgenössische Kunst ablehnenden Kirche. Denn Eugen Bollin zeichnet und malt, was ihn als Mönch und Mensch beschäftigt: seine Zweifel, seine Sehnsüchte, seine Fragen. Das Kloster, die voralpine Landschaft sind ihm Kulisse für figürliche Szenen, oft aus der Bibel, aber nie auf die Bibel beschränkt. Oft ist eine Gestalt im Bild er selbst. Es sind seine Fragen an Maria, die Frau, an Christus, an die Kirche und ihre Lehre, die er mit dem Licht der Farbe und dem Gestus des Pinsel malt.

Nach einer Zeit der Lorbeeren, der Kunstpreise, der Buchpublikationen wurde es in den letzten zehn Jahren eher still um Eugen Bollin. Die Kunstszene interessierte anderes und er hatte weder Zeit noch Lust, sich um Öffentlichkeit zu bemühen. Dass er nicht ruhte, sondern weiterhin malte und künstlerisch keineswegs stehen blieb, zeigt jetzt eine Ausstellung im Gemeindezentrum in Ipsach. Der architektonisch klar konturierte Raum mit Galerie eignet sich (abgesehen von den farbigen Glasfenstern) überraschend gut für die Präsentation von Kunst. Und die Bilder, welche die Veranstalter im „Lager“ des Künstlers in Engelberg auswählten, zeichnen ein reiches Spektrum an malerischen Möglichkeiten und erzählerischen Facetten.

Die Ausstellung fokussiert, dem Rahmen einer „Engel-Woche“ entsprechend, das Thema des Engels. Sie spiegelt somit einen Werk-Ausschnitt. Doch die Tatsache, dass die Bilder alle aus den letzten fünf Jahren stammen, zeigt wie wichtig das Motiv für den Künstler ist. Der Engel ist ihm immer und immer wieder Gestalt annehmende Schnittstelle zwischen Diesseits und Jenseits, hier und dort, innen und aussen. Doch wie für die meisten wiegt auch für den Maler das Diesseits oft schwer und so sind seine Engel keine esoterischen Lichtwesen, sondern immer wieder andere Gestalt, andere Befindlichkeit annehmende Erscheinungen. Einmal sind sie nahe bei Christus am Kreuz, ein ander Mal „lacht“ ihre Farbigkeit. Immer aber sind sie ganz nahe beim Künstler selbst, der – so scheint es – mit ihnen lebt, mit ihnen spricht, mit ihnen ringt … und auch mit ihnen tanzt.

Plattform für den Ausdruck kann ihm ein grossformatiges Papier, eine mit der Schere geschnittene Leinwand oder auch ein kleiner Malkarton sein. Mal reicht dünne Farbe und in kürzester Zeit – in einer Pause zwischen zwei Schulstunden – erscheint schon das Bild. Ein ander Mal nimmt er eine Arbeit in seiner kleinen Klause unter dem Dach wieder und wieder hervor, sucht, fragt, ergänzt, übermalt. Es geht nicht nur um Inhalt, es geht auch um Malerei. Und da fällt auf, dass den Künstler in letzter Zeit die Leuchtkraft der Farbe gepackt hat. So pastos wie in den jüngsten Werken malte Eugen Bollin noch nie. Die Bilder entfernen sich dadurch zum Teil etwas von ihrer erzählerischen Seite und übertragen diese dem Rot und Gelb im dunklen Gebiet.

Noch etwas drängt das betrachtende Auge, nicht zuletzt unter dem Aspekt von Kirche und Kirchengeschichte. Sind das nun geschlechtslose Wesen, die der Mönch malt oder sind sie männlich oder gar weiblich? Zunächst fällt auf, dass sie keine Handelnden sind – oft sind sie nur Kopf und Rumpf, mit oder ohne Flügel und auch dies nur angedeutet. Sie tragen ihren Ausdruck in der Haltung, die ihnen der Künstler mit dem Pinsel gibt. Doch gerade die Erscheinungen, die Bewegungen, die Anmut durch die ungeschönte Expressivität hindurch lassen sie, eher gefühlsmässig als analytisch, in vielen (nicht allen) Bildern als weiblich erscheinen. Das Andere ist für den Mann auch die Frau, das Weibliche im Künstler selbst.

Eugen Bollins Kunst ist nicht immer und überall auf Gegenliebe gestossen. Leserbriefaktionen sind ihm nicht fremd; zu sehr sitzt in gewissen Köpfen die Vorstellung vom Engel als holdes Lichtwesen. Obwohl die Bibel auch ganz anderes erzählt. Bollins Engel jedenfalls sind keine Geschenke bringenden Christkinder. Raffiniert ist darum die Idee der Veranstalter, in die Mitte des Ausstellungsraumes auf einen Sockel ein kleines „Puttenkind“ aus Gips mit Gold auf Samt zu legen. Denn damit wird wohl auch Kunst Ungewohnten auf den ersten Blick klar, dass Erkenntnisgewinn nur mit Auseinandersetzung zu haben ist.